Lk 2,1-20 | 24. Dezember 2023 | Großstöbnitz | Großstechau

Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihr Herde.

Mit den Hirten beginnt das Wunder. Sie haben zuerst erfahren, was es mit diesem Kind auf sich hat.

Die Hirten waren raue Gesellen.

 

Sie hüteten des Nachts auf dem Felde ihre Herden. Sie waren im Freien zu Hause, da wo der Wind pfeift.

Und sie hatten nichts anderes, als Dornen und Gestrüpp, um Hürden zu bauen, Zäune, mit denen sie ihre Tiere des Nachts zusammenpferchen und zu schützen versuchten vor Wölfen und wilden Tieren.

 

Die Schafe waren ihre Lebensgrundlage, wenn denen etwas passiert wäre, hätten sie nichts mehr zu essen gehabt. Ein hartes Leben. Ein dorniges Geschäft. Das mag sie auch hart gemacht haben. Gegen sich selbst und andere.

Die Hirten waren alles andere als gut angesehen. Jeder braucht sie zwar, aber groß geachtet hat sie keiner. Und vielleicht genau deshalb, weil das so ist – kommt Gottes Bote zu aller erst zu ihnen.

 

Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. Und sie fürchteten sich sehr.

Das ist das Wunder, ihr Lieben: Die Leute, über die jeder schon den Stab gebrochen hatte, waren die ersten die von der Geburt des Heilands erfuhren.

 

Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, siehe ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren.

Das ist kein Zufall, das ist Programm. Gott fängt ganz unten an. Mit denen, die keiner beachtet hat. Mit denen, die hart geworden sind. Die schaut er liebevoll an in dem Kind in der Krippe. Mit euch will ich es wagen, egal, was die Welt von euch sagt.

Was für ein Wunder, ihr Lieben.

 

Und ein zweites Wunder geschieht in dieser Nacht:

Denn alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

 

Ehre sei Gott in der Höhe, ihm allein. Als Kind habe ich diese Zeilen immer im Krippenspiel mit gesagt und ich denke oft, du brauchst ein ganzes Leben um zu begreifen, was das heißen will und sagt. Ehre sei allein Gott in der Höhe.

Nicht nur, dass er uns erschaffen hat. Ihm allein sollen sich unsere Herzen biegen.

 

Er allein mag unser Richter sein im Leben und im Sterben. Es ist egal, was die Welt über dich sagt, was zählt ist allein Gottes Wort.

Die Menge der himmlischen Heerscharen lenken den Blick der Hirten auf Gott, weg vom Urteil der Welt.

Mag sein, dass die Welt euch weder liebt noch schätzt. Ich sehe noch mehr in euch als die Härte, die ihr ausstrahlt und eure Lebensgeschichte ist noch nicht fertig geschrieben, ganz egal, was der Nachbar sagt.

 

Ihr Lieben, ich stelle mir vor, wie die Hirten diese himmlischen Heerscharen gehört haben.

Mal angenommen es wäre so, dass allein Gott über uns thront? Dass allein Gott das letzte Wort sagen kann, aber nicht wir übereinander oder gar über uns?

 

Wir könnten sanfter dann mit uns sein, vielleicht auch uns so manches Urteil verkneifen. Still würde es werden in so mancher Nacht. Heilig das Leben uns werden. Weil die Dinge eben noch nicht fertig sind, was wir sind ist im Himmel beschrieben. Nicht in dem Gestern unserer Taten.  

 

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.

 

Und das ist das dritte Wunder für mich: Nicht nur, dass die Hirten sich anrühren lassen von der Botschaft des Engels, euch ist heute der Heiland geboren. Nicht nur, dass die Hirten auf die himmlischen Heerscharen hören und wieder Mut schöpfen für ihr Leben, weil das letzte Wort ist niemals gesagt.

 

Nein, sie gehen auch los. Sie machen sich auf und lassen die Grundlage ihres bisherigen Lebens im Stich. Sie gehen los gen Bethlehem, um dieses Kind zu sehen, von dem der Engel da sprach. Sie lassen ihre Schafe allein. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein,

Sie gehen los. Sie wollen es jetzt ganz genau wissen.

 

Sie suchen und finden dieses Kind, Jesus, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids. Und der liebevolle Blick dieses Kindes hat ihnen alles gesagt: Es kann noch anders werden mit uns. Das letzte Wort ist niemals gesagt. Vorurteilsfrei hat es sie angeschaut, so wie ein Kind Gottes das nur kann. Und das hat sie verändert.

 

Und die Hirten kehrten wieder um, zurück zu ihrer Arbeit, in die Kälte der Nacht, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

Und wir? Was nehmen wir mit aus dieser Heiligen Nacht? Wem beugen wir uns? Wen ehren wir? Wo werden wir schweigen, wo richten?

Spannende Fragen in der Heiligen Nacht. Jesu liebevoller Blick trifft auch uns. Er liegt auch auf unserem Leben. Unsere Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben, weil Gott das letzte Wort sagt. Amen.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. 

 

 

Weisheit Salomos 1,11-15 | 3. Oktober 2023 | Naumburg

I

Liebe Schwestern und Brüder,

als mich die Einladung zu eurem Festgottesdienst erreichte, habe ich mich gefragt: Was bedeutet mir dieser Tag der Deutschen Einheit? Was gibt es da für uns Christen überhaupt zu feiern? Schließlich ist das doch ein staatlicher Feiertag. Hat Kirche und Demokratie etwas gemeinsam?

 

Als ich ein Kind war, gab es keine Demokratie. Es gab zwar ein Land, das sich deutsche demokratische Republik genannt hat, aber es gab keine Demokratie.

Es war in der DDR nicht möglich, in Freiheit miteinander zu streiten, was die beste Antwort auf die Frage ist: Wie wollen wir leben in diesem Land? Es stand immer schon fest, wie man leben und welches Halstuch man tragen sollte.

In der Schule hingen Banner mit weißen Buchstaben auf rotem Grund. „Für Frieden, Freiheit und Sozialismus!“

Die Worte waren alle großgeschrieben, aber frei hat sich für mich nichts angefühlt.

 

Wenn ich den Tag der Deutschen Einheit heute begehe, kommt mir dieses andere Leben wieder in den Sinn, dieses Leben mit eisernen Bandagen. Ein Leben mit Stillhalteabkommen im Kleinen wie im Großen. Ein Leben wie mit Mehltau überzogen.

Es war ein Leben, in dem mir beigebracht wurde, was ich offen sagen durfte und was nicht. Ein Leben, bei dem selbst bei Familienfesten klar war, dass einige Gespräche nur in der Küche geführt werden konnten, weil du nicht wusstest, wem du vertrauen kannst am großen Tisch.

 

Jeden Tag danke ich Gott, dass wir das überwunden haben, dieses Leben in Lüge. Jeden Tag danke ich, dass ich jetzt in einem freien, demokratischen Land leben kann.

Ich verdanke diese Freiheit Menschen, die gegen das Leben in der Diktatur vor mehr als 3 4Jahren auf die Straße gegangen sind. Die sich Räume gesucht haben um zu diskutieren, darüber wie es besser werden kann. Menschen, die mit Kerzen in der Hand friedlich demonstriert haben.

Ich verdanke diese Freiheit auch jenen Menschen, die als Offiziere in der DDR ihren Soldaten gesagt haben: Wir schießen nicht, wir schießen nicht auf unsere Mitmenschen.

 

Dass es die friedliche Revolution gab, ist ein Geschenk – entstanden aus dem Respekt vor dem Leben: Weil Christen und Nichtchristen vor mehr als 33 Jahren sich ein Einheit begriffen haben, als eine Menschheitsfamilie, wo der eine dem anderen nicht das Leben nehmen kann. Sternstunde der Demokratie.

 

II

Vor ein paar Monaten habe ich einen alten Bekannten in Thüringen wieder getroffen. Rudi.

„Das geht doch hier alles den Bach runter”, sagte er. “Die da oben kümmern sich doch gar nicht um uns. Alles Pappnasen.“ Er kam vom Hundertsten ins Tausendste.

“Die da oben, wer soll das sein?”, habe ich gefragt. “Wenn du damit die Abgeordneten im Parlament meinst, die haben wir gewählt, das sind unsere gewählten Vertreter.”

“Nicht von mir”, meinte er. „Kannste alle in einen Sack hauen.“

“Mach ich nicht”, sagte ich, “wenn sich was ändern soll, dann bring dich selber ein, anstatt zu schimpfen!”

“Ach, vergiss es”, meinte er.

Rudi ist über 70. Er hat nun die Hälfte seines Lebens in einem freien Land gelebt. Die andere Hälfte in der DDR, hat immer gut verdient. Seine Kinder jetzt auch.

Er bezieht Rente. Hat sein Haus renoviert. Hat Reisen gemacht. Rudi ist dennoch unzufrieden. “Die Ausländer machen alles kaputt”, sagt er. Wenn ich ihn frage, welcher Ausländer ihm denn wann wo und was genau kaputt gemacht hat, wird er stumm.

“Früher hat´s das nicht gegeben”, meinte er. “Da war Ordnung im Land.”

Eine grausame Ordnung, denke ich. “Naja”, sagte er noch, "ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt, ihr mit eurer Nächstenliebe und deine ganze Kirche.”  

„Naja“, sagte ich, „ohne Nächstenliebe stünde ich gar nicht mehr hier und würde mit dir reden.“ Da hat Rudi dann doch mal innegehalten und kurz gelacht. Gespräche am äußersten Rand.

 

III

So hütet euch nun vor unnützem Murren und bewahrt die Zunge vor böser Nachrede.

Demokratie, ihr Lieben, macht Mühe. Es gibt sie nicht ohne Gespräch und manchmal auch nicht ohne Streit um die beste Lösung für eine Sachfrage. Demokratie fällt auch nicht vom Himmel. Sie lebt von unserem Respekt, von unserem Respekt vor dem Leben eines jeden. Sie lebt von dem Willen, miteinander um Antwort zu ringen auf die Frage: Wie wollen wir leben in diesem Land?

Es gibt Menschen, die sagen: Mit Leuten wie Rudi kannst du doch gar nicht mehr reden, das ist sinnlos.

 

Ja, denke ich, es ist kaum auszuhalten. Aber was ist die Lösung? Dass wir 20-30 Prozent unserer Mitbürger einfach abschreiben? Einander links oder vielmehr rechts liegen lassen?

In jedem Gottesdienst bekenne ich mich zu dem, der uns erschuf und der kommen wird zu richten die Lebenden und Toten.

Früher habe ich mit dem Gedanken an einen richtenden Gott nichts anfangen können.

Heute denke ich, Gott sei Dank steht das noch im Glaubensbekenntnis drin. Gott sei Dank müssen wir einander nicht Richter sein und das letzte Wort übereinander sagen und wissen.  

 

Vielleicht ist das sogar der einzige Mehrwert von Kirche in dieser Gesellschaft, dass wir es hier wagen, auf den hinzuweisen, der das letzte Wort über uns sagt.

Mal angenommen, es stimmt, dass Gott uns alle erschuf und mal angenommen, es stimmt, dass Gott das letzte Wort über uns spricht - was hieße das dann für uns? Für die Gespräche mit Rudi und mit so vielen anderen?

Der richtende Gott ist für mich zu einer Himmelsluke geworden. Er hält meine Zunge im Zaum.

Er rüttelt an meinem Denken. Er sagt: Gib nicht auf. Dich nicht und Rudi nicht. Zuhören heißt nicht zustimmen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesagt. Es ist noch kein Ende in Sicht, Umkehr ist möglich. Das Ende ist noch nicht da, aber sehr wohl einer, der uns beide sieht. Dieser Gott ist auf einmal wieder im Blick. Es kann noch anders, besser werden mit uns.

Denn Gott hat den Tod nicht gemacht und hat kein Gefallen am Untergang der Lebenden.

 

IV

Wie wäre es, wenn Kirchen Orte des Zuhörens wären, Orte des vorurteilsfreien Dialogs? Wo wir einander erst einmal nur anhören. Zuhören heißt ja nicht zustimmen.

Wie wäre es, wenn wir uns im Raum der Kirche nicht abschreiben würden, sondern Christus immer wieder in die Mitte stellen und uns gemeinsam ausrichten auf ihn? Hin auf seinen Tisch, auf seinen Altar, an dem Platz für alle ist?

 

Wie wäre es, wenn Kirchen Orte wären, wo wir einander das Jammern und das Spielen mit der Opferrolle genauso wenig durchgehen lassen würden wie die Schuldzuweisungen? Weil Christus schon für alles bezahlt hat und uns in ein anderes Miteinander ruft?

 

Wie wäre es, wenn Kirche Orte wären „offen für alle, aber eben nicht für alles“, weil es zur Liebe nun mal keine Alternative gibt?

Wenn uns das im Raum der Kirche gelänge, hätten wir dann nicht auch diesem Land auf hervorragende Weise gedient? Und würden wir dann nicht auch jenen den Wind aus den Segeln nehmen, die derzeit die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie abschaffen wollen und immer wieder mit der Opferrolle spielen namens „Mir hört ja hier keiner zu“? Nochmal: Zuhören heißt nicht zustimmen und ich kann doch auch nur im Gespräch meinem Gegenüber sagen: ich höre, was du sagst. Aber ich sehe das anders!

 

V

Religion braucht keine Demokratie als Wesensvoraussetzung. Sie ist eine andere Dimension in der Welt. Sie findet auch in Diktaturen ihre Nischen und Räume, das hat die Kirche in der DDR gezeigt.

Sie ist das Samenkorn für Zusammenhalt und zersprengt jede Form von Herrschaft, die Menschen ausgrenzt und unterdrückt. Auch das hat die Kirche in der DDR gezeigt. Das Ergebnis feiern wir heute mit dem Tag der deutschen Einheit.

Denn Glaube führt in das hinein, was Demokratie so wunderbar macht: in das vorurteilsfreie Gespräch und in die gemeinsame Suche nach Lösungen für die Frage: Wie wollen wir leben in diesem Land?

 

Je mehr wir uns als Kirche deshalb im Kleinklein der Politik verlieren, desto mehr verlieren wir unsere Bindekraft, die Christus ist: Menschen zusammenzuführen an einen Tisch trotz aller Schuld und Differenz und uns gemeinsam auf etwas Drittes auszurichten, auf einen, der uns allen Leben schenkt.

Eine Kirche, die an Christus klebt, die wirklich an ihm klebt, die ist alles andere als unpolitisch – im Gegenteil, sie ist in hohem Maße politisch, denn sie erzählt von einer Polis, in der es keine Ausländer mehr gibt, sondern alle Gast sind auf Erden. Eine solche Kirche bereitet den Boden mit: für Frieden und Demokratie. Gott gebe, dass dies so bleibt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

 

Lk 17,21 | 28. Januar 2023 | Wuppertal - Barmen

 

Wuppertal. Wo Elefanten aus der Schwebebahn springen und Friedrich Engels zur Welt kam.

Knackige Andacht zu Beginn erwünscht. So stand es auf meiner Einladung. Knackige Andacht zu Beginn.

 

Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Ein knackiger Beginn, dieser Satz, diese Tat. 

Jesus steht da, seine Weggefährten schauen ihn an. Wie meinst du das? Fragen sie.

Das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Jesus wiederholt, was er sagt und auf ihn gerichtet sind lauter fragende Gesichter.

 

Auf manchen Gesichtern bricht sich Hoffnung Bahn: „Das Paradies, endlich bricht es an!“ „Dann wird Gott jetzt also alle richten, den Machthabern eines auf die Finger hauen, sie runterholen von ihrem Thron.“

 

Umsturz liegt in der Luft.

Schon träumt einer, wie Gott Putin eins auf die Finger haut und die Gewehre zerbricht und Kyrill eins auf die Mütze bekommt für all das, was er in Kirchen spricht und verspricht.

Die Wünsche sind leuchtend und groß. 

Knackige Andacht zu Beginn.

 

Als Jesus den Freunden sagte: Gottes Reich bricht an unter euch – wer weiß, was da alles an Getuschel laut geworden ist:

All die Sehnsüchte, all die Fragen. Berichtet ist davon nichts im Evangelium.

Lukas hat Jahre später nur die Fakten festgehalten: All das, was wir erhofft und erbeten hatten, es war mitten unter uns, es brach mit diesem Jesus unter uns an, mit Jesu Art zu leben.

Mit seiner Art auf Feinde zuzugehen.

Mit Jesu Brot. Diesem Teilen, Vergeben, Heben.

 

All das, wovon später ein Friedrich Engels Pamphlete schreiben wird.

Wovon ein Karl Marx träumt und schreibt – in Jesus brach es sich Bahn: das geteilte Brot - ohne Befehl, ohne Umsturzgedöns.

Einfach, friedlich und still in Jesu wahrhaftiger Art. Seinem Leben, dieser Einheit aus Wort und Tat.

 

Dass jeder sein Brot habe, dafür stand Jesus ein. Für die Welt war das unfassbar, ein Wunder.

 

Wenn wir aufhören unser Brot zu teilen oder es nur noch mit denen teilen, die uns genehm sind – ja, die Geschichten kennen wir zu Hauf.

Davon erzählt die Welt mit ihren Kriegen, mit ihrer deutschen Tötungsmaschinerie, mit dem rassistischen Denken, dass Gott dafür einspannt, das eigene nur mit denen zu teilen, die einem gerade noch genehm sind. 

 

Jesus aber war anders. Er hat sein Brot auch mit Judas geteilt. Einem, der an ihm verzweifelt ist und mit dem ihm der Schmerz verband.

Jesus hat an diesen Gott geglaubt, dessen Kinder wir alle sind. Der für uns alle wie ein Vater ist, der uns zusammendenken kann allen Unterschieden zum Trotz. Das macht etwas mit uns, dieser Glaube hat Jesus gesagt und sein Brot auch mit Feinden geteilt.

 

Es gibt vor dem Himmel kein Entkommen, auch nicht vor der Tatsache, dass wir von ein und demselben Schöpfer sind. Der Himmel und das Brot gehöre allen. 

Ein Ausbruch war das, was Jesus lebte und sagte. Ein Ausbruch aus allem Vorhersehbaren und Bekannten, fast so wie wenn ein Elefant aus der Schwebebahn springt und sagt, ich mach hier nicht mehr mit, bei diesem Zirkus.

Schluss mit der Gaukelei, mit dem Lieben nur auf festgelegten Bahnen. Unser Leben und Lieben sei frei.

 

Wenn schon Brot, dann für alle!, hat Jesus gesagt.

Wenn schon Liebe, dann für alle, hat er gesagt, auch für den Judas und Barabbas.

 

Ein Wort in der Stille und die Stille knallte laut wie ein Schuss.

 

Jesus hat alles hinterfragt. Sein Leben war der Startschuss für etwas Neues.

 

Das Reich Gottes bricht an unter euch. Merkt ihr es? Ja, wir merken es.

Mal mehr, mal weniger gut.

 

Viele sind schon unterwegs, seit mehr als 2000 Jahren.

Sie teilen ihr Brot, sie schicken ein Schiff. Sie verbinden Wunden ohne Ansehen der Person. Sie trotzen der Not und den Kriegen. 

 

So geht ein Leuchten um die Welt, für Dich und vielleicht auch mit uns. Amen. 

 

Apg 12,3-11 | 8. September 2022 | Steigerwaldstadion - Erfurt Impulstag Gemeinde und Diakonie

 I

Was ist wahrhaft und echt? Was bewegt uns? Lässt uns aufatmen in diesen Zeiten?

Zu der Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde. Lukas. Apostelgeschichte.  

Kennt ihr das? Dritte Generation. Die erste Generation hat alles aufgebaut mit Feuereifer und Leidenschaft und hatte noch Visionen und irgendwie ging alles ganz easy und leicht. Die zweite Generation hat das dann fortgeführt, was man bei den Eltern so gesehen hat und die dritte Generation hat manchmal das Erbe verprasst, hat manchmal die Gunst der Stunde verpasst; sitzt da, manchmal ohne Feuer und Kraft.

 

Der Evangelist Lukas schreibt für genau die dritte Generation die Apostelgeschichte auf. Er schreibt für die Müden und Trägen und er schreibt ihnen die ganzen Wunder wieder neu ins Herz. Er schreibt für jene, die Jesus nie erlebt und gesehen haben.

Und er hat ihnen die Geschichte von Petrus aufgeschrieben, in einer Zeit, wo es vielen von denen an den Kragen ging, wo viele nicht wussten, wie es weitergeht.

Zu der Zeit warf Herodes Petrus ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Abteilungen von je vier Soldaten.

Von jeder Seite umstellt. Petrus sitzt da und nichts geht mehr. Er hat die großen Worte noch im Ohr vom Anfang. Der HERR ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

 

Aber was mir nützt das jetzt, denkt er!? Schön für den Herrn, wenn der auferstanden ist, aber ich liege hier in Ketten.

Ein Heulen wird laut zwischen den Wänden.

Glaube ohne Feuer, und was ist, wenn das Wort dich nicht weiterträgt?

 

II

Ihr Lieben, manchmal kommt mir unsere Kirche so vor wie eine in der dritten Generation. Müde und irgendwie auch satt. Wir sitzen da im Gefängnis der Zahlen und hören es jede Woche neu: Wir werden weniger, heult es zwischen den Wänden.

Wir sind bedeutungslos, sagen manche. Keiner liebt uns. Ein Heulen wird laut, zwischen den Wänden und manche heulen, dass wir jetzt nicht mehr Mehrheit in der Gesellschaft sind als Christen und Kirchenmitglieder.

 

Dabei, denk ich, wir haben die ganzen großen Worte im Rücken, wir könnten doch aufbrechen jeden Tag. Das ist unser Job: den Hintern hochkriegen für andere.

Wie soll es weitergehen, fragen viele in Kirche, auch in Diakonie in diesen Zeiten. Die Not geht um und auch die Angst. Das ist ganz real.

Angst geht um und das Feuer des Anfangs ist weit weg. Wir haben als verfasste Kirche lange genug so leben können, auch ohne Feuer im Herzen. Bitter ist das.

 

Wir waren als verfasste Kirche lange ohne die Not unterwegs, ohne die Not, uns ändern zu müssen.

Wir konnten auch so Kirche sein, mit steigenden Steuereinnahmen, und sinkenden Mitgliedszahlen. Irgendwie verkehrte Welt.

Aber jetzt kommen wir an eine Grenze, weil das Geld immer weniger wird. Wohin führt das noch in Kirche und Diakonie?

 

Klar, wir können uns zurücklehnen und sagen: Wir haben Kitas, Pflegeheime, diakonische Einrichtungen, Beratungsstellen. Wir können sagen, wir sind systemrelevant, aber glüht da noch was? Was ist wahrhaft und echt?

 

Ihr Lieben, es werden krasse Zeiten auf uns zukommen, wenn man die Nachrichten liest.

Jede Woche bleibt weniger übrig im Portemonnaie für uns alle und das Leben ist alles andere als easy peasy, das Leben ist wahrlich kein Ponyhof. Das steht schon mal fest.

Aber ich würde mal sagen: wir hier, Kirche und Diakonie, wir haben zukünftig ganz, ganz viel zu tun. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen.

 

III

Heul doch, sagt der Engel zu Petrus. Heul doch oder komm mit, zieh die Schuhe an, wirf den Mantel um, komm mit raus, raus aus diesem nassen Loch namens Gefängnis.

Der Engel stößt Petrus in die Seite, so schreibt es Lukas auf. Alles  überhaupt nicht sanft. Er weckt ihn und sagt: Gürte dich, zieh die Schuhe an und raus hier oder glaubst Du, das ist das Ende!?

 

Denkst du, Gott hat dich für das Ende gemacht? Denkst du, er hat dich in die Welt hinein geliebt, damit du hier endest, in diesem Gefängnis, von Wachen umstellt? So doch nicht mein Lieber!

Und siehe, der Engel des HERRN kam in den Raum und Licht leuchtete auf.

 

Auf einmal wird alles wieder weit und hell.

Ich glaube, manchmal brauchst du genau so einen Engel, der dich am Rock zupft und sagt, los, raus hier! Du brauchst einen, der dich unsanft packt und rausreißt aus der Trauer. Gerade dann, wenn dich alles so bedrückt im Leben.

 

Du brauchst einen, der dich in die Seite stößt und sagt, los jetzt, Petrus, du Fels, beweg dich, denn das wird noch nicht das Ende sein. Und erst dann kommt Leben in die Bude. Du brauchst so einen, denn alleine schaffst du das nicht. Wir brauchen den anderen und das macht Gemeinschaft aus, auch Gemeinde.

 

IV

Ich finde, ihr macht das, ihr Lieben, Tag für Tag. In Gemeinde, in Diakonie. In Pflegeeinrichtungen, Kindergärten, in Beratungsstellen. Ihr stoßt den andern in die Seite. Los jetzt, Schuhe anziehen, raus, es gibt noch so viele Wege.

Ihr erinnert Menschen Tag für Tag daran. Und ich denke, wie krass ist das denn. Dass es Menschen wie euch gibt.

 

Menschen, die aufstehen, Tag für Tag und auf Arbeit gehen und anderen den Hintern abwischen, weil sie das selber nicht mehr können. Wie krass ist das denn. Dass es das alles gibt: Menschen wie ihr, die aufstehen für andere.

Und die Ketten fallen von den Händen.

Das spürt ihr vielleicht nicht, aber die, die ihr umsorgt, die schon.

 

V

Ihr Lieben, wenn ich das Gejammer in der Amtskirche manchmal höre wegen der sinkenden Mitgliedszahlen, da denke ich: Leute, es gibt noch echte Probleme im Leben. Geht mal raus auf die Straße, die Menschen warten auf uns. Die warten auf Menschen, die noch Hoffnung haben und sagen: es wird weitergehen, auch in diesen miesen Zeiten.  

 

Und wenn ich die Leute immer reden höre, die sagen, Gott das interessiert doch kein Schwein mehr, dann denke ich immer, lasst sie halt reden.

Wenn die eines Tages mal nicht mehr können, mit ihrer ganzen Leistung, sind sie froh, wenn einer kommt und sagt, ich helf´ dir, weil mein Gott hat gesagt, du bist unendlich viel wert.

 

Dritte Generation, ihr Lieben. Kann sein, dass vieles noch zerbricht.

Kann sein, dass gerade Krise ist, aber in der Krise kommt immer auch was Neues.

Kann auch sein, dass wir eine arme Kirche werden, ohne Sitzbankheizung und goldenes Ornament. Aber ganz ehrlich, brauchts das, braucht es das!?

 

Unser Glaube wird auch ohne all das brennen, lichterloh.

Der wird Hoffnung in Pflegeheime, in Krankenzimmer, in Kindergärten bringen.

Der wird Menschen sagen, dass sie größer sind und dass das Leben weitergeht, weiter als wir das jetzt sehen und ihr alle seid ein Teil davon. Gemeinschaft der Heiligen hat man das früher mal genannt. Menschen, die ein Licht mittendrin in sich haben und eine Hoffnung, die brennt.

Und das wünsche ich euch, dass euch das keiner ausknipst und wenn es mal dicke kommt, dass dann einer kommt und euch in die Seite stößt und sagt: raus jetzt, Schuhe anziehen, auf. Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen und verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 

 

 

1Mo 1,1-5 | 16. Juli 2022 | Elbestrand WSG e.V. Wittenberg

I

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde

Ihr Lieben, wir saßen schon einmal hier, vor Jahren. Es war spät am Abend und wir haben unser Leben gefeiert, hier an der Elbe.

Viel Wasser ist seither an uns vorbeigeflossen. Viel Wasser habt ihr unterm Kiel gehabt. Vieles ist passiert, auch das: eine „Zeitenwende“.

Und die Erde war wüst und leer.

 

II

Als die Schöpfungsgeschichte aufgeschrieben wurde, lag gerade eine Welt in Trümmern. Das Volk Israel hatte seine Heimat, sein ganzes Land verloren. Viele lebten im Exil. Die Elite wurde hinweggeführt, deportiert.

Was war geschehen?

 

Sie hatten sich mit fremden Ländern verbündet, hatten Geschäfte gemacht, waren Bündnisse mit anderen Herrschern eingegangen. Sie dachten, dadurch sicher zu sein im Fall der Fälle. Sicher vor Angriffen. Aber siehe da, es kam alles anders.

Denn die Bündnisse hatten nicht gehalten. Der erhoffte Schutz blieb aus und so hatten sie alles verloren: Land, Heimat und Sicherheit.

Die Hinweggeführten saßen da, an den Wasserflüssen Babylons, mit Tränen in den Augen.

 

„Wir haben fremden Mächten mehr vertraut als unserem Gott. Wir haben uns abhängig gemacht. Das haben wir nun davon“ sagten sie.

Wohin sich jetzt noch wenden, woran sich noch festhalten? Wie leben, hier in der Fremde? Die Erde war wüst und war leer.

 

Und dann stand einer auf und sprach: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Auch hier, ihr Lieben, in der Fremde. Auch hier ist unser Gott und er hat uns erschaffen und er will, dass du lebst, allem Unbill zum Trotz. Mag sein, dass die Erde hier wüst und leer erscheint. Aber einer ist da, der uns liebt. Und der will, dass es uns hier gibt, hier und jetzt und nirgend wo anders. Also steht auf, bringt euch ein. Lebt und setzt das Vertrauen doch fort. In den Himmel, in des Menschenherz hinein.

 

Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.

Ich stelle mir vor, wie sie dasitzen, die Hinweggeführten und Deportierten.

Ich stelle mir vor, wie sie ihre Köpfe heben, mitten im Chaos und wie ihnen plötzlich ein Hoffnungsfunke ins Herz kommt. Größer und schöner als jede Sonne jemals über uns aufgehen kann und plötzlich ist inmitten der Finsternis Licht.

Die Schöpfung, eine Trostgeschichte. Schöpfung für die Erschöpften. Eine Mutmachgeschichte für die Gestrandeten.

 

III

Ich weiß, hin und wieder könnte man denken, die Schöpfungsgeschichte wäre so eine Art Bauplan, so eine Art Geschichte, die sagt: schaut her, Gott hat die Welt in 7 Tagen gemacht.

Aber das ist sie nicht. Diese Schöpfungsgeschichte ist voller Trost. Entstanden in chaotischen Zeiten, Schöpfung für die Erschöpften. Eine Geschichte vom Wiederanfang.

Und einer bereitet alles vor: Himmel, Erde und Meer.

 

Ihr Lieben, ich weiß nicht, wie es euch derzeit geht. Aber für mich ist am 24. Februar unendlich viel zerbrochen. Es hat mir den Boden weggezogen, so wie wenn du ins Kanu einsteigst, und landest auf einmal im eiskalten Wasser.

 

Für viele von uns sind in den letzten Wochen und Monaten ganze Gewissheiten zerbrochen.

Die Erkenntnis, dass Frieden ist und gelingt. Dass Wandel durch Handel nicht falsch sein kann. Dass Vernunft und Dialog immer siegen wird. Ein Leben in Diplomatie.

 

So manche Gewissheit ist zerbrochen und auf einmal liegt alles da vor uns wie ein Scherbenhaufen.

Es gibt manche, die sagen: Die Politiker sind schuld. Die Politik der letzten Jahre sei gescheitert.

Schuldige werden gesucht und gefunden. Feindbilder geschnitzt. Aber ich frage mich, wohin uns das bringt.

 

IV
Als das Volk Israel alles verloren hatte, hat es gewiss auch so manche Debatte gegeben, um Schuld und Schuldige. Die wüsten Beschimpfungen, das Hickhack der Leute, die hinterher alles besser wissen. Das wird es damals auch gegeben haben.  

Aber geblieben, übrig geblieben, von all dieser Zeit, von all dem Chaos und der Not, die über ganz Israel hereingebrochen war, übrig geblieben aus dieser Zeit ist einzig und allein eine Liebesgeschichte.

Diese Schöpfungsgeschichte für die Erschöpften, diese wunderbare Mutmachgeschichte, die uns die Augen öffnet und sagt: seht nur, alles ist da.

 

Diese Liebesgeschichte allein ist übrig geblieben aus dieser chaotischen Zeit. Die Geschichte vom Neubeginn hat alles überdauert.

Und Gott sprach es werde Licht! Und es ward Licht.

Und das Volk Israel hat sich diese Liebeserklärung an ihr Lieben, diese Hoffnung auch schenken lassen. Schöpfung für die Erschöpften, die Geschichte vom Neuanfang.

 

Sie haben sich daran aufgerichtet und ausgerichtet und ihr Leben in der Fremde angepackt. Es noch einmal versucht und siehe da, ihr Leben war gut. Und Gott sah, dass es sehr gut war.

Was werden wir uns schenken lassen in dieser „Zeitenwende“? Werden wir uns erinnern lassen an den, der uns liebt, wenn das Brot teurer und die Herzen kälter werden?

Oder werden wir uns eingraben in der Finsternis? Wie werden wir auf unser Leben schauen, auf das, was ist, kommen wird und war?

 

V

Ich habe euch ein Bild mitgebracht, ihr Lieben.

Ein Bild voll krummer Linien und Striche. Ein Kind hat es gemalt und als ich gefragt habe, was da drauf ist, sagte es: na, das ist doch klar, dass da ist Omas Wiese, wo der Löwenzahn immer blüht, knallgelb ist der.

Und das da ist der klatschrote Mohn, der an der Hauswand steht und hier ist der dunkle Ast vom Baum, der jetzt so viele Kirschen hat.

Glasklar, hab ich gedacht.

 

Und was ist das hier, das Blaue?

Das ist der Engel, der passt auf uns auf, den hat Mutti an die Seite gemalt.

Logo, hab ich gedacht.

Und am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und Gottes Geist schwebte auf dem Wasser.

 

Liebe sieht alles, ihr Lieben und noch viel mehr, auch dort wo manchmal nur Chaos ist, ein heilloses Chaos mit Strichen. Liebe wendet jeden Stein bis hinab zum Meeresgrund um.  

 

Liebe schreibt die Geschichte fort und aus dem Chaos geht ein neuer Anfang hervor.

 

Diesen liebevollen Blick wünsch ich uns und dass wir ihn zulassen auf unser Leben. Amen. 

 

 

Rö 12, 17-21 | 9. Juli 2022 | Musikalischer Festgottesdienst in der Kirche zu Großstechau

Wenn Frieden uns ganz umfängt

I

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.

9. Juli 2022

Politiker des Westens haben jahrelang versucht, Wandel durch Handel zu betreiben. Sie haben sich eingesetzt für Gespräche.

Für eine Politik und Wirtschaft, die die Grenzen nicht dicht macht, sondern öffnet.

Sie haben sich für Beziehungen mit Russland eingesetzt, obwohl Wladimir Putin Oppositionelle an den Rand drängen ließ.

Sie haben auf Diplomatie und Gespräche gesetzt. Sie haben es wieder und wieder versucht. Hier und da kamen Sanktionen, aber man blieb im Gespräch.

 

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Sie haben auf Vernunft gesetzt. Auf Vernunft und Einsicht und Gespräch.

Es gibt Menschen, die sagen: Was da gelaufen ist, sei naiv gewesen. Es gibt Menschen, die sagen: diese ganze Politik ist gescheitert. Im Hintergrund Säbelrasseln.

 

Was nun? Soll dies das Letzte sein, frage ich mich? Dass wir uns verabschieden von einer Politik, die auf Gespräche setzt und unserer Suche nach Frieden?

Ists möglich, so viel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Was liegt an uns. Was liegt in unseren Herzen und Händen?

 

II

Ich finde ja derzeit das Schwierigste ist, nicht in die Denkmuster des Krieges zu verfallen, nicht mit Feindbildern durch die Welt zu gehen.

Feindbilder sind so schnell gemacht. Sie sind grob, eckig und kantig. Nichts liebevolles zeigen sie, jedes Detail geht verloren in ihnen.

Sie erzählen oft nur von dem, was mir am anderen Angst macht. Feindbilder haben scharfe Züge und Kanten. Sie verbreiten oft nur Angst und Schrecken.

 

Paulus selbst hat solche Feindbilder gehabt, damals als Saulus. Er hat jene leidenschaftlich gehasst, die sagten: unser Herr ist Jesus Christus, nicht die Herren dieser Welt.  

Ihre ganze Hoffnung, ihr ganzes demütiges Dasein – all das hat Paulus gehasst.

Als Saulus hat er sie zur Strecke gebracht.

Paulus hat Feindbilder gehabt. Er ist mit ihnen durch die Gegend geritten und die Feindbilder haben ihn geritten.

Frieden war für Paulus damals etwas, das man mit dem Schwert erkämpfen, verteidigen, erringen muss. Frieden kannte er nur als Durchsetzung des Rechts.

Frieden gab es deshalb für ihn auch nur durch die Abwehr des Feindes.  

 

Und dann ist er vom Pferd gefallen. Dieser Sauluspaulus.

Er fiel seinem Feind vor die Füße. Seinem Erzfeind: Jesus Christus.

Er ist Christus begegnet und Christus hat ihn nicht bekämpft.

 

Im Gegenteil: Er bot ihm die Stirn und er bot ihm das Brot. Er ist ihm mit Gutem entgegengekommen. Niemals hat Paulus das vergessen.

Ists möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“

Frieden, eine Gerechtigkeit, die alles leben lässt. Ein Frieden, der nicht durch Verteidigung entsteht, sondern damit rechnet, dass Gott das letzte Wort hat.

Diese Erfahrung hat alles in Saulus umgekrempelt. Als Paulus ist er seither durch die Welt gegangen. Demütig vor seinem Herrn.

 

III

Frieden ist mehr als dass die Waffen schweigen. Mehr vielleicht auch als das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben: 70 Jahre in Deutschland ohne Krieg. Frieden ist unendlich viel mehr.

Shalom. Frieden - eine Gerechtigkeit, die alles aufleben lässt, weil sie auf dem Höchsten vertraut.

Ists möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 

Paulus, abseits vom hohen Ross. Er steht da und schreibt seiner Gemeinde in Rom. Er schreibt seinen Freunden, die wirklich vom Tode bedroht sind.

Schnitzt euch keine Feindbilder. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht. Gebt sogar, wenn es in euren Händen liegt, euren Feinden zu essen. So wirst du feurige Kohlen sammeln auf sein Haupt.

Paulus wirbt um jene, die da zaudern. Sollte es möglich sein? Ein Frieden, der uns alle umfängt?

 

IV

Wie sehr wir Mensch bleiben, erkennen wir daran, wie wenig wir uns ein Feindbilder machen von unserem Gegner.

Das Brot auch für den Feind, der hungert, aufschneiden. Gottes Wort brennt. Es brennt Löcher in Kriegslogiken hinein, herzgroße Löcher hinein.

 

Es hat mich zutiefst berührt, als ich davon hörte, dass sich in der Ukraine eine Initiative gegründet hat, die russischen Müttern dabei hilft, die sterblichen Überresten ihrer Kinder zu finden, damit sie sie in der Heimat würdig bestatten können.

Mensch bleiben, mitten im Krieg. Das Böse überwinden mit Gutem. Anerkennen, dass auch meine Feinde immer noch Menschen sind, Menschen mit Familien, mit einer Würde bis ins Grab hinein. Mich hat das zutiefst berührt.

 

Dass wir Mensch bleiben, noch in der größten Not. Auch wir hier in Deutschland, wenn die Preise für Strom und Brot steigen – dass wir dann nicht in die einfachen Muster und Feindbilder verfallen, dazu helfe uns Gott.  

 

V

Eines Tages kommt die Zeit, hat Martha immer gesagt. Martha kam als Kind nach Thüringen in einem Flüchtlingstreck. Sie hatte nur einen Rucksack dabei. Ihr war nicht viel geblieben.

 

Nie wieder Krieg, hat Martha immer gesagt. Aber das zu sagen, reicht einfach nicht aus, meinte sie.

Als ihre Kinder in der DDR im Kindergarten mit Panzern spielen sollten, hat Martha gesagt: Wozu denn das? Da redet ihr jeden Tag vom Frieden und schreibt das Wort in weißer Schrift auf blutrote Plakate und dann schürt ihr Feindbilder bei den Kindern und lehrt sie mit Panzern zu spielen!? Soll das ein Friede sein?

 

Man hat Martha mundtot gemacht. Auf Arbeit gab es keinen Weg mehr für sie nach oben.

Sie war die Beste im Kollektiv, aber die Beste sein, nützte nichts, wenn man mit der Meinung abwich vom Kollektiv. Ihre Kinder bekamen das zu spüren. Studium gab es für sie nicht.

Ists möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

 

Eines Tages kommt die Zeit, hat Martha immer gesagt. Leben und lebenlassen. Es gibt Momente, da lohnt es nicht für sein Recht zu kämpfen. Aber es lohnt sich immer für die Freiheit anderer aufzustehen. Für die Freiheit von Feindbildern, auch mitten im Kalten Krieg.

Martha hat im Dorfkonsum gearbeitet. Sie hat auch ihren Feinden das Brot verkauft. Hats aufgehoben für sie, bis zum Ladenschluss.

Die Leute von der Stasi haben ja schließlich auch ein Kind, das hat Hunger, wenn es abends nach Hause kommt.

Ists möglich, so viel an euch liegt, so habt Frieden mit allen Menschen.

 

Als die Wende kam, hat mancher triumphiert. „Jetzt liegen sie im Dreck die ganzen Bonzen.“

Was nützt das, hat Martha gesagt. Rächt euch nicht selbst. Die Rache ist mein, hat Gott gesagt. Er wird’s wohl machen und alles wenden.

Martha. Weise und alt. So habe ich sie kennengelernt und sie hatte einen ganz anderen Namen. So wie wir alle anders heißen, wenn Gottes Frieden uns vollkommen umfängt.

 

Amen. 

 

 

Mt 5,37 | 1. Mai 2022 | "Ungehaltene Predigten ungehaltener Frauen" - City Hafen Konkordien Mannheim

I

Wehe den Hirten, die sich selber weiden – ich frag mich immer, wie sieht das aus? Eine Kirche, die sich selber weidet?

Richard, zum Beispiel – Pazifist. „Frieden schaffen ohne Waffen.“

Jahrelang hat er das gelebt. Er war Bausoldat gewesen in der DDR und hat lieber schwer auf Baustellen geschuftet, als eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen.

Er hat sich seine Sehnsucht nach Frieden etwas kosten lassen. Damals in der DDR.

Er hat sich verzehrt nach einem Land ohne Aufrüstung und Waffen. Darum hat er mitgemacht in der Friedensbewegung Ost.

Seine Verwandten wusste er im Westen. Dass sie auch protestierten, war sein Trost. Nicht allein sein mit der riesengroßen Sehnsucht. Das ist manchmal schon viel und gibt Kraft.

Als 1983 in Wittenberg ein Schwert umgeschmiedet wurde zu einer Pflugschar, war Richard natürlich mit dabei gewesen. Er wusste, dass er überwacht wird und hat es trotzdem riskiert.

Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. und was darüber ist, das ist vom Übel.

Richard sagt: Wir haben damals ein Wunder erlebt. Aber es hat uns eben auch etwas gekostet.

Mit Kerzenwachs und Gebeten stand er 89 auf der Straße. Friedliche Revolution. Er hat gesehen, wie die Waffen schwiegen, die auf Menschen gerichtet waren.  

Wenn er heute davon erzählt, dann leuchten noch immer seine Augen.  

Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein. Ja zum Leben und Nein zum Tod.

 

II

Als am 24. Februar dieses Jahres Wladimir Putin die Ukraine überfiel, hab ich ihn angerufen und sein erster Satz zu all dem war: Frieden schaffen ohne Waffen. Denn Waffen machten alles nur noch schlimmer.

Ist das so? habe ich gedacht.

Als die Bilder von Butscha bekannt wurden, hat Richard immer noch gesagt: Waffen liefern sei falsch.

Ist das so, hab ich gedacht? und soll das jetzt denn die Lösung sein, dass wir dasitzen, beten und zusehen, wie ein Land einfach angegriffen wird und das alles auch noch in warmen Stuben, wenn´s hoch kommt auch noch geheizt mit russischem Gas!? Soll es das jetzt sein?

Richard blieb bei seiner Position. Er ist mit seinem fundamentalen Pazifismus ja auch nicht allein. Sie wird auch von unserem EKD-Friedensbeauftragten, Friedrich Kramer, vertreten. „Frieden schaffen ohne Waffen.“

Richard wiederholt bis heute diesen Slogan. Dabei ist es doch etwas vollkommen anderes, wenn ein Volk mit Blick auf seine eigene Regierung auf die Straße geht und sagt: Aufrüstung und Waffen, da machen wir nicht mit, als diesen Slogan jetzt wie ein Etikett auf eine vollkommen andere Situation zu kleben.

Sendemasttheologie, nenn ich das, festgefahren in der eigenen Position und Christus, irgendwo unterm Sofa.

Begraben unter dem Fundament der eigenen Erfahrung.

 

III

Ich glaube, dass man sich in seinen Erfahrungen einrichten kann wie auf einem Sofa. So ein Sofa, in dem schon eine Kuhle ist. Man fällt dann ganz von alleine immer wieder auf ein und denselben Platz.

Ich glaube, dass man sich auch in den Wundern, die man erlebt hat, so sehr einrichten kann, dass man die Wunden der andern gar nicht mehr sieht.

Man schwört dann Stein und Bein auf das, was einem selber mal geholfen hat und stülpt es anderen über wie eine Schablone. „Frieden schaffen ohne Waffen.“

Und Christus irgendwo unterm Sofa.

Irgendwo hinter all den wunderbaren Erfahrungen, liegt er dann noch, dieser Christus mit seinem ganzen Aufstand und Protest gegen alles, was das Leben bedroht.

Richards Beharren ist für mich zu einem Sinnbild geworden für eine Kirche, die sich nicht mehr raus wagt, die sich in sich selber verkriecht.

Eine Kirche, die vor lauter klugen friedensethischen Debatten den Nächsten aus dem Blick verliert. Die weder zupackt, noch das Unfassbare dekliniert – was man auf EKD-Ebene ja wirklich mal erwarten könnte.

Denn anstatt mal zu sagen, wie man in einer Welt, in der Putin über Leichen geht, jetzt überhaupt noch bekennen kann: Dass Gott uns alle erschuf, Putin, Selensky. Dich und mich.

Anstatt das mal zu durchdenken, ziehen sich manche Bischöfe und Christen lieber auf ihre Erfahrungen aus den 80er Jahren zurück und sagen mantraartig Frieden ist der Weg, nach dem Motto: mein Wunder, für dich gegeben.

Ich finde es menschlich, mitten in einer Krise erstmal in den Bauchladen der eigenen Erfahrung zu schauen, aber es ist ganz schnell auch übergriffig, daraus die Lösung für andere abzuleiten.

Es erzählt nur von einer Theologie, die sich eingerichtet hat mit ihrem Gott.

 

IV

Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein.

Jesus steht da oben auf dem Berg und er spricht zu uns. Die Seligpreisungen, wo der Himmel beginnt, worauf ich bauen kann im Leben und im Sterben.

Und ich stehe vor ihm mit meiner ganzen Lebenserfahrung. Mit all meinen Haaren auf dem Kopf und mit der Erfahrung einer friedlichen Revolution im Rücken.

Und auf nichts von alldem kann ich bauen, geschweige denn schwören. Auf kein Wunder, kein Konzept, keine Erfahrung.  

Ich muss jeden Tag neu ausloten, was grad dran ist, was mein Nächster jetzt braucht und was hier und jetzt in meiner Macht steht.

Das ist alles andere als leicht und bequem. Das ist mühsam und das macht Arbeit.

In meiner Heimatgemeinde in Ostthüringen wohnen nicht so viele theologisch gebildete Leute, keine Bischöfe und auch kein EKD-Friedensbeauftragter.

Es sind einfache Leute. Viele von ihnen sind gar nicht in der Kirche.

Ende März sind in unserem Nachbardorf 39 Menschen aus der Ukraine angekommen.

Die Turnhalle war das erste Domizil. Menschen haben erstmal Suppe gekocht, Kinder betreut. Haare frisiert. Das was nötig war und was jeder gut konnte.

Gründonnerstag konnten die ersten 30 Personen in eigenen Wohnungen untergebracht werden.

Christentum ganz konkret und ein Glaube, der sich nicht in Debatten verliert, sondern am Ende des Tages einfach zupackt. So wie ihr in eurer Vesperkirche auch.

 

V

„Wir müssen unsere friedensethischen Positionen überdenken“, hat Annette Kurschus vor einigen Wochen gesagt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.

Ja, denke ich. Aber vor allem müssen wir aufhören, in Positionen zu glauben und zu denken.

Ich wünsche mir eine Kirche, die den Mut hat erwachsen zu sein. Eine Kirche, die Abschied nimmt von ihrem Wohlfühlgott, der angeblich zu allem immer Ja sagt, das macht er nämlich nicht.

Eine Kirche, die glasklar Theologie betreibt, auch dort, wo es uns richtig weh tut.

Die den Mut hat zu sagen: Wladimir Putin ist und bleibt unser Bruder in Christus genauso wie Wolodimir Selensky. Gott hat beide erschaffen.

Und einmal wird er kommen und er wird richten über Lebende und Tote.

Und gerade weil das so ist, können wir jetzt nicht tatenlos zusehen, wie Putin das Leben eines anderen bedroht und ein ganzes Land zerbombt. Da können wir nicht tatenlos zusehen..

Ich wünsche mir eine Kirche, die das Unfassbare sagt. Eine Kirche, die ernst macht mit dem Credo. Die immer wieder konsequent trennt zwischen Täter und Tat und den Täter nicht weiter morden lässt. Sondern ihn immer wieder konfrontiert mit seiner Tat. Das wäre ja der Anfang aller Friedensgespräche und ihn dann auch zur Umkehr ruft.

Ich wünsche mir eine Kirche, die es wagt, von dem Gott zu erzählen, der uns zusammendenken kann, allem, was ist zum Trotz. Ein Gott, der größer ist als alles, was wir verstehen und der uns am Ende mal fragen wird: Was hast du mir getan? Wo mich geliebt und gewärmt?

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.  

Jes 43,10 | 27. April 2022 | Ökumenische Hauptkonferenz Nürnberg

Wer bestimmt den Geist des HERRN und wer unterweist ihn?  Bestimmer sein wollten alle schon im Kindergarten. Zumindest in meinem war das so: Thorsten wollte immer sagen, wo es lang geht. Enrico, was gemacht wird. Christian wollte immer bestimmen, womit wir am Ende des Tages spielen: Panzer, LKWs oder doch lieber lebendige Schafe. Sein Vater war Hirte gewesen. Bestimmer wollten alle schon im Kindergarten sein. Unsere Erzieherin griff Gott sei Dank hin und wieder ein, damit jeder und jede auch Freiraum bekam. Das Miteinander spielen war oft nur ein Ringen um die Frage: wer hier wobei gerade gewinnt. Selten, ganz selten waren die Momente, in denen wir gemeinsam etwas erschaffen haben, im Sandkasten saßen und eine Burg gebaut haben. Haben wir jemals spielen gelernt? Frage ich mich. Haben wir jemals gelernt, einander zu sehen? Den Himmel über uns und das was noch möglich werden kann, wenn wir aufhören einander das Leben zu diktieren? Aktuell wird ja wieder viel davon geredet, wo Gott ist und auf wessen Seite er steht. Wem er ganz gewiss nicht den Rücken stärkt. Aber Gott kommt und er macht da nicht mit: bei unserem Rechthaben- und Siegenwollen. Wer bestimmt den Geist des HERRN? Keiner von euch, sagt Gott. In Zeiten wie diesen, wo Gott alle im Namen führen, wo ich an manchen Tagen auch an seinem Rockzipfel hänge und versuche, mich hinter ihm zu verstecken – in Zeiten wie diesen sind das erlösende, mahnende Worte. Wer bestimmt den Geist des HERRN und wer unterweist ihn? Keiner, so die Antwort auf Jesajas rhetorische Frage. Gott lässt sich von uns nicht übers Feld zerren. Weder hinein in die Kriegsgräben, die Menschen graben noch auf die Feste, zu denen wir uns verabredet haben. Er lässt sich nicht in Dienst nehmen. Wir können ihn nicht herbeizitieren. Ich kann noch nicht mal sagen, auf wessen Seite er steht - so als würde ich über ihn verfügen. Denn dieser, unser Gott ist frei. Keiner bestimmt den Geist des HERRN. Keiner und keine von uns. Dieser Gott schwebt und hängt frei in der Luft, am Kreuz, im Leben, in den Wolken. Keiner weist ihn in die Schranken - weder im Hinblick auf seine Liebe noch im Hinblick auf seine endlose Geduld, mit uns diese Welt anzufangen. Ja, er begegnet sogar dem anderen. Dem Feind, dem, der auf der anderen Seite steht. Er ruft uns allen zu: Jetzt ist die Zeit. Kehr um. Mein Reich ist nahegekommen. Das gibt mir zu denken in Zeiten wie diesen, wo alle so gern Gott im Namen führen. Das gibt mir zu denken, in Zeiten wie diesen, wo Gott so viele für sich reklamieren, für ihre politische, ethische, ja sogar militärische Position. Dieser Gott ist und bleibt frei und er ist klüger als wir. Denn seine Liebe besteht nicht in Positionen, sondern in der Hinwendung zu mir und zu dir. Amen.

Ps 143,8 | 21. März 2022 | Landeskirchlicher Beirat/ELKB

 

 

Tu mir kund den Weg, den ich gehen soll; denn mich verlangt nach dir. Worte aus dem 143. Psalm. Worte über diesem Tag.

Mich verlangt nach dir und deinem Frieden. Herr. Diese Worte sind dieser Tage mein ganzer Satz. 

 

Jedes Mal, wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, wenn ich im Zug und an den Bahnhöfen die Flüchtenden sehe, die Müdigkeit in ihren Augen, dann denke: Herr, halte ein. Lass es doch Frieden wieder werden.

Mich verlangt nach deiner Klarheit, Herr! Ja, das flüstert mein Herz. Ein leises Zwiegespräch mit Gott. Denn mich verlangt nach dir.

 

Wenn ich die Nachrichten lese über Kirill und die Russisch-Orthodoxe Kirche. Dieses Stillehalten und Mitgehen. Dieses Hinknien vor einem, der andere in die Knie zwingt - da denke ich immer: In meiner Bibel steht was anderes und ich wünschte mir, dass Gott den Himmel aufreißt und herabfährt mit seinem Wort. Siehe, jetzt ist die Zeit. Aufstehen, umkehren, aufstehen für ein Leben für alle.

 

Ich wünschte mir, dass Gott herabfährt aus seinen himmlischen Höhen und uns den Weg weist. Aber siehe: Er ist längst da. In einem Kind. In einer Krippe, am Kreuz, auf der Flucht und letztendlich im leeren Grab.

Gethsemane für Anfänger. So fühlt sich das dieser Tage für mich an. Eine ganz reale Passionszeit und die Frage ist, für wen und für was steh ich auf?

 

Manche jammern über gestiegene Spritpreise, während andere im Bombenhagel liegen. Die Welt brennt und wir sorgen uns um unsere Heizung. Eine verrückte Welt ist das geworden. Gethsemane für Anfänger und die Frage bleibt: Wofür stehe ich auf? Woran häng ich mein Herz? Wessen Leben will ich feiern?

 

Ich bin dankbar, dass wir dieser Tage einen Kirchentag vorbereiten. Nichts braucht diese zerklüftete und zerschossene Welt  gerade jetzt so sehr wie einen Kirchentag. Ein Zusammenkommen von Menschen, die noch mehr sehen und suchen als das, was auf ihrem Teller liegt. Nichts braucht die Welt gerade so sehr wie einen Kirchentag, bei dem wir den Mut haben von diesem Gott des Friedens zu reden.

Nichts ist in dieser Welt jetzt so nötig wie von einem zu erzählen, der uns zusammendenken kann trotz all der Kriegsgräben und der Schuld.

Jetzt ist die Zeit, sagt Jesus. Jetzt ist die Zeit, sagt er und weist auf ein viel größere Reich hin.

 

Frech und keck ist das und irgendwie auch wahnsinnig mutig. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, kehrt um und tut Buße. Jesus sagt das, als man die ersten schon weggesperrt hatte. Johannes der Täufer, Nawalny und wie sie heute alle heißen. Leute, die den Herrschenden kritische Fragen auf ihre Schreibtische legen. Und wir werden das auch so machen, nächstes Jahr in Nürnberg zum Kirchentag. Mutig, frech und keck. Wir werden fragen: Was bringt uns jetzt zusammen, wofür stehen wir auf? Woran binden wir uns? Wir werden diesen Gott feiern, der Leben für alle hat, für Putin und für Selenski. Für Europa und für Russland.

Wir werden das tun, allen äußeren Zwängen zum Trotz.

 

 

 

Mt 5,33-37 | 5. März 2022 | Landesausschuss Westfalen - Delegiertenkonferenz

Glückliche Liebe.

Der Gott, an den ich glaube, sagt Ja, ja oder nein, nein! Er sagt Ja zum Leben und Nein zum Tod. Er sagt Ja zu einem Menschen namens Wladimir und nein zu Wladimir Putins Worten und Taten. Er fällt den Gewaltigen in den Arm und erhebt die Niedrigen aus dem Staub.

Die Welt ist seit dem 24. Februar 2022 für uns alle eine andere geworden. Wir sind aufgewacht. Die Sonne hat geschienen und Wladimir Putin hat die Ukraine überfallen. Eure Rede sei: Ja ja oder nein, nein. Alles andere ist von Übel.

Die polnische Dichterin Wislawa Szymborska hat kurz vor ihrem Tod ein wunderbares Gedicht herausgebracht in dem Gedichtband Glückliche Liebe.

Sie schreibt darin, dass der Mensch mit seiner Hand alles machen kann. Er kann damit „Mein Kampf“ schreiben, aber genauso auch „Pu der Bär“. Das alles steht in seiner Hand und es ist seine Entscheidung, sich für das eine oder andere zu entscheiden.

 

Es ist unsere Entscheidung, Tag für Tag, woran wir Hand anlegen und woran nicht. Welche Wörter wir in die Welt setzen, wofür wir morgens aufstehen und wofür wir manchmal auch mitten am Tag auf der Straße bei einer Demo sitzenbleiben. Es ist unsere Freiheit, ja und abermals ja zu sagen, oder eben: nein, und nochmals nein.

 

Es ist meine Freiheit, mit meiner Hand den Kindern zu Hause über den Kopf zu streichen und dem Gewalttätigen in die Speichen zu fallen. Es ist meine Entscheidung und aus der Notwendigkeit mich zu entscheiden, komme ich niemals heraus. Keine und keiner von uns.

Worauf soll man sich festlegen, wem folgen – Fragen wie diese standen einst auch für die Jünger im Raum als Jesus auf dem Berg seine große Predigt hielt. Jesus sagte seinen Jüngern: Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist: „Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.“ Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.

 

Was über das Jetzt hinaus geht, kann keiner sagen, geschweige denn soll er sich darauf festlegen. Das wäre vom Übel. Aber hier und heute Ja oder nein sagen, das tut Not und aus der Notwendigkeit, mich für das eine oder andere zu entscheiden, kommt keiner und keine von uns heraus.

 

Was jetzt zu tun ist, kann ich nur jetzt tun. Nicht später. Meine Rede sei ja, ja oder nein nein. Klar und erkennbar sein. Mit meinem Hasenherzen, mit meiner Sehnsucht nach Frieden. Klar sein und Antwort geben auf das Leben meines Nächsten, ohne daraus irgendwelche Muster für alle Ewigkeit abzuleiten. Das ist jetzt an der Zeit. 

 

 

Mt 18,1-5 | 18. Februar 2022 | Konferenz der Landesausschüsse des DEKT

 

Wer ist doch der Größte im Himmelreich? – der Rangstreit der Jünger.

Wer dieser Tage die Nachrichten verfolgt, kann Zeuge werden vom Rangstreit der Mächtigen in der Welt. Ich bin Putin, wer ist mehr? Wer hat das größere Reich? Die meisten Panzer, die größere Streitkraft? Die größeren Gasreserven?

Kräftemessen an unseren Grenzen. Verbales Säbelrassen. Wer ist der Größte - im Himmel und hier?

Gott scheint ganz weit weg in diesem politischen Ränkespiel.

Bei den Jüngern war Gott auch ganz weit weg. Wer ist der Größte?, haben sie sich gefragt und diese Frage, diese Sehnsucht hat sie umgetrieben.

Also nichts wie ihn zu Jesus und ihn fragen. Er muss die Antwort doch wissen, also wer ist der Größte …?

 

Jesus hört sich das alles an und ruft dann ein Kind zu sich. Irgendein Kind und dieses Kind kommt und damit beginnt schon das Wunder. Es kommt einfach, lässt sich rufen.

Jesus stellt es mitten unter die erfahrenen alten Hasen, neben die Jünger, die schon so vieles in ihrem Leben gemacht und erlebt haben, und sagt: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.

 

Kinder galten damals nichts. Sie kosteten Geld und brachten keines ein. Ihr Wert lag noch unter Null. Ein Verlustgeschäft, könnte man böse sagen. Aber für Jesus waren sie wertvoll.

So wertvoll wie die alten Haudegen um ihn herum, seine Jünger, diese erfahrenen Fischer und Seebären; so wertvoll wie die Zöllner, die er zu sich gerufen hatte, Leute, die wussten, wie der Hase läuft.

Für Jesus war dieses Kind wertvoll wie die all jene, die schon so vieles erlebt und geschaffen hatten. Und er stellte dieses Kind mitten unter sie.

 

Dieses Kind hat Jesus mit seinem ganzen Wesen vom Leben des Menschen vor Gott erzählt: Wir halten nichts in unseren Händen. Wir bekommen alles geschenkt. All das erzählte ihm dieses Kind.

Das unerfahrene Kind. Ein Kind, das ohne Namen im Matthäusevangelium bleibt und uns allen den Spiegel vorhält.

Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.

Das Ende des Kräftemessens, das Ende der Angeberei. Einfach kommen und vertrauen, mit Staunen und offenen Händen. Jetzt ist die Zeit, hat Jesus gesagt.

Werden wie die Kinder, die noch nicht alles wissen können, noch nichts gebaut und nichts vollendet haben. Mit Gott zurück auf Anfang.

Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.

 

Vom 7. bis 11. Juni werden wir nächstes Jahr Menschen aus allen Ecken des Landes nach Nürnberg einladen und dort auch aufgenommen werden. Und wir werden diesen Gott feiern, der uns herausruft aus dem Kräftemessen. Einen Gott, der uns hineinruft ins Staunen und Vertrauen.

Wir werden diesen Gott feiern in einer Zeit, wo das Kräftemessen in der Politik wieder zugenommen hat.

 

Jetzt ist die Zeit, hat Jesus gesagt und den Himmel für uns aufgerissen in einem namenlosen Kind.

 

Das Himmelreich beginnt hier und jetzt. Es ist nah. Mögen alle anderen an ihren Weltreichen bauen. Wir bauen da nicht mit. Wir wollen leben. Miteinander. Mit Staunen, Umkehr und Vertrauen.

 

Jesus hat uns dieses Kind gleichgestellt. Als Erinnerung, Mahnung und Zeichen.

Von diesem radikal liebenden Gott werden wir erzählen in Nürnberg, angesichts eines Putin, Orban, Bolsonaro. Angesichts von Menschen, die sich wieder über andere erheben.

 

Von diesem Gott werden wir erzählen, angesichts eines Klimas, das den Kindern dieser Erde die Zukunft wegbrennt.

 

Und wir werden von ihm erzählen in Nürnberg, in einer Stadt, die uns mit ihrer ganzen Geschichte - von Reichsparteitagen bis hin zu den Kriegsverbrecherprozessen - davon erzählt, wohin Größenwahn führt und wie heilsam es ist, endlich umzukehren hin zur Würde und Schönheit aller Menschen. Amen. 

 

 

Mk 4, 35-41 | 6. Februar 2022 | Brüderkirche Altenburg

I

Als ich mich vor fast 5 Jahren bei euch mit einem Gottesdienst vorgestellt habe, habe ich gesagt: Manchmal kommt mir die Kirche vor wie ein rostiger alter Kahn.

Einer, der sich oft nicht mehr raustraut aufs offene Meer; der hin und wieder festliegt im scheinbar sicheren Hafen.

Ein Schiff, bei dem man manchmal den Eindruck bekommen konnte, es gehe eher darum seine eigenen Strukturen zu retten als Menschen zu begleiten und zu retten.

 

Wo ist das Wilde, habe ich mich immer gefragt. Wo ist der Geist, der befreit? Wo sind die Menschen, die aufbrechen, mit nichts als der Verheißung im Gepäck: geh los! Ich werde bei dir sein!

Wo sind die Menschen, die noch wissen – diese Kirche ist auf unsichtbaren Grund aufgebaut, auf etwas, das wir nie und nimmer ganz durchdringen.

 

Wo sind sie, die wilden Seefahrer unter uns? Menschen, die Gott mehr gehorchen als den Leuten?

Und ich habe euch damals in der Kreissynode gesagt: Nehmt mich lieber nicht, wenn ihr so viel frischen Wind nicht wollt, weil das dann für uns alle keinen Spaß macht. Aber ihr habt Ja zu mir gesagt und ich zu euch und so sind wir losgesegelt – mit Gott an unserer Seite.

Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu seinen Jüngern: Lasst uns ans andre Ufer fahren.

 

II

Die Jünger sind aufgebrochen, damals mit Jesus im Boot. Eben noch hatten sie all seine Wunder gesehen.

Hatten gesehen, wie Jesus Kranke heilt. Wie er das anfasst, was verboten war: Aussätzige und Kranke.

Sie hatten gesehen, wie Jesus am Sabbat sogar die Ähren rauft, weil der Hunger so unerträglich groß war.

Staunend standen die Jünger da. Mein Gott, was für ein Mann, dachten sie, was der sich alles traut! Und beten, das kann der auch, sogar so, dass dir das Herz davon brennt.

 

Bei dem wollen wir sein und bleiben, haben sie sich gesagt und viele andere auch.

Das Volk lief in Scharen zu Jesus hin und die Jünger immer schön mittendrin. In dem Windschatten von so einem Herrn fährst du gern.

Und als die Sonne unterging sagte Jesus: Lasst uns mal rüberfahren, ans andere Ufer. Mal sehen, was dort noch so los ist.

Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm.

 

Wird eine glatte Fahrt werden, haben sie sich gedacht, mit so einem Heiland im Boot. Auch bei Nacht.

Bei dem sind wir sicher. Aber nix da. Denn alles was da erst mal kam, war ein großer Wirbelwind und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde.

 

Plötzlich war gar nichts mehr sicher. Alles ein einziges Wanken, überall Wasser. Wo ist hier noch Hilfe und Halt?

Der Zweifel zog auf wie die Nacht und Gott schien ganz und gar weit weg und Jesus schlief hinten im Boot, auf einem Kissen. Wohlgemerkt.

 

III

Ja, ihr Lieben, so ist das mit dem Glauben. Manchmal fühlt sich alles an wie ein Waschmaschinenschleudergang.

Da kommt die Bugwelle des Lebens auf dich zu und trifft dich auf voller Breitseite und du fragst dich: Sitzt Gott eigentlich auf seinen Ohren? Schläft der da vielleicht, da hinten auf seinem Kissen?

 

Ist dem das vollkommen Rille, was grad abgeht? Dass wir hier untergehen? Ist dem das alles egal: Der Missbrauch unterm Dach seiner Kirchen? Das Sterben unserer Gemeinden? Der Hass im Netz und auf den Straßen und all das, was dich trifft, wenn du den Mund dagegen aufmachst.

 

Manchmal fühlt sich das alles an, wie ein einziger Waschmaschinenschleudergang und du merkst: Dein Glaube bewahrt dich vor gar nichts. Vor keiner Krankheit, vor keiner Krise, vor keinem Tod.

Der hilft dir da höchstens hindurch.

 

Und Jesus stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und es legte sich der ganze Wind. Und er sagte: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?

 

IV

Wir haben hier im Kirchenkreis auch so manch heiße Welle geritten und für so manches auch Dresche bezogen in der Öffentlichkeit.

Aber ehrlich gesagt, mir was das immer Rille, weil ich wusste, wofür ich jeden Tag mit euch aufstehe. Für eine Kirche, in der es sich zu leben lohnt. Luftig, offen und frei.

 

Eine Kirche, in der du dich einbringen kannst, mit allem was du bist, mit deinen Gaben, egal, was du beruflich machst.

Ich wusste, wofür ich jeden Tag auf Arbeit geh: für eine Kirche, wo keiner sein Amt missbraucht, wo nicht der Pfarrer regiert, sondern Gott uns alle mit seinem Wort regiert.  

 

Und ich sag euch eins, es hat sich jeden Tag gelohnt, trotz Gegenwind und mancher Welle.

Und wenn es ganz dicke kam, habe ich mir immer nur gesagt: was solls, ich bin getauft, mich trägt doch hier was ganz anderes und ich arbeite auch nicht für Applaus.

 

Ich glaube am Ende meines Lebens steht über mir mal ein Wort, das nicht mit der Druckerschwärze dieser Welt geschrieben werden kann. Also, so what!?

Lieber verbrenn ich mir den Mund, als dass ich zum Unrecht schweige.

Lieber steh ich mitten im Sturm, als dass ich am Ende meines Lebens mal sagen muss: ach wärst du doch ein besserer Mensch gewesen und hättest den Mund aufgemacht.

 

Und es war für mich immer das Schönste, dass ich mit dieser klaren Haltung hier niemals alleine war.

 

Die wilden Seefahrerleute, ich habe sie hier in so vielen von euch gefunden.

Verwegene, herzensfromme Leute, witzige Menschen, mit denen man lachen und beten kann.

Menschen, die aufstehen gegen die Hetze und den Hass. Nicht nur als Kommunalpolitiker. Und ich sag euch eins: bleibt standhaft, egal, was noch kommt! Denn Liebe und Neugier sind immer größer als all die Angst.

Ich habe viel mit euch gelernt und gelacht.

 

Und ich sag es mal so: Wir waren gewiss nicht immer perfekt, aber wir waren schon ziemlich gut unterwegs. Ganz besonders bei Gegenwind. Und mehr geht einfach nicht.

Ich bin stolz und dankbar, dass ich hier mit euch arbeiten durfte an dieser unsichtbaren Kirche, auf wackligem, unsichtbarem Grund.

 

V

Ich breche nun nach Fulda auf und ihr mit einer neuen Leitung in die Zukunft eurer Gemeinden.

Das wird gewiss auch wieder eine wilde Fahrt werden.

 

Keiner von uns weiß, was uns da am jeweils anderen Ufer erwartet. Aber eines weiß ich: Gott sitzt schon längst in unserem Boot.

Denn der klebt an uns wie die Haut auf unsren Händen. Der ist da und der weckt auch uns gewiss ab und zu auf und sagt: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr immer noch gar keinen Glauben? Los lasst uns mal ans andere Ufer fahren und so fahren wir los.

Und egal wie viele Kilometer uns trennen werden, wir treffen uns im Gebet und wenn ihr wollt – und so Gott will und wir leben – dann auch beim Kirchentag.

 

Und bis dahin lasst uns aufstehen in dieser Welt und bekennen, was das Leben ist und was dem Leben dient.

Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.

Hinabgestiegen in das Reich des Todes. Am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche. Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

1 Mo 11,1-9 | 5. Februar 2022 | Nürnberg

 

Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.

Die ersten drei Dinge, die mir zu Nürnberg einfallen:

Christkindlsmarkt, Reichsparteitage, Kriegsverbrecherprozesse.

Nürnberg – die Stadt der Erkenntnis und Umkehr.

Einmal hatte hier alles einerlei Sprache und Zunge. Deutsche Geschichte. Denken in Uniform. Ganz Deutschland rannte einem hinterher.

Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel. Lass uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen.

Größenwahn, auch abseits von Babel. Unsere Geschichtsbücher sind voll davon. Nicht nur in dieser Stadt.

Aber Gott kam und hat die Sprache verwirrt. Gott sei Dank. Er fuhr hernieder und verwirrte die Sprache der Menschen.

Keiner verstand plötzlich den anderen mehr. Es war aus mit dem Gleichschritt und Gleichklang der Herzen. Mit dem Gleichschritt im Fühlen und Denken. Das Ende der großen Gleichmacherei.

Jeder war plötzlich wieder er selbst. Etwas Einzigartiges in der Welt.

Die Menschen mussten sich wieder ins Gesicht sehen, in die Augen und auf die Lippen schauen, um einander auch nur ansatzweise zu verstehen.

Sie mussten hinsehen und hinhören, hingehen und versuchen einander zu verstehen.

Was meinst du das? Wie fühlt sich das für dich an? Was willst du und wo willst du hin?

 

Es war langsam und mühevoll dieses Reden und Leben, aber es war schön.

Der Turmbau zu Babel und das Ende der großen Gleichmacherei, das Ende des Größenwahns. Gott hat uns in Vielfalt gewollt.

Nürnberg, die Stadt der Erkenntnis. Dürer und Führer. Die Stadt der Kriegsverbrecherprozesse und der Umkehr.

Die Stadt, wo einer einst alles haargenau aufgezeichnet – nicht nur einen Hasen - und später haben andere ganz genau zugehört und die Wahrheit ans Licht gebracht.  

Nürnberg, die Stadt, in der um Worte gerungen wurde. Worte, die uns wieder verbinden. Ja, jetzt ist die Zeit, hat Jesus gesagt.

Wir werden in dieser Stadt Kirchentag feiern. Mitten in einer Zeit, die sich hin und wieder so anfühlt, als hätte Gott uns die Sprache verwirrt.

Der eine sagt Corona und der andere flippt aus, kann das alles nicht mehr hören.

Der eine sagt notwendige Einschränkungen in der Pandemie und dem anderen rutscht der Sinn für das Grundgesetz weg. Warum das gut ist und warum es das braucht.   

So mancher zieht sich in den Turm seiner eigenen vier Wände zurück und setzt sich selbst absolut. Aber was wird aus einem Land, in dem es so zugeht?

Jetzt ist die Zeit, hat Jesus gesagt.

Er hat es gesagt, als Johannes gefangen gesetzt worden war. Weggesperrt von Leuten, die meinten, was der sagt, das wollen wir nicht hören.

Aber Jesus lässt sich davon nicht bange machen. Er weiß von etwas viel Größerem, das auf uns zukommt und das uns trägt. Jetzt ist die Zeit, sagt er.

 

Das Reich Gottes ist nah und es reicht weiter als das, was wir mit unseren Händen jemals bauen können und weiter auch als das, was wir sehen und verstehen. Das ist unser Trost und unsre Schönheit. Amen.

 

Jes 42,1-5 | 9. Januar 2022 | Brüderkirche Altenburg

 

I

Kennt ihr das, ihr Lieben, etwas läuft nicht so, wie man das will, ist enttäuscht und wird zum Opfer seiner ganzen Gefühle? Man springt innerlich in die Luft, wie so ein HB-Männchen und wenn irgendwas nicht passte: innere Explosion.  

Man schwebt dann über den Dingen und es hagelt dann Kritik über alles, was nicht den eigenen Maßstäben entspricht. Überzogen ist das oft und auch irgendwie gottlos.

In diesen Tagen ist das fast Usus. Da werden Impfunwillige zu Mördern erklärt, weil das fahrlässige Körperverletzung sei, was die da so machen – und Impfgegner verunglimpfen unsere Demokratie als Diktatur.

Wo ist noch Mitte und Maß und wo ist noch einer, der uns tröstet und zusammenführt.

Jesaja hat seine Freunde mitten in solch einer Krise auf Gott hingewiesen und er hat ihnen erzählt, woran Gott seine Freude hat und was der Weg zum Frieden, zum Leben wohl sein kann:

 

II

Siehe, sagt er, das ist mein Knecht, einer an dem ich Wohlgefallen habe. Das ist einer, der schreit nicht rum auf Gassen und Sra0en. Es ist einer, der das geknickte Rohr nicht noch gänzlich zerbricht und einer, der den glimmenden Docht einer Kerze nicht noch auslöscht, sondern Recht und Gerechtigkeit austrägt und an all dem auch nicht zerbrechen wird.

Jesaja hat seine Freunde an diesen Gott erinnert in einer ganz schwierigen Situation. Man lebte im Exil, man hatte so viel verloren, alles war auf Neuanfang gesetzt und die Herzen waren in Aufruhr. So mancher hat sich nach Ordnung und einer starken Hand gesehnt. Einer, der alles wieder richtet. Ein Heiland mit Gewalt!? – So nicht, hat Jesaja gesagt.

Denn mit Gewalt in Wort und Tat, mit Verdammung, mit einem Niedertreten – und sei es nur im Geiste – bekommt keiner Heimat und Frieden zurück. Keiner von uns.

Jesaja hat an Gott erinnert, der das Geknickte am Leben halten wird. Die Brüche und Risse aushalten, auch wenn noch längst nicht alles wieder aufgerichtet, heil geworden ist.

 

III

Ihr Lieben, mich bewegen Jesajas Worte sehr in diesen Tagen. Wenn ich an die Gespräche denke – bis in die eigene Verwandtschaft hinein – wie schnell und hart da geurteilt wird übereinander. Und immer hat man gleich das ganze Recht auf seiner Seite – angeblich.

Die gezückten Schwerter auf der Herzrinde unserer Zunge.

Die Übergriffe auf Polizisten. Die Grenzüberschreitungen und Missachtungen von Regeln. Das verletzt das Kostbarste, was wir überhaupt haben – unser friedliches Zusammenleben. Und es zeugt nur von fehlendem Respekt und eigener Maßlosigkeit.

Nichts braucht dieses Land gerade so sehr wie Menschen, die sich noch an Gott gebunden wissen, die daran glauben, dass er Richter über Leben und Tote ist. Nichts brauchen wir gerade so sehr wie Menschen, die uns mit Sanftmut vorangehen und sagen: wir sind hier noch nicht am Ende. Es wird noch anders kommen.

 

IV

Ich hatte mal einen Kollegen, der war immer sehr bedächtig. Manche sagten: der traut sich einfach nicht, mal auf den Tisch zu hauen.

Wenn auf Arbeit immer schon alle wussten – der und der gehört vor die Tür gesetzt, da sagte er immer: Moment mal. Wer weiß, was gerade mit ihm los ist.

Wir wollen erst mal hingehen, hören und mit ihm reden. Reagieren können wir dann immer noch und unsere Konsequenzen aus seinem Handeln ziehen.

Ich habe von seiner bedächtigen Art mehr gelernt als von all den Haudegen und Raufbolden der Nation.

Ich habe von seiner friedliebenden Art mehr mitgenommen als von all den Menschen, die immer schon die Antwort vorher wussten und am Ende immer nur ihre eigene Moral präsentiert haben.

Ich habe von ihm gelernt, dass wir immer nur einen kleinen Teil der ganzen Lebenswahrheit wissen und dass es Gespräche und ein Zuhören braucht, damit nichts alles den Bach runter geht.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen. Gottes Knecht. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen an den Dingen in der Welt, bis er auf Erden das Recht aufrichte, und die Inseln warten auf seine Weisung.

 

V

Ja, die Inseln warten auf alle auf Gottes Weisung. Das unverbundene. Wir warten alle auf ein Wort, das uns wieder zusammenbringt in unserer Gesellschaft. Ein jeder auf seiner Insel, mit seiner eigenen Meinung.

Als mir eine Bekannte vor wenigen Wochen erzählte, wie sie beschimpft wurde und mir dadurch klar wurde: sie ist gar nicht geimpft, da ist mir auch erst mal die Spucke weggeblieben.

Ich habe gedacht: Hilfe, wie kann das nur sein!? Du hast doch Kinder. Was ist, wenn dir etwas passiert? Und ich habe sie gefragt: „Hast du denn keine Angst?“

„Nein“, sagte sie „ich habe schon so vieles durchgemacht, mein Körper hat so viel überstanden, ich will das jetzt nicht zuführen.“

 „Und ich bin das dritte Mal geimpft.“ Habe ich zu ihr gesagt. „Ist doch gut“, meinte sie und hat gelacht.

So standen wir da. Jeder auf seiner Insel und man denkt: wo ist denn die Brücke: Zwischen uns nur Wasser und manchmal da hast du nur noch ein Wort.

Und alles wartet auf Weisung.

Ihr Lieben, es braucht Mut nachzufragen. Jemanden verdammen, das ist leicht und das geknickt Rohr noch zu zerbrechen, das ist auch unendlich leicht. Aber es braucht Mut, nachzufragen und die Frage zu stellen: Warum? Warum machst du das so?

Und es braucht dann auch den Mut, die Antwort auszuhalten, die ganz gewiss nicht meine ist und auch niemals sein wird. Und in alledem sich dann noch gebunden zu wissen: in einen Himmel und einen Gott.

Und diesen Mut, den schenkt uns Gott in Jesus Christus. Amen.

 

Und der Friede, den er bringt und der höher ist als alles, was wir begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Micha 5,1-4a | 24. Dezember 2021 | Brüderkirche Altenburg

I

Ihr Lieben: Bethlehem Efrata, Altenburg. Alles in einer Linie.

 

Es gibt Leute in Ostthüringen, die sagen: „Naja, für die Landesregierung in Erfurt, da hört Thüringen ja hinter Jena auf. Wir hier sind Niemandsland. In the middle of nischt. Pampa.“

 

So manche hier in dieser Region fühlen sich hin und wieder nicht so richtig gesehen, manche auch abgehängt. Und wahrlich, wenn ihr zurückblickt über die letzten 30, 40 Jahre es hat sich unglaublich viel für euch geändert.

Schönes ist gekommen und auch Schweres. Verluste. Unsere Stadt mit ihrer ganzen Architektur, sie erzählt uns davon.

Von den Neuanfängen und Abbrüchen.

 

Ja, so mancher hier fühlt sich nicht so richtig gesehen und manche sagen in diesen Zeiten auch, „ist doch eh egal; was kümmert mich der Staat! Pandemieeinschränkungen mit mir nicht.!

 

So mancher macht nur noch, was er will; wie Kinder in der Pubertät und träumt sich weg ins große Leben. Und mitten hinein erreicht uns heute Michas Wort:

Und du Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Tausenden, aus dir soll mir der kommen, der Frieden bringen wird.

 

II

Ihr Lieben, ich mag den Propheten Micha sehr.

Das war so etwas wie ein Dorfältester oder man könnte auch sagen Bürgermeister. Er hat mitten in einer Krise den Leuten in seinem Ort das Jammern nicht durchgehen lassen und das war damals wirklich eine vertrackte, schwere Situation.

 

Bethlehem lag im Südreich. Juda und im Nordreich Israel, da hatte man alles schon verloren.

 

Die Verwandten kamen als Flüchtlinge in den Süden. Sie hatten schlimme und schwere Geschichten mit im Gepäck. Die haben mit Ohnmacht angefangen und endeten mit Angst.

 

Und die Leute sagten, das wird nie wieder heil werden. Dass wir mal zurückkönnen und übrigens, es ist sinnlos, sich zu engagieren. Man könne ja doch nichts tun.

 

Und genau da sagt Micha, so nicht, ihr Lieben. So nicht. Macht euch doch bitte schön selber nicht so klein.

 

Micha. Man hat ihn damals auch einen Propheten genannt. Denn er hat die Menschen daran erinnert, was ihr Leben sein könnte, wie es sein könnte und wie Gott es gemeint hat.

Nämlich wunderbar, großartig und schön. Also steht auf, hat Micha gesagt, bringt euch ein. Damit es besser werden kann in diesem Land.

 

 

III

Ihr Lieben, ich denke in diesen Zeiten ganz oft an den Mut unserer Väter und Mütter, Großväter und Großmütter, an den Mut unserer Brüder und Schwestern in Ost und West.

 

Als der Eiserne Vorhang noch hing und Kalter Krieg war, da haben sie nicht locker gelassen von der Wiedervereinigung zu träumen. Sie haben gesungen und gebetet dafür. In Ost und West. Auch ihr hier.

 

Sie haben von einem friedlichen Europa geträumt und von Abrüstung. Sie sind dafür aufgestanden und eingestanden: Für Frieden und Gerechtigkeit, für ein freies Land und für Demokratie.

Das ganze ersehnte Glück – es ist alles auf uns gekommen. Auch wenn so manche dieser Tage das verachten – einen freien, demokratischen Staat.

 

Dennoch: Wir haben das Glück unter uns. Und nicht ein Wort war damals egal, nicht eine Kerze war umsonst entzündet, nicht ein Gebet um Frieden umsonst gesprochen.

 

Was wir tun, das kann alles verändern. Immer wieder hin zum Guten und es ist nicht egal, was wir tun und mit wem wir mitgehen. Wofür wir einstehen.

 

IV

Micha hat gesagt: Es wird vielleicht schwer werden. Gerade wenn alles so zerrissen ist. Der erste Schritt ist meistens ganz schwer und du weißt ja auch gar nicht, wie es enden wird.

 

Er hat gesagt: Gott lässt uns manchmal plagen. Das ist wie bei einer Geburt.

Da wehrt sich und wölbt sich alles nach außen gegen die Welt und du weißt noch gar nicht, was rauskommt.

Und trotzdem können es wir doch nur in Hoffnung miteinander wagen.

Ein Trostwort für unser Land. Gerade in dieser zerrissenen Situation.

 

Ein Trostwort für Familien, wo so mancher seine Verwandtschaft heute nicht an einem Tisch versammeln kann, auch weil scharfe Debatten entbrannt sind um das Thema geimpft oder nicht.

 

 

V

Ihr Lieben, wir feiern heute Jesu Geburt. Wir feiern, dass einer in diese Welt gekommen ist, der uns zusammendenken kann und das finde ich so ein wunderbares Glück.

 

Dieser Gott denkt und liebt uns zusammen. Egal, was uns auf Erden trennt. Egal wie viele Kilometer gerade zwischen uns und den Verwandten gerade sind, egal wie viele Sichtweisen und Standpunkte uns trennen. Dieser Gott denkt und liebt uns zusammen.

 

Es ist einer, der das Licht anmachen kann in unserem Herzen. Der das Feuer in uns entzündet für das Gute, dass wir es weitergeben.

 

Es ist einer der da ist; der mit uns auch spazieren geht, tief in der Nacht, aber ohne Hetze und Hass. Und das ist der Unterschied.

 

Es ist einer, der uns zusammensieht: Ochs und Esel, in einem Stall und wenn´s sein muss die ganze Verwandtschaft dazu, alles was schön ist und manchmal auch unendlich weh tun kann.

 

 

Dieser Gott liebt uns und seine Ankunft feiern wir und so sei es. Amen. 

 

 

Jes 63,15-64,5 | 5. Dezember 2021 | Brüderkirche Altenburg/Altenburg TV

I

Hei, du da oben, komm raus aus deiner heiligen Wohnung!

Jesaja - ein arschcooler Typ. Steht da und schreit unsren Gott an. Mach dich gefälligst mal raus aus deinem Elfenbeinturm. Lass dich hier mal wieder blicken mit deiner ganzen Herrlichkeit!

Hier geht’s drunter und drüber. Jeder ist nur noch sich selbst der nächste. Und du löst dich einfach in Luft auf!? Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Wo ist nun dein Eifer und deine ganze Macht! Los da, komm raus und zeig dich.

Jesaja packt Gott am Schlawittchen, er brüllt und ruft nach seinem Gott.

Er ruft, weil er nichts mehr von ihm spürt.

 

II

Gestern hab ich auch nach Gott gerufen. Als der Anruf kam und es hieß, dass eine gute Freundin von mir schwer krank ist:

Da hab ich gerufen nach Gott. Da hab ich mit ihm geschimpft: jetzt reicht´s.

Wo bist du eigentlich, wo bist du eigentlich mit deiner ganzen Macht, mit deinem ganzen Brimborium. Kannst du nicht einmal dafür sorgen, dass es gut wird?

Reicht es nicht zu, dass der Ton in der Stadt immer rauer wird, jetzt auch noch das Leben?

 

Ich habe Gott mit meiner Klage in den Ohren gelegen und ich habe die ganze Zeit gedacht: Mein Gott, so nicht.

Das lass ich dir einfach nicht durchgehen. So leicht kommst du mir jetzt nicht davon, also fahr gefälligst vom Himmel herab und zeig dich mit deiner Güte! Zeig dich, wenn du mutig bist.

 

Deine große, herzliche Barmherzigkeit, die hält sich hart gegen uns.

Meine Freundin meinte, lass gut sein, ich hatte doch schon 50 schöne Jahre. Jetzt kommen halt die weniger guten.

Und ich hab die ganze Zeit nur gedacht: nix ist daran gut. Gar nichts an dieser verdammten Krankheit.

 

III
Kürzlich beim Impfen sagte der Krankenpfleger zu mir: Und was machen Sie so beruflich? Kirche, hab´ ich gesagt, ich bin Pastorin.

Ach, das ist ja toll, meinte er, da kann ich sie gleich mal was fragen. Diese ganze Pandemie hier, dieses Virus – also wie kann Gott denn sowas zulassen oder ist das alles eine Strafe?

Eine Strafe? Wieso? Wofür bitte schön sollte das denn eine Strafe sein? Nein, ganz gewiss nicht, hab ich gesagt.

Ich glaube generell nicht an einen strafenden Gott, einen, der den Knüppel rausholt nach 50 fetten Jahren, einen, der es nötig hat, im todbringenden Virus zu erscheinen, um damit Menschen zur Besserung zu rufen. Oder gar zu sowas wie Dankbarkeit.

 

Ich glaube nicht an so einen dunkelbösen Gott. Eher an einen, der manchmal ganz schön fern sein kann und der uns da durch trägt, einer, der Licht anmachen kann im Dunkeln.

Sterne schickt und Leute, die helfen, Ärzte, kluge Leute und so was. Aktion Wunder halt.

An so was glaub ich, aber nicht an einen strafenden Gott.

 

IV

Jesaja hat das auch so geglaubt. Er wusste: Unser Gott kann uns retten. Er kann uns Wege aufzeigen im Chaos, wie damals im Exil. Als gar nichts mehr ging, da war er da und hat uns geholfen wieder Ordnung im Leben zu schaffen. Und gerade weil Jesaja das alles mit Gott erlebt hatte, hat er überhaupt nicht verstanden, wie Gott sich auf einmal so aus dem Staub machen kann. Erst rettest du uns, dann bist du auf einmal weg. Was soll das? Sieht so vielleicht Liebe aus?

 

Was bist du denn bitte schön für ein Schöpfer, erschaffst uns und lässt uns dann im Stich.

Nach all dem, was wir miteinander durchgemacht und überstanden haben, machst du dich einfach aus dem Staub? Wie irgend so ein Typ, dem es nach 30 Jahren Ehe langweilig geworden ist?

Warum lässt du dich denn gar nicht mehr blicken!?

Warum lässt du alles in diesem Land den Bach runter gehen, das kann doch alles gar nicht wahr sein!?

 

Wir sind geworden wie solche über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

 

Diese Rohheit der Sprache, diese rabiate Art im Land, keiner hat mehr Achtung vor dem, was er nicht sieht.

Und du tust so, als wäre dir das egal!? Löst dich einfach in Luft auf?

Schau herab aus deinen heiligen Höhen.

Du machst dich doch lächerlich, wenn du jetzt einfach so abhaust. Machst erst die ganze Welt und lässt dich dann nicht mehr blicken. Du machst doch deinen Namen nur kaputt!

Wie soll denn die Welt noch an dich glauben, wenn das hier so weiter geht?

Jesaja hat Gott ganz schön ins Gewissen geredet.

 

V

Und was soll ich euch sagen: Gott kam.

Er kam und leuchtet mit seinem Wunder.

Er kam zu Maria, dieser staubtrocknen Magd und hat mit ihr die Liebe zur Welt gebracht.

Er kam in Jesus.

Er kam als Kind und ging mit durch den Tod.

Er kommt in dem Arzt, der meiner Freundin helfen wird, denn darauf hoffe ich.

Er kommt und brennt uns Jüngern ein Loch ins Herz, wie damals in Emmaus.

 

Dieser fern nahe Gott lässt sich erweichen. Er kommt und reißt den Himmel wieder auf und hält den ganzen Wahnsinn mit aus.

Ab und zu, ihr Lieben, da müssen wir ihn an uns erinnern, nach ihm rufen – wie ein Kind, das nachts nach der Mutter schreit. Komm her, wir brauchen dich jetzt grad. Jetzt hier, grad ganz doll.

 

Wir brauchen dein Licht, deine Wunder.

Und wir zünden jetzt schon mal die Kerzen an, damit du uns finden kannst.

Lauter Lichter, wir - deine Landebahn, also komm Gott, setzt zur Landung bei uns an.

 

Er kommt und schaut uns liebevoll an. Daran glaube ich.

Amen.

 

 

 

 

Jes 65,17-25 | 21. November 2021 | Rückersdorf/DLF

 

I

Ich will einen neuen Himmel schaffen. Worte in der Fremde. Worte für Menschen, die den Himmel im Leben grad gar nicht mehr sehen -    nicht mehr wissen, wo sie stehen. Wo das Leben ist, wie es weitergeht.

Ich will einen neuen Himmel schaffen.

Worte für die Deportierten des Volkes Israel, damals im Exil.

Sie waren herausgerissen aus ihrem Leben. Hatten auf die falschen Mächte gesetzt. Der Verlust der Heimat war dafür nun die Quittung.

Viele hatten alles verloren. Haus, Heimat und Kind, die liebsten Verwandten. Alles weint.

Alles weint und Jesaja sagt: Nicht stehen bleiben. Ihr Lieben, jetzt bloß nicht stehenbleiben! Lasst uns weitergehen, lasst uns jetzt leben, hier in der Fremde vor unsrem Gott; auch wenn alles grad schwer ist.

Denn so spricht der HERR: Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.  

 

II

Ihr Lieben, als vor über 30 Jahren hier im Osten so viele Betriebe geschlossen wurden, quasi über Nacht: VEBs, LPGs, auch die Wismut in dieser Bergbauregion, da ist für manche eine Welt zusammen gebrochen.

Wie weiter, hat sich mancher gefragt. Wovon soll ich jetzt leben? Man war plötzlich fremd im eigenen Land.

Du hast zwar immer noch in derselben Straße und im selben Haus gewohnt, aber das Land ringsum war ein ganz anderes.

Was gestern noch zählte, das zählte jetzt nicht mehr. Alles neu!?, alles nochmal von vorn beginnen!? Ja, so hat sich das angefühlt.

So mancher – auch von euch – hat sich aufgerappelt, sich aufgemacht und einen neuen Himmel im alten Land gefunden.

Aber so mancher kam damals nicht hinterher und so mancher kommt heute nicht mehr mit.

 

Abseits der großen Städte, da wo auch heute nur noch das Tankstellenschild von ferne leuchtet, da fühlt sich so mancher hier abgehängt und fremd im eigenen Land.

Ein skeptischer Blick auf alles, was neu oder fremd ist – das begegnet mir hier ganz oft.

Hauptsache Grenzen dicht, sagt Eddi.

Eddi glaubt nicht an Gott. Hat er noch nie. Aber er glaubt, dass die Ausländer an allem schuld sind.

Daran, dass die Jugend weggegangen ist, daran, dass er nie wieder so richtig auf die Beine kam seit der Wende.

Im Herbst hat Eddi gewählt. Mit Wut im Bauch und Frust im Herzen, ja, sagt er: Ausländer raus!

 

III

So nicht, sagt Jesaja. So nicht, meine Lieben.

Grabt euch nicht ein in den Hass. Schnitzt euch keine Feindbilder. Davon kriegt ihr keinen Zentimeter der Zukunft nach vorn, nicht einen Zentimeter!

Gott will, dass ihr hier lebt, auch wenn sich vieles fremd und komisch anfühlt. Baut euch Häuser und wohnt darin. Bringt euch ein in dieses Land. Denn so spricht der HERR:

Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, so dass man der vorigen nicht mehr gedenken wird.

Es wird schön werden, sagt Jesaja, und ihr habt alles in euch, was ihr dazu braucht. Also steht auf, bringt euch ein!

 

Ich stelle mir vor, wie die Männer und Frauen damals diesen Jesaja angeschaut haben. Die Hinweggeführten und Deportierten.

Ich stelle mir vor, wie sie die Tränen noch in den Augen hatten, weil alles sich so unglaublich schwer angefühlt hat – wie sie ihn reden hörten, ihren Jesaja:

So mancher hatte alles verloren. Aber dieser Jesaja steht da und macht den Himmel so weit und so groß.

Steht da und sagt: Ihr LIeben, es wird Brot für uns alle da sein für Wolf und für Lamm und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.

Neu anfangen in der Fremde. Ganz ohne Feindbild und ohne Angst. Neu anfangen, wenn Dir alles im Leben fremd geworden ist.

 

Ihr Lieben, hier im Osten hat Gott einen ganz schweren Stand, finde ich. So mancher hat keine Hoffnung.

So mancher glaubt nur noch das, was er sieht oder was er selber für richtig hält.

So mancher hier hat auch Angst. Dass einem nochmal der Boden unter den Füßen wegbricht. Und ich kann diese Angst auch verstehen.

Aber es gibt hier Parteien, die spielen mit genau dieser Angst, ohne dass es einer wie Eddi auch nur im Geringsten merken würde.

Ganz leise und fies machen die das. Sie spielen Menschengruppen gegeneinander aus.

Sie sagen, die da oben sind schuld, daran dass du dich so mies fühlst.

Sie sagen: Den Klimawandel gibt es nicht. Müssen wir gar nix tun.

Es sind Politiker, die Feinbildern schaffen und die Hass zwischen uns schüren:

Die da oben gegen die da unten, heißt es dann. Unser Geld nur noch für deutsche Rentner, sagen sie.

Sie zelebrieren eine Gemeinschaft, die nur bis zum Ende des eigenen Ellenbogens reicht und wer nicht so tickt, wie die, fliegt raus.

Wolf gegen Lamm, das ist da die Devise. Fremde gegen Einheimische. Zugezogene gegen Eingeborene. Impfgegner gegen Impfbefürworter. Leben mit Feindbild. Soll es das sein?

So nicht, hat Jesaja gesagt, so nicht ihr Lieben! Und er  hat uns das Bild einer neuen Erde vor unsere Augen gemalt. Eine Welt ohne Hass, eine Welt, wo das Ewige unter uns wohnt.

 

IV

Mein Großvater war im zweiten Weltkrieg Soldat gewesen. Er hat in Frankreich gekämpft.

Er war dort auch in Kriegsgefangenschaft.

Er hat arbeiten müssen bei einer Bäuerin auf dem Feld, zusammen mit anderen Gefangenen.

Die Bäuerin hat die ganze Woche von einem Huhn gelebt und für alle daraus Suppe gekocht.

6 Tage lang gab es Suppe und am siebten Tag das Fleisch. Für alle auf dem Hof.

Auch für die Gefangenen.

Mein Großvater wurde gut behandelt, obwohl er als Feind in dieses Land gekommen war, mit Waffen.

Wolf und Lamm zusammen an einem Tisch, ihr Lieben!

So ist das, wenn Gott unter uns wohnt.

Wenn das Ausspielen von Menschen gegeneinander ein Ende gefunden hat und das Ewige unter uns aufbricht. Wenn wir begreifen, dass wir Menschen sind.

 

V

Einmal, ihr Lieben, da werden wir alle sterben und wir werden nichts mitnehmen können und ich glaube auch nichts mitnehmen müssen.

Denn alles, was wir brauchen, wird da sein. Und spätestens dann, ihr Lieben, liegen wir alle auch in ein und derselben Erde.

Wolf und Lamm. Angsthasen und Demokraten.

Und einer hat das letzte Wort und wird uns richten und der schaut uns liebevoll an. Dann wird Frieden sein.

Erst dann wird Friede sein, sagen manche, erst ganz am Ende. Jesaja sagt: Fangt doch jetzt schon damit an.

Wagt den Frieden unter euch und nicht nur euer Ende.

Wolf und Lamm werden beieinander liegen und man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der HERR; weil das Ausspielen von Menschen ein Ende hat.

Ihr Lieben, ich suche diesen heiligen Berg und mit mir so viele andere.

Ich suche ihn mit der Kraft all derer, die mir vorausgegangen sind im Glauben. Mit den Großvätern und Großmüttern, den Onkels und Tanten. Mit all denen, die zu lieben gewagt haben, wo alles im Chaos war.

Und ich glaube, sie tanzen jetzt schon mit Gott, hinter dem Vorhang der Zeit. Dort, wo alle Bosheit ein Ende hat.

Sie tanzen, denn Ewigkeit, ihr Lieben, ich glaube, das gibt’s nur zu zweit. Das ist ein Ich und ein Du, ein Wolf und ein Lamm und einer schaut uns liebevoll an.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Mt 10,34-39 | 24. Oktober 2021 | Agnes-Gedächtniskirche Altenburg

Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert – ihr Lieben, man liest diese Worte und denkt, das kann doch kein Bibelwort sein. Ist es aber. Jesus. Eine Irritation.

 

Vor zwei Wochen habe ich in einem Frauenkreis diesen Bibeltext verlesen lassen, da ist den Damen dort fast die Kinnlade runtergefallen.

„Ist ja gruselig“, sagte eine Frau. „Und sowas steht wirklich in der Bibel? Das kann doch unmöglich sein!“

„Und überhaupt, wie soll das zusammen gehen, Jesus, das Kind in der Krippe, das den Frieden bringt und dann so ein Spruch?“

Ja, ihr Lieben, wie soll das zusammen gehen? Man bekommt es im Herz gar nicht zusammen.

Jesus, der alles trennen will: Mutter und Kind. Vater vom Sohn. Schwiegermutter und Schwiegertochter. Das mit der Schwiegermutter bekommen viele zwar auch ohne Jesus hin – aber Spaß bei Seite. Bei diesem Text rettet kein Galgenhumor.

 

Denn Jesus treibt hier etwas auf die Spitze:

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

Über Gott soll nichts anderes stehen. Noch nicht mal der eigene Vater, die eigene Mutter. Nichts soll uns einengen, festhalten und binden – in unserer konsequenten Nachfolge auf Jesu Spuren.

Und wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

 

Im Frauenkreis war es ganz still geworden, als wir uns über all dies unterhalten haben. Mag sein, dass das alles stimmt. Das man nichts über Gott stellen soll, aber so richtig konnte dem Text etwas Schönes abgewinnen.

Der Text lag da wie eine Kröte auf dem Tisch. Etwas, das gewiss seine Richtigkeit hat, aber runterschlucken mag man es nicht.

 

Ich bin dankbar, dass es diesen Text gibt in unserer Bibel. Dankbar, dass Jesus das sagt. Denn er erinnert mich daran. Keinen Menschen gottgleich zu stellen.

 

Er erinnert mich daran, manchmal muss ich mich sogar von Vater und Mutters Lebenseinstellung lösen, um ganz und gar auf Jesu Spur zu sein und nichts über Gott zu stellen.

Wenn es dieses Bibelwort nicht gäbe, es würde uns die Erinnerung daran fehlen, das Wort eines Menschen nicht über Gottes Wort zu stellen.

Wenn wir in unsere Geschichte blicken, gerade auch in die Geschichte unserer Stadt, da haben wir genug Zeiten erlebt, wo das Wort eines Menschen über allem stand verbunden mit den bittersten Folgen.

 

Als 1933 Hitler die Macht ergriff und zum Reichskanzler ernannt wurde, hat eine Politik um sich gegriffen, die nichts anderes mehr gelten ließ als sein Wort.

Herrenmenschentum war das. Hitlers Wort stand über allem. Alles hat nach seiner Pfeife getanzt.

Wieviel Kinder mögen zur Zeit des Nationalsozialismus nicht aus Liebe zu ihren Eltern alles nachgeplappert haben, was der Vater am Abendbrottisch gesagt hat.

Wieviel Kinder wollten nur ihren Lehrern gefallen und haben bedingungslos bei der Hitlerjugend mitgemacht, weil jeder dachte, das muss jetzt so sein.

 

Unsere Geschichte ist voll von solchen Momenten. Da stand Menschenwort über Gotteswort, da haben viele den leichteren Weg gewählt und ihr Kreuz nicht auf sich genommen.

Momente, da wünscht man sich nachträglich, dass Jesus gekommen wäre und klipp und klar sagt: bei so was mach ich nicht mit, mit so was mach ich keinen Frieden, da bring ich das Schwert. Da ruf ich euch aus allem heraus.

Aber leider haben es nicht viele gehört.

Dieses Hängen an Hitlers Lippen hat Menschen auch in dieser Stadt dazu gebracht, ihre jüdischen Nachbarn anzugreifen. Es hat eine ganze Gesellschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht.

Das kommt im schlimmsten Falle raus, wenn das Wort eines Menschen über allem steht und von Gott nirgendwo mehr eine Spur. Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren.

 

16 Jahre später, bei der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik hier im Osten, da stand die Freiheit zwar auf großen Plakaten, aber am Ende war auch das keine Freiheit.

Von Gott sollte keine Rede mehr sein. Der Mensch wurde über alles gestellt, von ihm wurde alles erwartet, erhofft. Wer die Parteidoktrin nicht mitgesungen hat, der wurde zum Staatsfeind gemacht.

Ja, ihr Lieben, wir haben genug geschichtlichen Stoff, Lernstoff, um zu begreifen, wohin es führt, wenn wir einen Menschen bedingungslos folgen und ihn mehr lieben als Gott.

 

Und auch mit Blick auf die aktuelle politische Lage und die Wahlergebnisse, gerade bei uns hier in Ostthüringen, bei dem populistischen Bashing einzelner Gruppen, das da wieder betrieben wird, da kann man nur sagen, nichts hat dieses Land so nötig wie einen Jesus, der sagt: Da mache ich nicht mit. Da bringe ich euch das Schwert, da ruf ich euch heraus mit jedem Glockenschlag.

 

Jesus geht uns voran auf einem Weg, wo jeder seine Würde hat, egal, wer er ist und egal aus welchem Land er gerade kommt.

 

Ihr Lieben, es kostet was, diesem Jesus zu folgen. Und ihr lasst es euch auch jeden Tag was kosten, im Kleinen wie im Großen.

Wenn ihr euren Kindern Grenzen setzt, gerade weil ihr sie liebt und sie eben nicht gottgleich macht.

Ihr lasst es euch was kosten, diesem Jesus zu folgen, gerade wenn ihr bei dem Ausspielen von fremd gegen einheimisch in dieser Stadt einfach nicht mitmacht.

 

In zwei Wochen werdet ihr eure Friedensglocke in der Brüderkirche einweihen. Endlich, nach so vielen Jahren.

Am 25. Oktober 1989 kam es das erste Mal zu einer Großdemonstration in Altenburg.

Ihr seid damals auf die Straße gegangen. Ihr habt euch erhoben und mit Jesus im Rücken gesagt: Da machen wir nicht mehr mit in diesem Staat. Ein Staat, der uns diktiert, was Sache ist. Ein Staat, der alles immer alles nur gleichmachen will und unsre Verwandten zu Spionen macht und ein Duckmäusertum noch belohnt. Da machen wir nicht länger mit, habt ihr gesagt. Ihr habt euer Kreuz auf euch genommen. Ihr seid auf eure Weise Jesus gefolgt und habt euch losgesagt, ganz egal, was Eltern oder Verwandte dazu sagten. 

 

Dona nobis pacem. Das steht auf eurer Glocke. Das habt ihr damals im Herzen gehabt und euch losgesagt von einer Regierung, die Gott am liebsten abschaffen wollte.

Dona nobis pacem. Herr, gib uns Frieden.

Mit jedem Glockenschlag wird euch diese Glocke daran erinnern: Nichts steht über Gott und wir stehen auf, wo Menschen sich über andere erheben. Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

5 Mo 8, 7-18 | 10. Oktober 2021 | Mennsdorf

I

Mose sprach zum Volk: Der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe. Ein Land, darin Weizen und Gerste wächst und in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust.

Die Schönheit der Schöpfung, ihr Lieben, und ihr ganzer Reichtum. Wir wissen, was das heißt und wir wissen, was passiert, wenn der Mensch damit arbeitet und Gott darüber vergisst. Unsere Region ist gezeichnet davon.

Paitzdorf. Tagebau. Wismutgebiet.

 

Früher wurde in unserer Region aus den Steinen der Erde Erz abgebaut. Lange vor eurer Zeit, liebe Kinder.

Menschen haben da Tag für Tag geschuftet, auf und unter der Erdoberfläche. Es war damals ein anderes Land und es war damals auch ein ganz anderer Staat, in dem wir gelebt haben.

Dieses Land hieß DDR. Ein Land mit einer Regierung, die Gott vergessen machen wollte.

Von Gott sollte nicht gesprochen, an Gott sollte auch nicht gedacht werden. Der Mensch stand im Mittelpunkt und von ihm hing auch alles ab.

 

All die Felder, die Schönheit und der Reichtum der Natur, das Land, in das Gott uns hineingeboren, ja hineingeliebt hat, von all dem, war in der DDR nie die Rede.

Und es hat manchem von uns das Herz zerrissen, wie diese DDR mit der Natur umgegangen ist. Die große Gleichmacherei, bei Mensch, Natur und Tier.

Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht, Kirchen abgerissen, Felder aufgerissen, um an das Uranerz zu kommen. Der menschliche Wille stand über allem.

 

II

Es gab damals ein Bild, am Betriebsteil in Paitzdorf. Es begrüßte alle ankommenden Arbeiter. Es zeigt Menschen, die vor lauter Kraft nur so strotzen. Es zeigt ein System, wo alles Hand in Hand läuft. Wo eins in das andere greift.

So wollte man sein: stark und kämpferisch.

So hüte dich nun davor, den HERRN, deinen Gott zu vergessen.

Gott kommt auf diesem Bild nicht mehr vor.

Keiner der Menschen hat hier die Hände um die Leere seines Lebens gefaltet, um das, was er nicht fassen, beherrschen kann: Gefühle, Krankheit und Tod.

Keiner betet und keiner bittet um etwas. Jeder nimmt sich, was er braucht. Jeder macht, was er muss.

Hier steht der Mensch über allem. Auch die Natur hat hier keinen Platz. Das, was krumm und schief wächst, nicht zu fassen ist, das gibt es auf diesem Bild nicht.

So hatte sich die Regierung verstanden, so hat sie die Menschen gesehen. Sie wollten alles aus eigener Kraft schaffen.

Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den HERRN, deinen Gott loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.

 

III

Ihr habt in diesem Jahr auch viel gemacht, viel gesät und vieles gepflanzt. So manches ist gelungen und manches hat der Wind verweht. Was habt ihr mit den Früchten gemacht?

Habt ihr gedankt, geteilt und gegessen?

Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst.

Ihr Lieben, ich glaube, es geht ganz schnell, dass man Gott vergisst.

Auch heute, in unserem Land, auch heute, wo wir frei unseren Glauben bekennen können.

Es geht ganz schnell, dass man denkt: na, die Radieschen habe ja ich gepflanzt, hab sie gegossen in der Dürre, habe sie ausgedünnt, sie gut in die Erde gebracht.

Die sind mir gut geraten.

Es geht schnell, dass ich das Ernteglück nur mir selbst und dem eigenen grünen Daumen zuschreibe und Gott darüber vergesse, der Saat und Ernte macht und zu allem Gedeihen gibt.

Und es geht auch ganz schnell, dass man sich höllisch ärgert, wenn einem etwas nicht geraten ist, wenn die Wühlmäuse schneller waren als man selber beim Ernten der Möhren. Wenn der Mehltau über alles gekommen ist. Wenn die Braunfäule die Tomaten bei lebendigem Leibe frisst.

Ja, es geht schnell, dass wir dann sagen, hätte ich doch das und das getan, hättest du doch aufgepasst, dann wäre das nicht passiert.

Es geht schnell, dass wir uns dann fertig machen, so als hätten wir´s allein in der Hand.

Es geht auch schnell, dass wir uns an den Tisch setzen und vergessen Danke zu sagen: für das Brot und die Zeit, die noch ist.

 

IV

Mose hat deshalb das Volk an Gott erinnert.

Der HERR hat dich in gutes Land geführt. Hüte dich davor, ihn zu vergessen.

Wir leben im Paradies. Es ist alles da, was ihr braucht. Gott hat es uns geschenkt. Vergesst nicht zu danken eurem Gott.

Er ist es, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, so wie er es versprochen hat.

Mose erinnert die Seinen an Gott und wir erinnern uns mit jedem Sonntag, mit jedem Erntedank an Gott, der uns alles gibt und der uns einmal auch halten wird, wenn uns alles im Leben misslingt.

 

V

2009 wurde im September das Wandbild von Werner Petzold in Löbichau wieder aufgestellt.

Ein Wandbild, ohne Wand. Sinnbild für alles, für den Staat DDR, den es nicht mehr gab und für das, wofür so viele in der Wismut geschuftet hatten und das plötzlich nicht mehr da war. Was trägt dich jetzt noch?

 

Ich glaube, dass Gott uns dann trägt, genau dann, wenn alles vergeht. Auch wenn wir ihn verdrängen mussten oder gar vergessen haben.

Er ist da, wenn alles bricht und misslingt und setzt um alles seinen himmlischen Rahmen, damit keiner von uns an sich selber zugrunde geht.  Daran glaube ich, jetzt und allezeit.  

 

AMEN.

 

Lk 10,25-37 | 29. August 2021 | Brüderkirche Altenburg

I

Ihr Lieben, das Herz will immer gleich losarbeiten. Man fühlt sich ja immer auch gut, wenn man etwas tun kann, seine Aufgaben vollbringen, anderen dabei vielleicht noch Gutes tun kann. ja, dann fühlen wir alle uns gut.

Das Herz will immer gleich losarbeiten, alles richtig machen, selbst wirksam sein, aber manchmal geht es gar nicht darum.

Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe, fragt der Gesetzeslehrer und Jesus antwortet ihm.

 

II

Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Gleichnis vom barmherzigen Samariter schon gehört habe und ich weiß auch gar nicht mehr, wie viele Auslegungen ich dazu schon gehört habe.

All die Predigten und immer war da am Ende der Aufruf, doch bitte Gutes zu tun.

Der Aufruf zur Nächstenliebe, weil Gottesliebe und Nächstenliebe eben zusammengehört, weil man nicht zur Kirche rennen kann und dabei an einem Bettler vorbeigehen. All die Worte habe ich noch im Ohr.

Und immer hat mir ein Theologe dann die Sache mit der Liebe erklärt, dass Gottes Liebe unserer liebevollen Handlung vorausgeht und wir damit bei ihm keine Punkte sammeln und  ich habe dagesessen und gedacht, ja du hast recht, aber wo ist das Wort, das mich tröstet?

Wo ist noch das Evangelium in deinem Gesetz? In all dem, was du vollkommen richtig erkannt hast?

Es war so, als würde der Kantor mit euch in der Probe nur schwarze Noten anschauen und ihr kämet einfach nicht ins Singen hinein und in die Erfahrung, dass die Musik dich auch trägt, dich tröstet und befreit.

Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?

 

III

Ich glaube, es geht in diesem Text nicht ums Tun,

bei Gott geht es nicht ums Tun. Auch wenn wir uns im Tun immer wohl fühlen, weil dann hat man wenigstens alles in der Hand.  

Jesus erzählt dem Lehrer ein Gleichnis. Er erzählt es nicht, um uns alle zu einer Art pawlowschen Hund zu erziehen, der sofort losrennt und seinen Nächsten sucht, nur weil er das Gleichnis gehört hat.

Er erzählt das Gleichnis nicht, um uns anzustacheln, endlich mal Gutes zu tun und unseren Nächsten zu suchen.

Er erzählt es dem Gesetzeslehrer und er will ihm damit helfen. Und das ist das Wunder.

Denn der Gesetzeslehrer mag Jesus nicht. Er hat nichts für ihn übrig. Als er aufsteht gegen Jesus, da will er ihn prüfen. Ihn in Versuchung führen. Meister, was muss ich tun…

Der Lehrer kennt seine Bibel, die Tora, sehr genau. Er weiß, was da alles drin steht. Er kennt eigentlich auch die Antwort. Aber er will diesen Jesus testen.  

So vieles hat er schon von diesem Jesus gehört.

Er traut ihm einfach nicht über den Weg. Für ihn ist er einer, der sich als Messias aufspielt, sich anmaßt der verheißene Heiland zu sein, der alle Welt rettet und heilt.  

Er hatte die Augen- und Ohrenzeugen gehört, wie Jesus Blinde und Lahme heilt, und dachte trotzdem die ganze Zeit: Mit dem stimmt doch was nicht. Der spielt sich doch nur auf. Das ist ein Scharlatan, der  mit Sündern und Zöllnern säuft.

Einer, der so tut, als wäre er Gottes lebendiges Wort.

Ich will ihn mir vorknöpfen, in Versuchung führen. Meister, was muss ich tun.

Jesus sieht, wie der Gesetzeslehrer gegen ihn aufsteht. Er schaut ihn an.

Alles wird still.

Er sieht den Lehrer und sieht, was er liebt. Gottes Wort. Er liebt es genauso wie ich, denkt er. Er liebt Gott genauso wie ich. Wir haben mehr gemeinsam als uns trennt. Ich will bei ihm bleiben, denkt Jesus, mit ihm reden, ihm helfen.

Was liest du, was steht in der Schrift? Fragt Jesus und der Gesetzeslehrer antwortet.

 

IV

Ihr Lieben, es berührt mich immer wieder zutiefst, wenn ich dieses Gespräch zwischen Jesus und dem Lehrer lese.

Wie Jesus da steht und ganz genau weiß, der verachtet mich, der will mich versuchen und wie Jesus sich ihm hier liebevoll zuwendet, aller Verachtung zum Trotz.

Jesus sah den Lehrer an und dachte: Gewiss, du hältst nicht viel von mir. Aber ich halte sehr viel von dir.

Ich will dich hier nicht bloßstellen, ich will dir helfen und ich glaube, dass die Antwort auf deine Frage schon in dir liegt.

Was liest du denn in der Schrift, was sagt dir dein Herz? fragt Jesus den Lehrer und er liest, was in seinem Buch steht: du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

In diesem Moment – da geht dem Lehrer auf, dieser Jesus, der lässt sich nicht versuchen und der hat auch viel zu viel Größe, um mich hier klein zu machen, zurechtzuweisen.

Und um sich selbst zu rechtfertigen, schiebt er noch eine Frage hinterher, so hätte er wirklich ein Gespräch mit Jesus führen wollen: Aber, wer ist denn mein Nächster?

Und da erzählt ihm Jesus dieses Gleichnis vom barmherzigen Samariter und der Lehrer erkennt sein Leben im Spiegel dieser Schrift.

Das ist Barmherzigkeit ihr Lieben. Der Lehrer kann sich am Ende die Antwort selber geben, ohne belehrt vor allen dazustehen.

 

V

Jesu liebevoller Blick ruht auf uns und ich glaube, für ihn liegen wir alle im Graben.

Für ihn sind wir alle der Liebe bedürftig.

Für Jesus liegen wir alle im Graben.

Die Männer und Frauen unter uns, die mitten im Leben stehen, die Müden und die Aufrechten unter uns. Die Zweifler und Hochbegabten.

Für Jesus liegen wir alle im Graben und er wendet sich uns zu, auch wenn wir ihn manchmal gar nicht mehr beachtet haben, ihn vergessen oder gar verraten haben. Er wendet sich uns liebevoll zu und ist gekommen, uns zu helfen, uns zu retten.

Das ist die frohe Botschaft, ihr Lieben und unser Evangelium.

Davon lasst uns singen und sagen, jetzt und allezeit. Amen.

 

 

 

 

Eph 2,4-10 | 15. August 2021 | Bartholomäuskirche Altenburg

I

Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben

Stück und Stück bog Noah die Bretter zurecht und hörte die Leute hinter sich reden.

Was soll denn das werden?

Ein Schiff, sagte Noah.

Ein Schiff, hier? mitten in den Bergen? Wozu das denn? Bist du verrückt geworden?

Wir werden es brauchen, sagte er.

Sie schüttelten den Kopf und gingen ihrer Wege.

Noah war nicht verrückt geworden. Er sprach mit seinem Gott. Hörst du mich, sagte er. Ich hör dich, Noah. Siehst du, was hier los ist? Jeder schaut nur noch auf sein Land, sieht zu, dass er hier Land gewinnt und gute Geschäfte macht. Herr, sie haben dich ganz und gar vergessen.

Ich weiß, sagt Gott. Ich will dem ein Ende machen. Ich will neu anfangen mit dir.

Bau ein großes Schiff, sagte er. Ich will das Wasser kommen lassen. Ich will euch lehren loszulassen. Und Noah baute ein Schiff, so groß, das alles darin Platz hatte, alles, was da kreucht und fleucht.

aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben. Nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.

 

 

II

Noahs Name heißt nichts anderes als der Tröstende, der Beruhigende. Er konnte sich einschließen in Gott. auf ihn vertrauen und in Gott seine Ruhe finden.

Noah schwebte mit Gott über den Dingen.

Noahs Geschichte ist krass. Denn da wird ja nicht nur von Rettung erzählt, sondern auch von einem vernichtenden Gott. Einer, der die Sünder in den Fluten versinken lässt. Nur die Guten werden gerettet.

Die Welt und Gott ist Schwarz weiß. Hier die Guten, da die Schlechten.

Am Leben bleiben nur die Frommen, Noah und die Seinen.

Es ist eine harte Geschichte. Und man bekommt auch so ein bisschen Angst dabei. Der Glaube erscheint wie ein Werk. Wer gehorcht, wer Gottes Gebote befolgt, der und nur der findet auch Land. Und was ist mit all den anderen?

 

 

III

Irgendwann hat auch Gott erkannt, dass das nicht unbedingt der Weg ist. dass da viel zu viele auf der Strecke bleiben.

Er sandte seinen Sohn und sagte:

Er fischt euch aus dem Wasser der Sünden. Er bringt euch in mein Land. Folgt ihm.

Und es waren sehr viele, die ihm folgten.

Saulus, zum Beispiel. Er war Jesus gefolgt. Saulus, der Jude. Und er meinte, die Lehre müsse rein sein. er war der Meinung, nur wer Gott und seine Gebote überhaupt kennt, kann sich jetzt auch auf Jesus berufen. Die reine Lehre wollte er erhalten und hat erbittert gegen Heidenchristen gekämpft: Leute, die Gottes Gebote noch nicht mal kennen, die können sich doch nicht auf Jesus berufen, meinte er.

Er hat sie sogar umgebracht.   

Aber Gott hat ihn runtergeholt von seinem hohen Ross.

Meine Liebe gilt allen Menschen, sagte er.  Ohne Ansehen von Herkunft und Nation. Da erkannte Saulus wie groß Gottes Liebe ist.

Die Liebe Gottes ist ein Meer und Gott allein gibt uns wieder Boden unter den Füßen.

Saulus hat fortan als Paulus allen von diesem Jesus Christus erzählt, in dessen Herz Platz für alle ist. Eine Wende um 180 Grad.

Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben und das nicht aus euch.  

Das schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom.

 

IV

40 Jahre später, als Paulus längst tot ist, beruft sich einer auf ihn und schreibt unter seinem Namen an seine Freunde in Ephesus:

Ihr Lieben, hört auf euch zu streiten, wer dazugehört zu Gott und wer nicht, das entscheidet sich nicht an unseren Taten.

Denn wir sind alle sein Werk, geschaffen in Jesus Christus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir darin wandeln sollen. Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben.

Wir retten uns nicht mit unsren guten Werken.

Wenn ich manchmal im Büro all die Klagen höre aus den Gemeinden, wer da was wieder nicht richtig gemacht hat, wer da noch dazugehören sollte und wer nicht. Mein Gott denke ich. Wir sind doch alle aus der Taufe gekrochen.

Wir stehen doch nicht auf unserem eigenen Land. Gott bereitet uns doch allen den Boden. Und wir werden auch nicht durch unser Tun gerecht, wir sind es schon in Gott, durch Jesus Christus, unsren Herrn.

Er weist uns allen den Weg, er bereitet uns den Boden, damit wir aufrecht stehen.

 

V

Mich einschließen in Gott, so wie Noah sich in Gott eingeschlossen hat und mit Jesus über allem schweben. Das kann ich, weil Jesus zu uns kommt und uns in der Taufe schon angenommen hat. daran glaube ich.

Gottes Arche, das ist Jesu Herz und da ist Platz für uns alle.

Er schwebt mit uns über den Wassern. Er zieht mich aus dem Schlamm der Fehler und Sünden.

Da können die Stürme der Welt kommen, mit ihm werden sie weichen.

Da können wir alles im Leben verlieren, er gibt uns Halt und Stand. Da können wir einmal auch das Leben selbst verlieren, in ihm werden wir leben.

Daran glaube ich, seit meiner Taufe und in dieses Versprechen schließ ich mich ein. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Wissen, der bewahre auch unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

 

 

Pfingsten 2021

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (1 Mo 1,1)

 

Die faltigen, schwieligen Hände von Herbert, die Handwerkskammer von Herrn Seiler, die Kassenbücher von Frau Seiler und ihre Freude an Zahlen, der Rasenmäher von Herrn Siebert und seine Hingabe, den Platz rund um die Kirche zu mähen, die Fragen von Hugo und Tillmann nach einem gerechten Gott, die Playlist von Smilla, die Gabe Kissen und Paramente zu nähen von Gislinde, die Lust am Gebet und aufs Lesen von Gottes Wort bei Grit, der Wille zu trösten, zu predigen bei Mirko…

 

 

Es sind verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. (1 Kor 12,4)

 

 

Hiob 19,19-27 | 21. März 2021 | Agneskirche Altenburg

Hiob, sag uns wie Gott ist! Du kennst ihn doch! Hiob saß da, die Kinder um ihn. Er schaute sie an und dachte an sein Leben, wie es früher war.

Wisst ihr, es gab mal eine Zeit, da dachte ich, ich wüsste genau wie Gott ist. Ich traf ihn jeden Morgen da draußen am Feld, vor den Toren der Stadt. Da war früher ein Altar aus Steinen, die ich Jahr um Jahr aufgeschichtet hatte.

Und dort draußen traf ich ihn, morgens, als alles noch schlief und sprach leise mit ihm. Danke Herr, für alles, was Du gibst.

Ich habe ihm Brandopfer dargebracht. Jeden Morgen ein Stück von meinem Vieh.

Jeden Morgen, damit er sieht, dass ich für ihn brenne, dass ich alles geben würde für ihn, wenn es nötig ist. Ich lobte ihn an jedem Tag und ich opferte auch ein Brandopfer für jedes meiner Kinder.

Wisst ihr, ich habe vor euch schon Kinder gehabt. Ach, wie lang ist das her.

Hiob erzählte leise von sich.

 

Wisst ihr, ich habe damals geglaubt, dass Gott alles gibt und schickt, Glück und Unglück für jedes Haus, so wie es jeder verdient.  

Ich habe ihm geopfert und heimlich gehofft, dass er meine Güte auch belohnt. Dass er mich und meine Kinder beschützt. Und ich dachte, er macht das ja auch. Denn mir ging es gut. Ich ließ kein böses Wort auf ihn kommen.

Ich verehrte ihn, als den Höchsten der Welt, als den, der alles gab: das Wangenrot meiner Kinder, die Felder voller Früchte und meine Herden, die von Jahr zu Jahr größer wurden.

Ich hatte alles und ich bildete mir darauf nichts ein, ich hoffte nur jeden Tag neu, dass Gott mich auch morgen bewahrt. Und dann, eines Tages, wachte ich auf.

 

Wie aus heiterem Himmel wurde ich krank. Ich lag da und mein Körper war voll von Eiter und Geschwüren. Ich kratze mir die Haut vom Leib. Mein ganzes Ansehen war plötzlich dahin.

Krankheit, das ist Strafe, hatte ich immer gedacht und alle anderen sagten das auch. Sie kamen und sagten, mein Gott, Hiob, wie siehst du denn aus? Was hast du gemacht! Dabei hatte ich doch gar nichts gemacht.

 

Ich saß da und suchte nach dem Grund. Nach dem Grund für dieses Unheil.

Ich suchte, aber ich fand keinen Grund. Ich sagte, mein Gott, wie kann das sein, willst du mich prüfen? Herr, dann prüfe mich, dann mach und leg los. Im Stillen habe ich damals gedacht, dann halte ich das jetzt eben aus, damit Gott mich hinterher umso reicher belohnt. Denn einen Lohn war Gott mir schuldig, wenn er mich ohne Grund schlug.

 

Aber ich hatte mich getäuscht. Ich war krank, aber es kam nur noch schlimmer. Ich verlor meine Ernten im Hagelschlag. Ich verlor mein Vieh durch Seuchen über Nacht und das Schlimmste, ich verlor alle meine Kinder. Das war der Moment, der Tag, als etwas in mir zerbrach.

Meine Freunde kamen und hielten Trauer mit mir. 7 Tage lang und 7 Nächte schwiegen sie mit mir, und in mir schrie alles: Mein Gott, wo bist Du!? Warum?

Ich suchte einen Grund, aber fand ihn nicht. Ich fragte, was hab ich dir denn getan, dass du mich so schlägst? Aber Gott schwieg einfach dazu.

EG 81, 1

 

 

Hiobs Kinder blickten staunend zu ihm auf und was hast du dann getan!?

Ich habe geschrien, sagt Hiob. Ich habe geweint. Ich habe zu meinen Freunden gesagt, wie sinnlos das alles ist. Meine Freunde waren verdutzt.

Sie sagten, Gott schickt kein Unheil ohne Grund. Irgendetwas muss doch gewesen sein, dass du so viel Unglück auf dich gezogen hast. Schau hin, alles hat einen Grund! Gewiss hast du etwas falsch gemacht.

Ich hörte sie reden und ich schaute in mein Leben, aber fand ich nichts.

Meine Freunde verteidigten ihren Gott bis zuletzt. Sie sagten, Gott macht sowas nicht ohne Grund. Denn er ist gerecht und er schickt dem Gerechten keine Strafe. Nur dem Ungerechten.

Alles, was sie sagten, jedes ihrer Worte, schnitt mir ins Herz.

 

Alle meine Getreuen verabscheuten mich, und die ich lieb hatte, hatten sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hing nur noch an Haut und Fleisch und nur das nackte Leben brachte ich davon.

 

Ich hatte nichts mehr, aber ich hatte mich. Ich schickte die Freunde weg. Denn irgendwo tief in mir drin ahnte ich, dass Gott anders ist, ganz anders, als das die Freunde sagten.

Dass da einer ist und kommt. Ein Gott, der keine Opfer braucht. Einer, dem vielleicht sogar mein nacktes, bloßes Leben genügt und der auch keine Heldentaten von mir braucht.

 

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.

Ja, das sagte ich. Mir selbst und meinen Freunden hinterher.

Ohne mein Zutun wird Gott sich mir zeigen wie ein Liebender sich zeigt, unbestechlich und bedingungslos. Von Angesicht zu Angesicht wird er mir sagen: Hiob, sprich, hier bin ich.

Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen, ich selbst und kein Fremder.

Und nichts wird dann zwischen uns stehen, kein Brandopfer und keine Tat.

EG 81,5

 

 

Ich glaube, Gott ist wie ein Meer, in dem du schwimmst. Es gibt bei ihm nichts, worauf du bauen kannst. Keine Taten, die dir einen guten Stand verleihen, aber auch keine Missetaten, die dich in den Abgrund reißen.

Gott ist einfach nur da, und er hat seine Freude an dir. Er hält dich und er ruft dich ins Leben hinein, allen Gewalten zum Trotz.

Gott ist so unendlich groß, sagte Hiob zu seinen Kindern.

Er schenkt Leben, und dieses Leben ist stark und zerbrechlich zugleich.

 

Als ich damals alles verloren hatte, da habe ich diesen Gott ganz neu entdeckt. Er ist keiner, der uns richtet. Keiner, der rettet und bewahrt, aber auch keiner, der unsre Sünden wie Erbsen zählt. Er ist und bleibt unbestechlich.

Und alles, was er will, das bist du.  Er liebt dich ohne Vorbehalt, bedingungslos und allem zum Trotz. Du kannst daliegen mit Eiterbeulen und Geschwüren auf der Haut. Er liebt dich.

Du kannst dasitzen und weinen, er sieht dich und er hält dich, ohne dass du es begreifst. Er ist alles, aber kein rachsüchtiger Gott. keiner, der die Sünden zählt und dich dann auch noch bestraft.

 

Gott ist so unendlich groß.

So groß, dass du es gar nicht ahnst. Er braucht keinen steinernen Altar, keine Brandopfer und keine Geschenke. Er hat Gnade, die nichts von Gerechtigkeit weiß.

Er ist in jedem Atemzug da. Und das ist alles, was zählt. Er ist Leben, allen Gewalten zum Trotz und zuletzt wird er sich über dem Staub meines Lebens erheben, über allem, was jetzt an Chaos noch ist.

So ist unser Gott.

 

 

Ihr Lieben, bald ist Karfreitag. Wir denken daran, wie Jesus gestorben ist. Wie der Gerechte am Kreuze stirbt und rechts und links werden zwei Übeltäter mit ihm mit ihm gekreuzigt. Zwei Menschen, wo das Herz sagt, die haben das auch verdient.

Aber Gott nimmt sie alle drei bei sich auf, hinein in seinen Himmel.

Und er lässt seinen eigenen Sohn diesen Tod miterleiden, um uns ein für alle Mal zu sagen, es geht mir nicht um eure Taten. Weder um eure Heldentaten noch um eure Missetaten.

Für mich zählt nur, dass es dich gibt, dass es dich in dieser Welt gab und selbst wenn du mit deinem Leben keine Wunder vollbracht hast, ich weiß, du bist wunderbar gemacht!

Ich weiß, dass ich mit euch allen etwas Wunderbares schuf. Und das ist mir lieb und teuer. So teuer, dass ich alles für euch gab. Amen.

 

EG 81, 9+10

 

 

 

1Mo 3,1-24 | 21. Februar 2021 | Brüderkirche Altenburg

 

Die Geschichte vom Paradies, von der Erschaffung der Welt und vom Sündenfall, entstanden im 10. Jahrhundert vor Christi Geburt.

Eine Geschichte, immer wieder ergänzt, aufgeschrieben durch die Jahrhunderte hinweg. Ein krasser Text.

Glaubenserfahrungen spiegeln sich darin - aus hunderten von Jahren, auch unsere.

 

 

I

Im 10. Jahrhundert entsteht am Königshof in Israel die erste Fassung. Man lebt in einem Land, das nur schwer zu bebauen ist. Man fragte sich, warum?! Warum leidet der Mensch?

Der Jahwist, einer am Königshaus, einer, der Gott im Munde führt, setzt sich hin und schreibt eines Mythos für alle auf,

wie alles kam, warum alles so ist. Eine Urgeschichte:

wie die Welt erschaffen wurde von Gott, wie er den Menschen gemacht hat aus Staub, ein Erd- um Lehmklumpen ist der Mensch, vom Staube genommen und Gott hat ihm seinen Odem eingehaucht und er wollte, dass es dieses Wesen gibt und dass er alles in Fülle hat.

Deshalb baute er ihm ein Paradies, einen Garten Eden, ein abgegrenztes Gebiet, wo der Mensch alles hatte, was er braucht.

Von allen Bäumen im Paradies sollte er essen, aber nicht von den Bäumen in der Mitte des Gartens.

Und wie ging es weiter? Wenn das alles so ist und Gott es so gut mit uns meint, warum sitzen wir dann in der Mühsal?

Warum ist es dann so schwer, dem Acker ein Stück Brot abzuklauben? Fragten die Kinder, die Kleinen und Großen vor Gott?

Warum ist alles voller Disteln und Dornen hier, das muss doch einen Grund haben!

Der Jahwist zeichnet ein düsteres Bild. Der Mensch sei selbst schuld. Er hat sich verführen lassen, er hat gegessen von dem, was verbotenen war.

Was er hatte, war ihm nie genug.

Der Jahwist hat sich darin selbst gesehen Den Machtdrang der Menschen erklärt.

Ja, sagt er, wir haben Gott nicht gehorcht. Wir wollten sein wie er und die Augen wurden uns aufgetan.

Deshalb wissen wir, was gut und böse ist und wissen auch, wie Gutes und Böses sich anfühlt.

Wir wissen es bis auf den heutigen Tag und erfahren die Mächte und Gewalten.
Und Gott wies ihn hinaus aus dem Garten, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.

Damit heißt es zu leben.

Die Geschichte von der Erschaffung der Welt, vom Paradies und vom Sündenfall. Es war ein Erklärungsversuch.

Ein Versuch, den Kindern zu erklären, warum die Dinge so sind wie sie sind. Eine Standortbestimmung der Menschen.

Wie Gott ist und wo die Menschen sind. Dass sie ins Leben hineingeworfen sind, von Erde genommen und zu Erde einmal auch wieder werden.

Es ist ein düsteres Bild, das der Jahwist vom Menschen malt.

 

 

II

Fast 200 Jahre später geht das Nordreich Israel unter. Wird annektiert von Assur, dem mächtigen Staat.

Die Mächtigen in Nordreich hatten hoch gepokert und alles verloren: Heimat und Königtum. Nun waren sie Vasallen und fremd im eigenen Land.

So mancher wurde deportiert.

Man saß in der Fremde und trauerte seinem alten Leben hinterher. Man holte diese Gründungslegende wieder hervor. Die Erzählung vom Anfang, vom Paradies und sah sich selbst darin.

Ja, sagt ein Priester in jener Zeit, wie Adam und Eva waren wir.

Wir wollten sein wie Gott. Wir wollten zu viel. Wir haben nach dem Höchsten gegriffen und Gott nicht gehorcht. Und wir haben alles verloren. Aber das kann nicht alles sein.

Mitten in der Leere und Not sagt der Priester: Gott ist kein strafender Gott.

Er wird uns wieder dahin zurückbringen, wo das Leben blüht. Unser Leben wird nicht immer voller Dornen und Disteln sein.

Der Priester liest den alten Text und er setzt seinen eigenen Glauben dazu.

Er schreibt um die Schöpfungsgeschichte des Jahwisten herum eine neue Schöpfungsgeschichte: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer.

Jene Schöpfungsgeschichte, die wir gleich zu Beginn in unsrer Bibel als Erste lesen.

Und siehe, es war alles sehr gut, sagt er.

Denn am Anfang, als man überhaupt noch nicht wusste, wie das Leben nun weitergeht, da zeigte sich ein liebevoller Gott, inmitten von Leere und Chaos.

Von diesem liebevollen Gott erzählt der Priester im Exil. Eine Trostgeschichte.

Er streicht die Erfahrung des Jahwisten nicht durch, sondern ergänzt sie liebevoll.

Und mitten in dem Text des Jahwisten von der Vertreibung aus dem Paradies fügt er deshalb auch einen Satz hinzu, einen Satz, den man schnell überliest:

Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und zog sie ihnen an.

Wie eine liebevolle Mutter, die frühmorgens ihre Kinder ankleidet, weil sie das selbst nicht können, so ist Gott. er lässt uns nicht ungeborgen.

Mag sein, dass der Schutz nicht umfassend ist. Mag sein, dass Gott uns nicht vor allem bewahrt, aber er geht mit uns mit.

Er ist da. „Du bist hier nicht allein. Ich lasse dich nicht im Regen stehen.“

Eine Glaubenserfahrung, ein Hoffnungssatz, den der Priester dem Volk mitten in der Krise ins Buch des Lebens schreibt.

Mag sein, sagt er, dass wir unser Glück verspielt haben. Mag sein, dass es sich anfühlt, als wäre man vertrieben aus dem Paradies.

Aber Gott zieht seine Hand nicht von uns ab, er ist unsre Hilfe, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.

 

 

III

Und wir? Mitten in der Pandemie lesen wir diesen Text und erkennen uns selber darin.

Das Leben fühlt sich an, als wäre man hinausgetrieben. Die Kontaktbeschränkungen machen uns zu schaffen, das eigene Leben fühlt sich ganz bröselig an. Die Treffen mit Freunden, all das fehlt uns so sehr.

Wie Adam und Eva blicken auf unser altes Leben zurück. Fernab vom Paradies.

Die kleinsten Dinge - eine Kostbarkeit:

Ein Kaffeeplausch mit den Freunden, Singen im Chor – all das ist in weite Ferne gerückt und manches sogar unmöglich.

Man staunt wie anspruchsvoll man früher war, da hatte manchmal die Reise am Wochenende schon gar nicht mehr gereicht, heute freuen wir uns schon, wenn der Bewegungsradius von 15 Km aufgehoben ist.

Die kleinsten Dinge werden zur Kostbarkeit. Und Gott, wie sehen wir ihn? Ist er mir fern oder nah?

Welche Erfahrung schreiben wir ins Buch des Lebens hinein? Wo setze ich einen Punkt?

Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Felle und zog sie ihnen an. Ich glaube an diesen liebevollen Gott.

Er ist uns erschienen in Jesus Christus und in jedem Menschen, der ihm folgt. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen und verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

 

 

Andacht zum 3. Advent | 13. Dezember 2020

Den Stern hatte er dagelassen wie eine Verheißung, dass er eines Tages doch noch einmal käme. Er hatte ihn dagelassen als Erinnerung an all das Glück. Glück, hinter ihnen lag und wiederkommen würde wie die große Ozeanwelle. Darin werden wir baden, Kleines. Ich werde kommen und wir werden uns alles sein, alles, was wir begehrten und was wir suchten.

 

So baumelte er nun in den Ästen, in den knorrigen Zweigen des Baumes. Da hatten sie einst gesessen wie die Kinder im Paradies, mit Kind auf dem Arm, an der Kaffeetafel, mit Kuchenglück und einem Wasser, das prickelte bis zum Schluss. Da baumelte nun der Stern im Wind sanft hin und her.

 

Und was soll uns das heißen? Da war doch vorher nichts? Die Fremden gingen vorüber und staunten. Aber der Stern hing fest, blieb hängen zwischen den Ästen. Ich will dich was lehren. Zukunft und Vergangenheit. Herkunft und Wiederkommen. Knallrot hing er dort und erinnerte nun alle an die Liebe. An die Liebe, die ums Haus gezogen war. An die Liebe, die gewesen war und die wieder möglich war, an eiskalten Tagen wie diesen.

 

 

„Ich habe ohnehin nichts, um ihn aufzuhängen.“ hatte er gesagt, „du kannst ihn behalten.“ Sagte es und log sich selbst dabei faustdick in die Tasche. Denn da hing ja sein Herz in den Bäumen, eine Erinnerung, ein mahnendes Zeichen. „Ich mit meiner Liebe bleib da. Und ich leuchte in dein Dunkel hinein.“

 

 

Hubertusfeier | 1. November 2020 | Altkirchen

Hubertus, Rosi & das Loch

I

700 nach Christus reitet einer durch den Wald. Die Pistole schon im Anschlag. Er ist auf der Jagd. Und er weiß so viel.

Er weiß, was alles in der Bibel steht. Das Leben und die 10 Gebote. Er weiß wie das Fleisch schmeckt von Wildsau und Hirsch.

Er kennt den Duft des Waldes bis tief in die Nacht und wie sich Tau aufs Gras legt am Morgen der Jagd.

Er kennt auch das Brennen, das pralle Glück, wenn sein Schuss trifft und er einen Bock erlegt. Wenn ein Leben sich aushaucht durch seine Macht und wie sich das Fell der Rehe dann anfühlt, wenn der letzte Puls aus ihm quillt.

Er weiß so vieles von Tod und Nacht. Von dem Lebenshunger, der unablässig brennt. Groß sind die Tage der Jagd.

Hubertus, so wurde der Jäger genannt.

Hubertus reitet durch Wind und Nacht. So erzählt es das Herz, die Legende.

 

II

Kennt ihr auch diese Sehnsucht, die brennt?

 

Wenn ich einkaufen gehe, sagt Rosi, dann geht’s mir gut. Ich habe dann das Gefühl, dabei zu sein.

Dann kommen die Worte ganz allein über die Lippen. Hallo, guten Tag. Ich hätte gern das. Ich weiß dann, was meine Aufgabe ist, etwas auswählen und zur Kasse gehen, bezahlen; glücklich nach Hause gehen. Groß sind die Tage der Jagd.

Wenn ich mit der Kassiererin reden kann, bin ich glücklich mitten am Tag. Ich weiß dann, dass ich wichtig bin. Denn ohne mich, würde sie dort nicht stehen, nichts eintippen, nichts verpacken. Ich bin mächtig, setze etwas in Gang mit meinem Geld, meinen Worten.

Meine Kleiderschränke sind übervoll.

Kaufrausch hat meine Tochter das genannt. Es klingt nicht nett, so wie sie das sagt. Ich weiß, dass nicht gut ist, was ich da tue. Aber anders kann ich es nicht. In Kontakt treten mit dieser Welt.

Kennt ihr auch diese Sehnsucht, die brennt?

Leo liegt oft Stunden lang auf dem Sofa, die Playstation in der Hand. Rechte Hand, linke Hand, er schießt und drückt, sein Alter Ego rennt durch den Dschungel und digitale Wälder.

Am Anfang war das nur ein Zeitvertreib, irgendwas für die Zeit vor dem Frühstück und danach. Aber jetzt kommt er einfach nicht mehr davon los, schießen, umfallen, virtuell tot. Wiederauferstehen. In Kontakt mit anderen sein, mit Leuten, die er gar nicht kennt.

Es macht Spaß, am Drücker zu sein. Etwas auszulösen in der Welt, in dieser Welt am Bildschirm. Groß sind die Tage der Jagd.

Es ist leichter als nach nebenan zu den Eltern zu gehen und zu reden über das, was er fühlt.

Es ist leichter, als sich all diesen Fragen zu stellen, dieser Sehnsucht nach Wärme in der Welt.

 

III

700 nach Christus reitet einer durch den Wald. Die Pistole schon wieder im Anschlag. Das Opfer längst erkannt.

Als alle anderen im Gottesdienst sitzen, sprengt er mit seinem Gefolge durch den Wald.

Einem Hirsch hinterher, und dieser Hirsch ist so schön wie sonst keiner auf der Welt, ein richtiges Prachtexemplar.

Und als er das Gewehr auf ihn anlegen will, da wendet der Hirsch ihm sein Antlitz zu, zwei Augen schauen ihn an.

Zwei Augen und ein prächtiges Geweih und mitten drin ein strahlend helles Kreuz. Hubertus, was treibt dich an?

Wieviel Schüsse sollen es eigentlich noch sein? Kein Geweih stillt deine Sehnsucht nach Liebe in der Welt. Ich seh dich, ich nehme dich an.

Und der Hirsch schaut ihn still und leise an.  

 

Innehalten. Mitten im Kaufrausch. Wenn man denkt, ach lieber noch das und das. Wer weiß, wofür ich das mal brauchen kann.

Innehalten, wenn man denkt, es ist niemals genug.

Innehalten, wenn die Playstation schon brennt und alles zum Rausch geworden ist von Zocken, getroffen werden, töten.

Innehalten. Gott schaut dich an. Und er schaut dich liebevoll an.

Im Hirsch. Im Brot. In dem Menschen, der an deiner Seite ist. Zwei Augen und Sehnsucht, die brennt.

 

Hubertus ist damals vom Pferd gefallen. Dieser Hirsch hat sein Leben verändert. Dieses strahlende Kreuz, dieser gütige Blick. Zwei Augen: was dich treibt an?  

 

IV

Rosi hat keinen Hirsch gesehen. Sie ist eines Tages vor ihrem übervollen Kleiderschrank einfach nur zusammengebrochen. Unten warteten die Kinder, aber Rosi fand einfach nichts zum Anziehen.

Nichts passte. Nichts wollte zu ihr passen.

Sie saß auf dem Bett und weinte. Alles brach plötzlich in ihr auf. Die fehlende Umarmung des Vaters, der im Krieg geblieben war.

Jeder Mantel war nur ein hilfloser Versuch, diese wärmenden Hände noch einmal zu spüren, so wie damals als Kind.

 

Leo saß eines Tages vor dem Bildschirm, nichts ging mehr: Stromausfall, der Bildschirm war schwarz und er sah sich selber darin. Zwei Augen schauten ihn an.

Wenn jetzt einer käme, wie gut wäre das.

Wenn es Worte gäbe für das, was ihm fehlt. Für all, das wonach er sich sehnt. Ach, wie schön wäre das.

 

Hubertus ist damals vom Pferd gefallen. Zwei Augen sahen ihn liebevoll an.

Uns alle schaut einer an. Gott schaut uns liebevoll an.

Ich sehe dich, ich nehme dich an.

 

V

Manche sagen, von Hubertus kann man viel lernen und es gibt Pfarrer, die mit Blick auf das Leben des Heiligen an Tagen wie diesen sagen:

Liebe Jäger, schießt bitte immer nur so viel wie ihr essen könnt und wie es nötig ist, damit der Wald nicht flöten geht, als wäre Hubertus so eine Art Anleitung für eine gute Jagd.

Nun denn. Ich sage euch sowas nicht.

Ich finde, ihr wisst selbst, wann ihr einen Hirsch schießen müsst und wann nicht. Ich wisst selbst, wie ihr diese Schöpfung am besten schützt.  

Das Berührende an diesem Hubertus ist ja nicht seine Einsicht, dass es auch ohne maßloses Jagen geht.

Das Berührende ist sein Mut, innezuhalten. Sein Wissen: Gott hat mich besucht und er schaut mich an.

 

Hubertusse gibt es ganz viele. Sie haben keine Parforcehörner und sie tragen auch nicht immer grünen Filz.

Manchmal sind sie 17 oder 9 und kommen stundenlang nicht mehr vom Zocken und Onlinespielen los.

Manchmal sind sie 70 und trinken bis tief in die Nacht. Manchmal kaufen sie Mäntel, die gar keiner braucht, weil im Herzen immer noch Winter ist und das Kind diese Wärme wieder sucht.

Aber Gott kommt. Er hat uns besucht.

Er hat Hubertus besucht im Hirsch mit seinem Kreuz und uns im Brot, in der Zeit, die uns bleibt.

Und er sagt. Ich sehe dich an, nun ist Frieden, nun ist es gut. Ich liebe dich, ich nehme dich an.

Als Hubertus das Kreuz im Geweih des Hirsches sah, da rührte etwas Großes ihn an. Ein Blick, der alles weiß und sagt.

 

Hubertus stieg damals ab von seinem hohen Ross. Er fiel auf die Knie und betete. Gott, du hast mich besucht.

Er betete und er stand wieder auf. Er ließ das Jagen fortan sein.

Hubertus wurde später zum Bischof ernannt.

Als er starb, nahm man seine Gebeine und hob sie hoch. Er wurde zum Heiligen gemacht.

Nicht, weil er alles richtig gemacht hatte in seinem wilden Leben, sondern weil er mit seinem ganzen Leben von diesem Gott erzählt hat, der uns liebevoll anschaut und besucht.

 

AMEN

Jer 31,31-34 | 24. Mai 2020 | Agneskirche Altenburg

 

 

 

 

I

 

Marie saß auf den Bierkästen und zählte die Vorräte. Bier, Limonaden, Wein. 

 

Seit Wochen war die Gaststätte geschlossen. Nun konnte sie wieder öffnen. Sie musste anfangen, mit dem, was noch da war. Für neue Ware hatte sie jetzt kein Geld.

 

Wir melden uns, hatten die Kunden gesagt. Die großen Familienfeiern, von denen sie lebte, waren noch nicht wieder möglich. Was jetzt blieb, war Laufkundschaft. Jetzt hieß es: Improvisieren.

 

 

Es gab Nächte, da konnte Marie nicht schlafen. Wovon die Rechnungen bezahlen? 

 

Die Kühltruhen, der Strom, die Gewerbesteuer, die Miete, all das lief ja weiter.

 

Shutdown hin oder her, Rechnungen waren noch nicht abgesagt, die kamen weiter ins Haus.

 

 

Marie hatte schon viel durch. Flauten, magere Jahre, aber diese Krise sprengte alles. 

 

Eine Pause. Eine Stille, die sie kaum ausgehalten hat. Marie fühlte sich wie aus ihrem Leben herausgefallen und unter ihr kaum noch Boden.

 

Und es gab Tage, da fühlte sich das an wie eine Strafe, aber wofür, mein Gott, dachte sie. Jahrelang habe ich geschuftet, geglaubt, gehofft, meine Steuern bezahlt und nun das!? Was hab´ ich verkehrt gemacht!?

 

Diese Krise war schlimmer als alles, was sie kannte.

 

 

Marie konnte Leute verstehen, die jetzt auf die Straße gingen mit ihrer Unsicherheit und Angst. Menschen, die einfach nur ihr altes Leben zurückhaben wollten.

 

Aber von all der Wut und Hetze, die da mit hoch kam, da wird jetzt auch nichts gut, dachte Marie. Was bringt denn das, jetzt Sündenböcke zu produzieren?

 

Marie saß da auf den Bierkästen im Vorratsraum. Die Lampe flackerte über ihr. Licht im Dunkeln.

 

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen

 

 

II

 

Das Volk Gottes inmitten der Krise. 587 vor unserer Zeitrechnung stand ein Mann namens Jeremia vor den Trümmern seines Lebens. Vor den Trümmern all dessen, was sein Land und seine Religion ausgemacht hatte.

 

Jerusalem war zerstört, der Tempel, das Allerheiligste gleich mit, die Stadtmauern waren geschliffen und die Elite des Volkes weggeführt nach Babylonien.

 

 

Alles, was dieses Land einmal ausgemacht hatte, gab es nicht mehr. Sogar Gottes Wohnung war weg.

 

Damals glaubten die Menschen, dass Gott nur in seinem Tempel, im Allerheiligsten, für sie erreichbar ist und dass es diesen Ort inmitten der Stadt braucht, damit er bei ihnen wohnen kann.

 

 

Hier im Tempel, da wohnt Gott mitten unter uns, dachten sie, und jetzt war sogar der Tempel zerstört!? Es war als hätte einer Gott zerschlagen und alles, was ein Mensch braucht und woran er sich festhalten kann. Den Alltag, den Himmel und die Straßen.

 

Jeremia schaut auf diese Ruinen und kann nicht fassen, was passiert ist. Er sieht die Trümmer und er will hier nicht stehen bleiben und Gott will es auch nicht.

 

Er sagt: Siehe, es kommt die Zeit. Es werden wieder andere Zeiten kommen, Zeiten, wo es uns miteinander gut geht. So wie es ist, wird es jetzt nicht bleiben. Und ich will euch meine Worte in eure Herzen legen, das soll mein Tempel sein und werden. So nah will ich bei euch wohnen.

 

Jeremia macht den Blick ganz ganz weit, er blickt weit über die Trümmer Jerusalems hinweg und sagt: Es kommen andere Zeit.

 

 

 

 

III

 

Was Marie am Leben hält, ist jetzt ein Stück Hoffnung.

 

Die Hoffnung, dass auch wieder andere Zeiten kommen werden, dass eines Tages diese Krise vorbei ist. Ein Impfstoff gefunden ist.

 

Was sie aufstehen lässt, früh am Morgen, ist die Hoffnung, dass einmal wieder Menschen miteinander feiern können. Nah beieinander, Schulter an Schulter.

 

 

Dass sie wieder Essen kochen kann für 40-50 Leute und das Gelächter aus der Gaststube bis zu ihr in die Küche hineindringt.

 

Was sie am Leben erhält, ist dieser kleine Fetzen Hoffnung, dass es aufwärts geht. Tag für Tag.

 

Letzte Woche hat sie ihre Gaststätte wieder aufgemacht.

 

 

Vereinzelt kamen die Kunden. Ein Essen hier, ein Kaffee dort. Ganz langsam lief alles wieder an. 

 

Marie weiß noch nicht, wie sie alles übersteht, aber sie glaubt, dass es geht, wenn sie nur arbeiten kann.

 

Ob das richtig war, der große Shutdown in Deutschland; ob man das nicht alles auch hätte anders machen können so wie in Schweden. Marie mag das alles gar nicht hören. Diesen ganzen Zoff und diesen Streit.

 

 

Die Gerüchte, woher das Virus kam und dass das doch alles nur eine Erfindung sei. Nichts wird von solchem Gerede jetzt gut. 

 

Ihr redet euch die Köpfe heiß, aber was wird gelöst damit?, denkt sie und rührte weiter in ihrer Suppe.

 

Diese Krise ist schon schlimm genug. Was wir jetzt brauchen ist Zusammenhalten. Was wir brauchen ist Hilfe und Halt.

 

 

 

IV 

Als der Jerusalemer Tempel zerstört dalag, da ging damals auch das Wehklagen los.

 

Einer beschuldigte den anderen: Ihr seid doch schuld, mit eurem gottlosen Leben. Die ganze Zeit habt ihr so getan, als könntet ihr alles allein. Das musste ja eines Tages so kommen! Das riefen die einen.

 

Und die anderen meinten, das ist nur passiert, weil ihr so stur wart!

 

 

Die Kleinen schrien gegen die Großen an. Einer schob dem anderen die Schuld in die Schuhe. 

 

Jeremia hört diesen Streit und sagt: Es kommt die Zeit, , da will Gott sein Gesetz in eure Herzen hineingeben.

 

Dann wird jeder wissen, was gut und böse ist. Und keiner wird mehr die Hand oder Stimme erheben gegen den Bruder!

 

Denn ihr alle, Große und Kleine, sollt mich erkennen, spricht der HERR

 

 

Sagt es und macht Schluss mit dem Streit. So ist Gott, ein Friedensbringer.

 

 

 

V

 

Mit Jeremia stehen wir in der Wüste, vor so manchen Trümmern unseres Alltags.

 

Unser Alltag ist durcheinandergewirbelt. So manche Zukunft ungewiss.

 

Mit Marie sitzen da und schauen auf das, was uns noch geblieben ist in der Vorratskammer.

 

Das Aufstehen ist mühsam. Wir bahnen uns jetzt Wege ins Leben, von denen wir dachten, dass sie glasklar sind. Kinder, Lehre, Schule, Studium.

 

 

Die Beschränkungen machen uns allen Mühe. Keinem macht das Freude: Mundschutz und Abstand halten.

 

Aber wir gehen an die Arbeit und rappeln uns auf.

 

Licht scheint über uns auf, denn Gott ist da und er spricht

 

Siehe, es kommt die Zeit

 

und unser Herz wird weit. AMEN

 

 

 

 

Lk 23,32-46 | 10. April 2020 | Haselbach - Podcast zur Sterbestunde

 

 

Es war schön mit euch, ich bereue nichts. Ein Wort, weiß wie ein Tischtuch, ein Gruß. Ein Wort, mit dem alles wieder losgehen kann, wenn´s zu Ende ist.

 

Als Jesus mit seinen Freunden ein letztes Mal gegessen hatte und am Tisch saß, war hinterher die Stube leer, aber der Tisch stand immer noch da.  Mitten im Raum.

 

Und auf dem Tisch lag immer noch das weiße Tischtuch, standen die leeren Teller, hier und da waren noch Brotkrumen und ein Rotweinfleck. Alles war noch da.

 

Der Tisch in der Mitte des Raumes wie eine Erinnerung. Der leere Tisch und das Heil. Es war schön mit euch, ihr Lieben, aber ich muss nun gehen und ich bereue nichts.

 

 

Die Frauen, die den Tisch abräumten, dachten bei den Brotkrumen an den Abend zurück.

 

Wie sie da alle noch einmal zusammengesessen hatten. Alle zusammen vereint. Nur Judas war plötzlich aufgestanden und gegangen. Und dann diese Stille, als Jesus sagte, dass er gehen wird und keiner mitkommen kann und einer wird mich verraten, sagte er.

 

Und dann diese unheimliche Stille am Tisch, wie wenn ein Tischtuch reißt. Und jeder fragte sich: Herr bin ich´s und Jesus sagte, dass er letztlich doch ein Einzelner ist. Halten kann mich keiner in der Welt, halten kann uns alle nur Gott. Diese unfassbare Stille nach diesem Wort. Ein Staunen und ein Nichtbegreifenwollen.

 

 

Als die Frauen den Tisch abräumten haben, die Kerzen, das Gebetbuch, den Rotweinkrug, da dachten sie noch einmal an Jesu Worte.

 

Nehmt hin und trinkt und wie sie an dem Abend alle getrunken hatten, als wenn das der letzte Schluck Wasser auf Erden wär, das, was alle Fragen in uns stillt, den Durst und die Sehnsucht gleich mit.

 

 

Und die einen tranken schon mit einem Kloß im Hals und die anderen wussten nicht, wie ihnen geschieht.

 

Und jetzt saßen sie hier. Einen Tag später. Mit Tränen, denn Jesus war tot.

 

Sie hatten ihn gesehen, wie er dort hing am Kreuz. Und keiner war eingeschritten. Auch sie nicht.

 

 

Keiner hatte es mit Jesus ausgehalten, draußen in der Nacht, im Garten Gethsemane. Das Paradies gab es nicht mehr. Das Paradies war menschenleer, Soldaten hatten Jesus abgeholt.

 

Und die Frauen haben bitterlich geweint unterm Kreuz und sie haben gehört, was Jesus ganz zum Schluss sagt: Ach, Vater, vergib ihnen doch, denn sie wissen nicht, was sie tun.

 

 

Am Ende, ihr Lieben, ein Gebet für die anderen.

 

Am Ende war da immer noch Liebe für sie und deswegen, glaube ich, hat auch jeder geheult, weil sein Tod so ungerecht war, so menschenleer und weil Jesu Herz immer noch für sie brannte.  Ach, Vater, vergib ihnen. Hängt er da, dieser Jesus und betet für sie, auch für die Feinde, aller Finsternis zum Trotz.

 

Als sie das hörten, da konnten sie nicht mehr, da haben sie nur noch geweint wie die größten Schlosshunde und sich zu Hause eingesperrt. Es war dunkel mitten am Tag.

 

 

 

Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzendende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat kürzlich in einem Artikel für die Zeitschrift Chrismon geschrieben: „Der Karfreitag lehrt uns, mit unseren Erfahrungen von Ohnmacht klarzukommen.“ Ja, denke ich, das stimmt. Aber zugleich lehrt uns Jesu Tod so unendlich viel mehr:

 

 

Sein Tod lehrt mich seine unendliche Liebe für uns. Sein Sterben am Kreuz lehrt mich, in der Liebe zu bleiben noch im Tod. Ohne Bitterkeit.

 

Da hängen, nichts tun können, aber immer noch beten und lieben.

 

Jesus Tod lehrt mich, mir in der Liebe ein Haus zu bauen und mich in ihr einzurichten.

 

Auf Fundamente zu bauen, die du nicht anfassen kannst und die auch keiner zerbrechen kann.

 

Jesu Sterben lehrt mich, mir in Gott ein Obdach zu suchen, gerade dann, wenn nichts mehr hält.

 

Und Jesus lehrt mich auch, mich nicht auf Menschen zu verlassen, retten kann am Ende nur Gott, das wissen und trotzdem sich das Herz offen halten für die anderen, auch für die Widersacher und dann beten: Ach, Vater, vergib!

 

Ich befehle meinen Geist in deine Hände, hat Jesus gesagt.

 

 

 

Karfreitag ist ein Tag, der mich an mein eigenes Ende erinnert. Er stellt mich vor die Frage, wie ich einmal aus der Welt gehen will.

 

Was soll einmal von mir übrigbleiben, wenn ich gehe?

 

Was sollen die anderen mal sagen, wenn ich nicht mehr bin?

 

Und was für Zeichen wollen wir unseren Nachfahren auf den Tisch stellen, wenn alles abgeräumt ist von unserem Leben?

 

Vorwürfe, Bitterkeit oder lieber Brotkrumen und einen Rotweinfleck, Zeichen der überfließenden Fülle und Liebe!?

 

 

 

Die Freunde, die Jesus im Stich gelassen hatten, haben am dritten Tag nach seinem Tod die Frauen gesehen, wie die vom Grab zurückkamen und als die sagten, Jesus lebt, da haben sie es nicht glauben wollen.

 

Sie haben gesagt, ihr spinnt doch! Aber die Frauen wussten, was sie gesehen und gehört hatten.

 

Und dann ist ihnen Jesus erschienen, und sie haben ihn erkannt im Brotbrechen und er war da, mit seiner ganzen Liebe, aller Schuld und allem Versagen zum Trotz.

 

 

Das ist Ostern, ihr Lieben, das ist die Liebe am Kreuz.

 

Liebe, die für uns aufsteht, auch wenn wir es nicht verdient haben. Liebe, die für mich in den Keller geht, dort wo alles dunkel ist und mir ein Licht anmacht und für mich eine Kerze ins Fenster stellt. Liebe, die sagt: Komm gut nach Hause durch die Nacht!

 

Gott kommt und er trägt alles und er wischt das Böse einfach weg: die Feigheit und das Unrecht.

 

So eine Liebe treibt mir die Tränen in die Augen. Sie ist so viel größer als alles, was wir vermögen und wir dürfen trotzdem in ihr wohnen, uns in ihr einrichten und ihr nachspüren, dieser Liebe am Kreuz.

 

 

Was am Ende bleibt, ist mehr als nur ein Kanten Brot oder ein leerer Tisch. Was bleibt, ist das ganze Heil und Gott sagt: Ich lade dich ein. Das ist das Wunder vom Kreuz.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in diesem Christus Jesus. AMEN

 

 

 

 

 

 

Mk 16,15f| 8. März 2020| Leipziger Missionswerk MDR-Kultur/DLF

 

 

I

 

Nach Afrika gehen und die Welt retten.

 

Ich weiß noch, wie ich kurz vor dem Abi bei einer Familienfeier zu Hause am gedeckten Tisch saß

 

und auf die Frage meiner Tante, was ich denn nun machen wolle, sagte:

 

Krankenschwester werden; nach Afrika gehen: die Welt retten.

 

Das mit der Welt, hatte ich so nicht gesagt, aber gemeint.

 

Denn seit Wochen kamen Bilder im Fernsehen von verhungernden Kindern und wir saßen zu Hause am gedeckten Tisch.

 

Mich hat das fertig gemacht.

 

 

Und ich wollte raus aus meinem Dorf, raus aus einem Land, wo jeder nur darauf bedacht war, wieder auf die Beine zu kommen, damals kurz nach der Wende.

 

Also Krankenschwester werden und nach Afrika.

 

 

Meine Tante sagte: wenn du kranken Menschen helfen willst, dann fang gefälligst zu Hause damit an. Es gibt hier nämlich genug Leute, denen es schlecht geht.

 

Ich dachte damals wie herzlos und gemein von ihr.

 

Erst wegschauen, wenn ein Kind verhungert und dann auch noch meine Träume kritisieren.

 

Wir haben lange geschwiegen am Tisch.

 

Gehet hin in alle Welt.

 

 

II

 

Vor 125 Jahren ist Emma von Soden nach Indien aufgebrochen.

 

Ein lang gehegter Traum ging damals für sie in Erfüllung. Ein Traum nach einem langen harten Weg.

 

Emma von Soden war in Neuhaus an der Aller aufgewachsen.

 

Tochter eines Rittergutsbesitzers. Sie hatte alles gehabt. Eltern, Geschwister, Brot. Ein Zuhause. Liebe.

 

 

Mit 8 Jahren verliert sie plötzlich ihre Eltern. Auf einmal fühlt sich ihr Leben an wie ein Stuhl ohne Lehne.

Wo ist noch Geborgenheit? Eine Welt zerplatzt in ihr.

 

Sie findet zwar Obhut im Haus des Oberamtsmannes Garke auf der Burg Widelah im Harz und genießt dort eine gute Erziehung, aber die Liebe der Eltern kann ihr das nicht ersetzen. Die Welt - ein heilloser Ort?

 

 

Emma träumt sich weg und sie liest. Sie liest ein Buch mit dem Titel „Das Pfarrhaus im Harz“.

 

Von einer Emma ist dort die Rede, einer Pfarrersfrau, die Waisen zu sich nimmt und zusammen mit ihren Kinder großzieht.

 

und von einer Freundin Emmas ist darin die Rede, die eines Tages einen englischen Missionar trifft, sich verliebt und mit ihm nach Indien geht. Ab in die Mission.

 

 

In Emma von Soden wächst ein Traum heran. Indien und die Mission. Eine Heimat finden in der Ferne. Helfen, heilen und Geborgenheit.

 

Ich kann mir vorstellen, wie sich Emma von Soden gesehnt hat nach einem Leben, voller Wärme und Liebe, nach all dem, was sie mit dem frühen Tod der Eltern verloren hatte.

 

Die Trommeln des Aufbruchs in ihr.

 

 

Emma von Soden setzt fortan alles daran, nach Indien zu kommen.

 

Sie lässt sich ausbilden zur Lehrerin. Geht nach Schottland und unterrichtet dort die Töchter von Pfarrern und Missionaren.

 

Sie rennt alle Türen ein, die es damals gab und sie ist bereit für ihren Traum alles zu tun, auch die Geschwister zu verlassen.

 

Nach den Jahren in Schottland sagt sie ihren Schwestern: Ich will nach Indien in die Mission. 

 

Aber alles, was Emma hört, ist ein sehr hartes, klares Nein.

 

 

Ihre Schwestern empfinden allein den Gedanken als Verrat. An ihrem Land, an ihrer Nation.

In der Ferne irgendwelchen Kindern Unterricht geben, was denkst du dir eigentlich dabei!?

 

Emma wird klein. Sie geht in sich.

 

 

Sie beugt sich dem Willen ihrer Schwestern und geht nach Genf.

Macht ihr Examen in Englisch und Französisch und wird Hilfslehrerin. Aber ihr Traum ist noch lange nicht aus.

 

„[A]llem Widersprechen trotzend“, schreibt sie Jahre später, „blieb ich bei dem heißen Verlangen in die Mission einzutreten, noch im Herbst 1888 stand ich vor dem seligen Herrn Direktor Hardeland und wagte es, mich zum Dienst anzubieten (…)

 

Da traf mich auf dem Nürnberger Missionsfeste das ernste Wort ´durch Stillesein und Hoffen, werdet ihr stark sein´,

 

das brachte mich mit Schrecken zur Erkenntnis wie wenig ich die ungeheure, schwere Aufgabe erkannte, welche nur durch Stillesein errungen werden kann; ich ging betrübt davon.“

 

 

Andren helfen, um die eigene Verlorenheit zu dämpfen? – Emma erkennt, wie sinnlos das ist.

 

 

Ein Ackermann kann eben nicht machen, dass die Liebe wächst wie das Gras.

Er kann sich die Liebe nur schenken lassen und sein Leben und alles annehmen wie es ist.

 

„Es kam dann eine harte Zeit des Kampfes mit mir selber“, schreibt sie, „ich erfuhr Gottes freundliches Locken und Werben um meine ruhelose Seele und beugte mich“.

 

 

In Dir ist schon alles, was du brauchst. Du bist ohne alles Zutun schon gerecht. Unendlich liebenswert.

 

Ein Läuterungsfeuer und eine Erkenntnis.

 

Gott merzt die Leerstelle aus. Emma, du bist liebenswert.

In Dir ist schon alles, was du suchst und was du brauchst.

 

 

 

III

 

Wenn ich damals nach Afrika gegangen wäre, aus mir wäre keine gute Krankenschwester geworden.

 

Die Probleme, die man zu Hause hat, die schleppt man ja immer mit sich herum und die lassen sich auch nicht lösen am anderen Ende der Welt.

 

Und wirklich da sein für andere mit seinem Wissen und Können, kann nur einer, der sein eigenes Leben schon angenommen hat. Sich seiner selbst bewusst ist.

 

 

Es ist ja ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Menschen glauben, wenn sie anderen etwas Gutes tun, dann bekommen sie endlich das zurück, was ihnen so sehr fehlt: Ansehen, Wertschätzung, Liebe.

 

Es gibt Menschen, die brennen sich deshalb für andere aus. Sie tun alles für andere, um endlich ein liebes Wort zu hören.

 

Sie erwarten alles vom anderen oder am anderen Ende der Welt. Sie sind auf der Suche nach dem ganz großen Heil. Aber das Heil liegt immer schon in uns.

 

 

Du bist liebenswert.

 

Gott sagt das zu seinem Sohn und sein Sohn sagt es zu uns.

 

Liebe mich und deinen Nächsten so wie dich selbst. Das ist alles, was Gott von uns will.

 

 

Er braucht unsre Taten nicht, schon gar nicht jene, die angeblich gleich die ganze Welt zu retten,

 

höchstens unser Mittun und unser Amen sagen. Jeder so, wie er kann.

 

Ein strahlendes Abbild von Gottes Liebe sein – das reicht vollkommen aus.

 

 

 

IV

 

Emma von Soden hat vor 125 Jahren ein Motivationsschreiben verfasst, so wie das junge Menschen heute immer noch tun, bevor sie ausgesendet werden.

 

„Mit heißen Tränen“, schreibt sie, „verließ ich den Weg, den ich mir selber mit starkem Willen hatte bahnen wollte und schlug nun in Gehorsam auf [Gottes] Wort den Weg der Diakonie ein.“

 

Emma fügt sich und wird Diakonisse in Neuendettelsau. Sie pflegt Kranke und verbindet ihre Wunden. Sie macht ihren Frieden mit der Welt und mit ihrem Leben.

 

Die Liebe zur Mission lag noch in ihr wie ein tiefer stiller See.

 

Aber nur Gott soll diese Sehnsucht wecken, schreibt sie.

 

 

 

Der Direktor des Missionswerkes liest diesen Brief und gibt Emma von Soden nun endlich sein Ja.

 

Sie darf nach Indien in die Mission. Sie geht als geläuterte Frau.  

 

Zusammen mit Auguste Hensolt bricht sie noch im selben Jahr auf. Angekommen in Indien, macht sie dort nichts anderes als das, was sie zu Hause auch hätte tun können.

 

 

Sie gibt Unterricht, sie geht zu den Kranken und verbindet ihre Wunden.

 

Aber jetzt weiß sie, ich mache das nicht, um Applaus oder Liebe zu bekommen. Denn liebenswert bin ich schon. Ich mache das hier, weil ich´s kann.

 

Eine Inderin, die zusah, wie Emma von Soden einer kranken Frau den Fuß verband, fragte nach ihrem Besuch in ihrer Gemeinde: „Was ist das, dass eine weiße Dame sich herablässt, einer eingeborenen schwarzen Frau den Fuß zu verbinden?

 

Darauf gab der Gemeindeälteste die Antwort: Das ist barmherzige Liebe, Liebe, die nur Christen haben können, weil sie die noch größere Liebe Christi erfahren haben.“

 

Die Liebe ausstrahlen, weil ich schon liebenswert bin.

 

 

 

V

 

Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur, schreibt Markus in seinem Evangelium und setzt noch hinzu:

 

wer das glaubt und getauft wird, der wird selig werden.

 

Was werden die Menschen, denen wir begegnen mit unseren Worten und Werken, einmal von uns sagen?

 

Werden wir ein strahlender Spiegel voll von Liebe für sie gewesen sein oder haben wir alles nur getan, weil wir ihr Zusage brauchten, ihren Applaus?

 

 

 

 

Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.

Was ist das Evangelium?

 

Dies: Du bist liebenswert und in dir ist schon alles, was du brauchst.

 

 

Vor 2000 Jahren ist Jesus aufgebrochen, dies den Menschen weiterzusagen.

 

Heute brechen wir auf. Meine Liebe, mein Evangelium.

 

 

Mit diesem Satz brechen wir auf und sind Evangelium aller Kreatur. AMEN

 

 

 

 

 

 

 

 

Mt 2,1-12 | 2. Februar 2020 | Brüderkirche Altenburg

 

Wir haben seinen Stern gesehen

 

Dietrich war noch ein Junge gewesen, da hatte er schon in der Kirche mitgemacht und den Blasebalg der Orgel getreten.

 

Jeden Sonntag waren zwei andere Jungen dran. Dietrich oft zusammen mit Richard. Sie haben ihre Faxen gemacht da oben, wenn keiner sie sah.

 

 

Kirchenjunge. Das war damals noch eine Auszeichnung gewesen und Dietrich wäre es auch nie im Leben eingefallen zum Pfarrer zu sagen: mach ich nicht.

 

Wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.

 

 

Dietrich war damals gerade mal 8 Jahre alt. Kirchenjunge war Ehre und Pflicht. Er war allein mit der Mutter und der ganzen Wirtschaft auf dem Hof, nur die Großeltern waren noch da.

 

Der Vater war im Krieg und ob er heimkommen würde, wer wusste das schon? Eine Frage, mitten im Gebet.

 

Für Dietrich war die Kirche ein riesiges Dach. Ein Ort, wo er das Wort Vater ganz laut mitsagen konnte, ohne dass ihn einer komisch ansah.

 

Ein Ort, wo die Mutter manchmal weinte in der Bank, weil sie nicht wusste was wird.

 

 

Als Dietrich Konfirmand war, saß er in der ersten Reihe, zusammen mit Richard und all den anderen.

 

Das Foto von seiner Konfirmation zeigt Dietrich gleich neben dem Pfarrer und die ganze Klasse hinter und neben ihm. Eine wohlerzogene schwarze Wand und die Gesichter so ernst, als wenn er schon dreißig wär`. Und das Leben war für sie eine Pflicht.

 

Damals gab es das noch: Da ging die Klasse geschlossen zum Gebet, nur Heinz nicht, dessen Vater war Kommunist, der durfte oder wollte nicht. Dietrich hat ihn nie gefragt.

 

 

Jahre später kam der Pfarrer zu Dietrich ins Haus und sagte: Dietrich, du bist doch noch jung und du weißt doch, wie hier alles läuft und trug ihm die Kirchrechnung an.

 

Stück für Stück hat Dietrich dann alles übernommen. Erst den Blasebalg treten, dann die Kasse führen, später dann den Vorsitz im Gemeindekirchenrat. Das ging ihm leicht von der Hand: auf den Pfarrer hören und den Turm reparieren.

 

 

In der Kirche hatte sein Vater schon gesessen, das war das letzte gewesen, was geblieben war.

Seine Kirche und seine Bank.

Der Vater war im Krieg geblieben, aber die Kirche und der Hof zu Haus, das war wenigstens noch da.

 

Dietrich baute und werkelte mit rum. Dass wenigstens etwas im Leben bleibt, wenn die Welt uns aus dem Paradies vertreibt.

 

Diesen Stern hat Dietrich leuchten gesehen.

 

 

4 Leute waren sie im Gemeindekirchenrat, alles Männer, die Frauen waren beim Kirchenputz dran. Ja, so war das damals noch.

 

Wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten

 

Heute versteht Dietrich die Welt oft nicht mehr. Nach der Wende hatten sie das Pfarrhaus verkauft.

Es hieß, hierher kommt eh kein Pfarrer mehr.

 

 

Wie kann das sein, hat Dietrich gedacht, denn wir sind doch hier noch da oder zählen wir gar nicht mehr?

 

Die Gemeinden wurden zusammengelegt. Dietrich werkelte überall mit herum. Es war immer etwas zu tun.

 

Neuerdings gingen in der Gemeinde so Flausen herum. Ein paar Frauen träumten von einer Kirchennacht und die Kinder tobten auf der Orgelbank herum, als wenn das ein Spielzeug wär.

 

 

Früher hätt` es so etwas nicht gegeben, da war noch Ordnung und Zucht im Haus.

 

Und wenn Dietrich die Enkel fragte, ob sie auch den Psalm 23 können, da zuckten die nur mit den Schultern und fragten, was für ein Psalm. Wohin sollte das denn noch führen?

 

 

Für Dietrich war der Psalm ein Stecken und Stab, ein Wort, das hatte der Vater schon gekannt, so hats ihm die Mutter erzählt.

 

Und von irgendwas muss sich ein Christ doch ernähren, wenn die Welt über ihm mal zusammenbricht.

 

In Worte fassen konnte er das nicht.

 

 

Als letztes Jahr die Wahl zum Gemeindekirchenrat kam, ist Dietrich nicht noch einmal angetreten.

 

Ich bin zu alt, hat er gesagt. Die Knochen wollten nicht mehr und er verstand diese Kirche auch nicht mehr. Der Pfarrer war 10 km weit weg, den sah keinen mehr am Gartenzaun und alles ging nur noch um die Stadt. Man sprach von Zentralisation.

 

Dietrich hatte das satt, und irgendwie war er auch enttäuscht, dass nach der Wende die Kirche nicht voller war. und für alles gab man sich jetzt her.

 

 

Jetzt spielten schon Kinder im Krippenspiel mit, die waren noch nicht mal getauft.

 

Für Dietrich war das alles eine fremde Welt, er fühlte sich da wie aus der Zeit gefallen. Das verstand er einfach nicht mehr.

 

Wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.

 

 

Klara machte seit zwei Jahren bei der Christenlehre mit. Einmal im Monat Kindertag. Mit Volleyballspiel und Lobpreismusik, mit Bibelgeschichten, die die Kinder spielen und am Ende ein offenes Gebet.

 

Auch Klara sieht einen Stern.

 

 

Sie glaubt, dass alles auch offen sein kann. Dass Taufe immer auf Hoffnung geschieht und ein Kind ohne Taufe auch Maria spielen kann,

weil auch das ein Zugang sein kann.

 

Sie träumt von einer Kirche, die flüssiger ist. Wo keiner schon fertig mit allem sein muss.

Eine Kirche mit flexiblen Strukturen, eine Kirche, wo es nicht nur um Turmrisse geht.

 

Sie glaubt, dass Kirche auch Sprache sein kann, dass einer sein Leben in Worte fassen kann im Reden und Hören auf Gott.

 

Sie wünscht sich eine Kirche, die gnädiger mit ihren Schätzen umgeht, die das einfach verschenkt und wo keiner Psalm 23 auswendig lernen muss, aber jeder mit Gott reden kann.

 

 

Als Dietrich aus dem Kirchenrat ausgeschieden ist, hat Klara ihn noch einmal besucht.

 

Sie wollte Dank sagen, für alles, was er macht und kann, aber Dietrich hat sie gar nicht erst zu Wort kommen lassen,

 

hat sich gleich beschwert über die Kinderkirchennacht und wie laut das alles war und überhaupt, warum da kein Pfarrer dabei war – geht denn das überhaupt, dass ihr da einfach miteinander betet und singt?

 

 

Klara hörte sich das alles an und dachte: So stehen wir zwischen Sehnsucht und Tradition.

Wir haben seinen Stern gesehen und jeder betet ihn auf seine Weise an. Jeder mit dem, was er kann.

 

Sie hat Dietrich eingeladen, den Kindern von früher zu erzählen, als die Glocke noch nicht elektrisch war und wie das damals mit dem Blasebalg war.

 

Aber Dietrich brummte nur rum.

 

Mal sehen, hat er gesagt und gedacht, was wird denn jetzt noch alles kommen.

Und überhaupt, wie sollte er ihr das erklären, dass die Kirche für ihn das letzte war,

was ihm vom Vater noch bleibt und dass das Wort eines Pfarrers viel mehr für ihn war als nur eine Möglichkeit.

 

 

 

Ihr Lieben, ich glaube, es ist eine Kunst, dranzubleiben, wenn die Wolken alles verdecken, was früher glänzend für Dich war.

 

Und es ist eine Kunst, Gott alles vor die Füße zu legen. Das Schöne, das Leichte, das Bittere. Gold, Weihrauch und Myrrhe.

 

Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

 

 

Die drei Weisen sind keine Narren. Sie erzählen dem Kind einfach ihr ganzes Leben. Das Schöne, das Leichte, das Bittre.

 

Sie drucksen nicht lange herum. Sie zieren sich nicht, sie geben sich einen Ruck.

Sie sagen Jesus, was Sache ist und bitten, nun mach auch was draus.

 

 

Die Bibel weiß nichts von dem Alter der drei Weisen. Ob die sich gut kannten oder nicht.

Wie eng die miteinander befreundet waren oder nicht.

 

Die Bibel weiß nur zu berichten, dass sie sich gefunden hatten unter einem Stern und ihm folgten,

jeder mit seiner Gabe und alles hatte vor ihm seinen Platz.

 

 

Und Gott befahl ihnen im Traum nicht wieder zu Herodes zurückzukehren.

 

Abschied nehmen von der herrischen Welt des Herodes, von einem Leben,

wo es nur ums Recht haben geht. Und um das, was früher mal war. Zwischen Sehnsucht und Tradition.

 

Aufbrechen und diesen Herodes in uns links liegen lassen und uns miteinander aufmachen, jeder mit dem, was er hat – das gebe uns Gott. AMEN

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

 

Lk 2,1-20 | 24. Dezember 2019 | Posterstein/Bartholomäikirche Altenburg

 

Wenn Weihnachten naht, sagt Theo immer schon Wochen vorher, was gibt´s da noch zu feiern?! Die Kinder kommen und nach ein paar Tagen sind sie wieder weg und wir stehen mit allem wieder alleine da. Mit der ganzen Wirtschaft in Haus und Hof.

 

 

Irmi, seine Frau, sagt dann immer nur: ach, sei doch nicht so. Aber Theo weiß nicht, wie es weitergeht, wer den Hof mal übernimmt und ob das überhaupt noch einen Sinn hat, dass er sich abrackert mit all dem.

 

 

Es ist ja nun keiner dageblieben, dem er all das übergeben könnte. Eine Sauerei ist das, sagt Theo.

 

 

Er gönnt den Kindern ja ihr Leben im Westen, aber irgendwie tut das wahnsinnig weh und er kann das so schlecht in Worte fassen.

 

Seine Kinder haben im Westen ihre Häuser gebaut, Karriere gemacht. Soviel ist klar, die kommen auch nicht mehr zurück.

 

 

Weihnachten und Ostern sind sie da, aber ansonsten ganz weit weg und Theo mit allem allein.

 

Es kostet Theo dann unendlich viel Kraft, bei Tisch zu sitzen und fröhlich zu sein, so als gäbe es das eben alles noch: Eine Zukunft für Haus und Hof.

 

 

Und Felix, sein Enkel, der hat seit Neuestem auch nur noch Flausen im Kopf. Der isst auf einmal kein Fleisch mehr. Das will noch einer verstehen.

 

Wenn er kommt, fragt er immer als erstes nach dem WLAN-Code und Theo weiß noch nicht mal, was das ist. Er sagt dann nur, frag die Oma.

 

Theo fühlt sich manchmal gar nicht wie ein altes Eisen, eher wie unnützer Schrott.

 

 

Theo ist schon Wochen vorher satt, da hat Weihnachten noch nicht mal begonnen. Und die Politik, sagt er, die lässt uns alle im Stich. Die Dörfer und Städte veröden. Das interessiert da oben keine Sau.

 

 

Wenn Theo mal so richtig in Fahrt ist, dann hört er auch gar nicht mehr auf und kommt vom Hundertsten ins Tausendste:

 

Dann ist Frau Merkel an allem schuld, auch daran, dass sein Enkel kein Fleisch mehr isst und freitags jetzt fürs Klima demonstriert anstatt in der Schule was zu lernen.

 

 

Wenn Theo in Fahrt ist, ist auch sein Bürgermeister ein abgehobener Kerl, obwohl er den eigentlich mag.

 

Aber einer muss ja schuldig sein, an den Windrädern, die sich jetzt vor seiner Haustür drehen, an der Grundschule, die vielleicht geschlossen wird. Wenn Theo in Fahrt ist, brüllt er los.

 

 

Letztes Jahr zu Weihnachten hat Theo sich sogar mit seinem Schwiegersohn verkracht, weil der Banker ist und in Aktien macht.

 

Nach dem Gänseessen hat er ihm mal  so richtig die Meinung gesagt: Leute wie ihr, die sind doch schuld, dass hier nur noch das Geld regiert!

 

Theo brüllte ihn sogar wegen der Milchpreise an und dass sich kein Bauer mehr die Rente leisten kann. Der Haussegen hing dann schief.

 

 

Am Ende haben alle mit den Türen geknallt, die Tochter, weil sie den Vater liebt und nicht versteht, der Schwiegersohn, weil er sich sowas nicht anhören muss und Felix, weil das Internet wieder nicht ging. Und Irmi wegen allem und überhaupt.

 

 

Beim Abschied hat ihm der Schwiegersohn gesagt, er sei ein verbitterter alter Mann und dass es gewiss für alles eine Lösung gibt, aber Verzweiflung nun mal kein Freifahrtschein, dass er so  Rumbrüllen kann.

 

 

Das mit dem verbittert hat Theo am meisten gewurmt, weil irgendwie hatte der ja sogar Recht. Aber zugeben konnte Theo das nicht. Da war es leichter zu sagen: Der Schwiegersohn ist schuld. So war das in der Heiligen Nacht.

 

 

 

Theo saß dann in der Werkstatt und hat Nägel sortiert. Sein ganzes Leben fühlte sich auf einmal verkehrt an und er dachte nur:

 

Wenn einer mal käme und sagt: es ist gut ach, wie schön wäre das.

 

 

Wenn einer mal käme und sagt: Theo ich weiß, wie sehr du dich hier abgerackert hast und dein Leben hatte trotzdem einen Sinn, auch wenn jetzt keiner den Hof übernimmt, ja, das wäre so schön.

 

 

Aber es kam eben keiner und der Enkel meinte beim Abschied nur, Opa, hier kann doch keiner leben, keine Jobs, keine Szenekneipen, noch nicht mal Internet, nur Felder und weites Land und das hatte ihm dann den Rest gegeben, weil der Enkel hatte ja Recht und mit Irmi drüber reden, das konnte er nicht, dafür gab´s keine Wörter im Mund.

 

 

Höchstens solche, die spitz waren, weh taten und pickten, wie sehr, sehr trockenes Stroh.

 

Ochs und Esel im Stall.

 

 

 

Ihr Lieben, was hat der Ort an dem der Heiland einzieht mit dem Stall von Bethlehem zu tun?[1]

 

Der Ort, wo der Heiland bei uns einzieht, hat mit dem Stall von Bethlehem gemeinsam, dass es unter uns auch oft gar nicht schön zugeht, dass es hier auch oft gar nicht heimelig, sondern oft unheimlich zugeht, gar nicht menschenwürdig, sondern wir mit unserem Verhalten oft ganz in der Nähe der Tiere sind.

 

 

Wir schreien immer gleich rum, wenn uns etwas nicht passt, wie Och und Esel im Stall.

 

Und manche von euch haben den lieben Herrn Jesus in diesem Jahr eine recht harte Krippe in ihrem Herzen gebaut und sich da so richtig Mühe gegeben. Quasi mit Stacheldraht drumherum.

 

 

Wir lassen unsre Wut aneinander aus, wenn etwas uns nicht passt.

Wir werden auf der Suche nach Gerechtigkeit oft ungerecht, manchmal selbstgerecht und treten andere in den Dreck.

 

 

Wir urteilen hart über Dinge, die wir nicht verstehen und schnitzen uns dann im Keller unseres Herzens einen Sündenbock zurecht, weil das einfacher ist, als die Ohnmacht auszuhalten, dass man manchmal nichts zum bessren wenden kann.

 

 

Unsere stolzen oder bescheidenen Herbergen mit all ihren weihnachtlichen Lichtern und wir als ihre Bewohner – das ist immer nur die Fassade, die Oberfläche unseres Lebens.

 

Darunter aber ist eine Tiefe, ein Grund, ja ein Abgrund voll von unaussprechlichen Gefühlen, voller Sehnsucht und manchmal voller Wut und Hass und in genau diesen Abgrund kehrt Jesus ein. Da ist er bei uns schon längst eingekehrt.

 

 

Gott sei Dank für diesen dunklen Ort, für diese Krippe, für diesen Stall auch in unserem Leben.

 

Da drunten brauchen wir Gott und da braucht Gott auch uns. Da sind wir ihm geradewegs die rechten Leute. Denn dort wartet er nur darauf, dass wir ihn sehen und erkennen, dass wir an ihn glauben und ihn liebhaben.

 

Dort drunten begrüßt er uns, dieses holde Kind und da können wir gar nicht mehr anders als ihn wieder zu begrüßen und willkommen zu heißen. Christ, der Retter, ist da.

 

 

Dort drunten im Keller unseres Herzens, da legt er uns seine Hand auf die Schulter und sagt: ich bin für dich da, und ich bleibe bis ans Ende dieser Welt.

 

 

Schämen wir uns also nicht, da drunten dem Ochs und Esel ganz nah zu sein! Gerade da hält er es ganz fest mit uns allen.

 

Gerade da will er unser Tröster und Retter sein und uns das schenken, was wir so sehr brauchen: Sanftmut, Frieden und Geduld.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 



[1] Karl Barth, 24. 12. 1959 – Predigt vor Strafgefangenen

 

 

 

Lk 6,27-35 | 10. November 2019 | Agneskirche Altenburg

 

 

I

 

Am Anfang waren es nur kleine Stiche gewesen. Ein Mitgliedsantrag, der unbeantwortet blieb. Ein Theaterstück, das verboten wird. Gesprächsmanöver. Protokolle. Aber dann setzten sie die Daumenschrauben an.

 

 

Sie lehnten seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED ab. Sie verboten kurz darauf jeden Auftritt, jeden Text.

1964. Wolf Biermann.

 

Ein Sänger, der nicht mehr singen durfte. Einer von vielen im Land, dessen Werk auf dem Index stand. Zuviel Wahrheit sprach aus seinen Texten.

 

Er hatte die Staatslenker mit den Folgen ihres Tuns konfrontiert. Er war so frei. Er hielt die Folgen aus. Er liebte dieses Land.

 

13 Jahre lebte er in der DDR, belegt mit einem Auftrittsverbot. Das kam für einen Sänger einem Berufsverbot gleich. Er schrieb seine Texte weiter im Geheimen. Ein Dichter im Spitzelstaat.

 

Es gab Menschen, die haben ihn verraten und es gab Menschen für die war er ein Held. Sie waren auf seiner Seite, aber sie haben sich nicht getraut, ihren Mund für ihn aufzumachen. Denn das hätte sie die eigene Freiheit gekostet. Leben im Spitzelstaat.

 

 

 

II

 

Als Jesus in seinen besten Jahren war, war das Land, in dem er lebte, besetzt von den Römern.

 

Die Römer waren eine unangefochtene Macht. Sie hatten das Sagen in der Stadt.

 

Wenn ein Römer kam und sagte: Los, trag mir mein Gepäck eine Meile – dann durftest du nicht widersprechen. Das hast du dann einfach gemacht, weil es gesünder für Dich war.

 

Wenn ein Römer Dich auf die Wange schlug – dann war es besser, nicht zurückzuschlagen. Es hätte dich sonst den Kopf gekostet.

 

Wenn ein Römer sagte; gib mir deinen Mantel, dann war es besser den herzugeben, als zu sagen: der gehört aber mir.

 

Die Römer haben geraubt, erpresst, gekreuzigt und zugeschlagen, auch aus dem Hinterhalt.

 

Keiner hat da was gesagt und wenn, dann nur im Verborgenen.

 

 

In der DDR bestimmen Kulturstaatsminister, welche Lieder gesungen wurden und welche nicht.

 

Wolf Biermann hat sich den Mund trotzdem nicht verbieten lassen.

 

Nach 13 Jahren Auftrittsverbot in der DDR durfte er 1976 in der Nicolaikirche im Prenzlauer Berg plötzlich wieder auftreten.

 

Zu der Zeit hatte er schon eine 10 tägige Konzertreise durch Westdeutschland geplant. Die hat er dann auch angetreten.

 

 

Als er drüben war, wurden aus den 10 Tagen dann 13 Jahre, ohne dass er das wollte. Sie haben Wolf Biermann einfach ausgebürgert, während er auf Tournee war.

 

Du bist hier unerwünscht. Eiskalt abserviert haben sie ihn. Den Sänger, der seinen roten Traum auch nach dem Mauerfall noch lauthals träumte.

 

Viele haben gegen seine Ausbürgerung protestiert, die Regierung der DDR hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Biermann durfte nicht mehr zurück.

 

Was machen wir mit denen, die uns kalt stellen, belügen, in der Presse diffamieren?

 

 

III

 

Zur Zeit Jesu gab es eine sehr fromme Bevölkerungsschicht, die Zeloten. Sie eiferten Gott in allem nach und lehnten die römischen Besatzer ab.

 

Von denen lassen wir uns gar nichts sagen! Wir haben einen Gott, dem wir folgen!

 

In den Texten der Zeloten steht: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.

 

 

Die Zeloten haben die Römer bekämpft. Mann gegen Mann. Sie haben sie gehasst und ihrem Hass Ausdruck gegeben.

 

Aber das ist nicht Gottes Weg, hat Jesus gesagt und sie an Gottes Wort erinnert, auch die Römer hat Gott gemacht:

 

Euch, die ihr zuhört, sage ich deshalb:

 

Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar und wer dich bittet, eine Meile mitzugehen, mit dem gehe zwei und wer dir deinen Mantel nimmt, dem gib auch den Rock und fordere nichts zurück.

 

Tut wohl denen, die euch hassen.

 

 

 

IV

 

Als Wolf Biermann am 1. Dezember 1989 in der Messehalle von Leipzig nach 25 Jahren endlich wieder ein Konzert im Osten geben durfte, saß er da, unendlich heiter und froh.

 

 

Er hatte nichts vergessen, von dem, was ihm Erich Honecker und Co angetan hatten. Im Gegenteil, er erzählte freimütig und offen davon.

 

Und er sagte: es gibt gewiss auch Versöhnung und einen Neuanfang, auch mit denen, die uns das angetan haben.

 

Aber wir müssen die Wahrheit aussprechen. Wir müssen das sagen, was zwischen uns gewesen ist.

 

 

Das gehört dazu, das Übel  beim Namen nennen: den geraubten Rock, die verletzte Ehre, die Not und die Demütigung.

 

 

Wolf Biermann widmete in diesem Konzert Egon Krenz, Erich Honecker und Co. ein Lied. Es war eine Uraufführung:

 

Für jeden seiner größten Widersacher hatte er eine Strophe gedichtet, und deren Missetaten benannt. (Pause!)

 

Aber jede Strophe endete mit dem Refrain: Nicht Rache, sondern Rente und Friede seinem letzten Atemzug.

 

Tut wohl denen, die euch hassen.

 

 

Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Feinde lieben.

 

Ob Sie ihnen etwas Gutes hinterherwünschen, das tägliche Brot und Frieden noch im letzten Atemzug.

 

Jeder geht mit seiner Liebe anders um.

 

Es gibt Menschen, die lassen es sein mit der Liebe, wenn sie allzu oft verdroschen wurden.

 

Die ziehen sich ins Private zurück und schließen ab mit all dem, was sie nicht verstehen.

 

Auch davon erzählt unser Land.

 

 

 

V

 

Peter Huchel, ein Dichter und Freund von Wolf Biermann, wurde in der DDR auch mundtot gemacht, diffamiert, beschimpft und bespitzelt.

 

Er hat sich daraufhin zurückgezogen.

 

Er lebte einsam und verbittert, auch als er dann im Westen war.

 

Wolf Biermann hat gesagt: Man darf nicht zum Kannibalen am eigenen Herzen werden. Egal, was kommt. Man darf sich nicht sein eigenes Herz wegfressen.

 

Das ist keine Lösung, kein Weg.

 

 

Denn kein Machthaber dieser Welt lässt sich beeindrucken von unserem Schmerz.

 

Wer uns beschimpft oder verraten hat, lässt sich nicht davon imponieren, dass wir uns ins Private zurückziehen oder nur noch die lieben, die auch uns lieben. Bewahrt euch euer Herz!

 

Wolf Biermann hat 1968 seinem Freund Peter Huchel deshalb ein Lied gewidmet: Ermutigung. Lass dich doch nicht verbittern, in dieser bittren Zeit. (…)

 

Und lass dich nicht verbrauchen, wir brauchen doch grad deine Heiterkeit.

 

 

Wir brauchen doch grad deine Heiterkeit.

 

 

Wolf Biermann sagte 1989 in Leipzig, er glaubt nicht an Gott.

 

Aber es sei wichtig, dass man in diesen Zeiten überhaupt noch an irgendwas glaube, gerade wenn alles auf uns einstürmt im Streit der Zeit.

 

Ich glaube an Jesus Christus, der das Übel benennt und trotzdem liebt. AMEN

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

 

 

 

 

Jos 2,1-21 + Mt 15,21-28 | 13. Oktober 2019 | Bartholomäuskirche Altenburg

 

Das zarte Band des Vertrauens.

Rahab und die Kundschafter.

Rahab, die Wilde, dee Hure. Die Frau, bei der kein Mann wusste, wen sie liebt, wenn sie liebt. Wenn sie mich anlacht, meint sie dann auch mich?

Rahab, die Hure, die Wilde. Kein Mann hat ihr jemals so ganz vertraut, aber jeder hat sich bei ihr bedient. Als die Kundschafter in die Stadt kamen, kamen sie unter in ihrem Haus. Und der König sprach: gib sie heraus!

 

Aber Rahab hat sie versteckt. Die Fremden schlossen mit ihr einen Bund, dass der eine dem anderen das Leben bewahrt. Als Zeichen häng in dein Fenster dieses rote Seil, damit wir wissen, das ist dein Haus. Wenn unsre Leute kommen, wirst du verschont.

Ein Eid. Ein Wort. Ein ganz zartes Band: ich verrate dich nicht, ich rette dich.

 

Die Kundschafter und Rahab in Jericho glaubten nicht an denselben Gott. Und dennoch verband sie ein Versprechen, ein Wort. Als Zeichen im Fenster ein Band. Rot wie die Liebe. Ein Zeichen des Vertrauens. Wer das hat, wird in allem verschont.

 

Ein zartes rotes Band. Vor dem Hintergrund eines christlichen Weltbildes entwerfen 1949 unsere Vorfahren das deutsche Grundgesetz. Es garantiert jedem Menschen egal welcher Herkunft und Religion seine Würde und Unversehrtheit.

Jüdische Mitbürger, die sich nach 1945 in Deutschland wieder angesiedelt haben oder unter uns wohnen blieben, die haben dieses zarte Band des Vertrauens ergriffen. Auch wir haben die Hände ausgestreckt.

 

Hier ist unser gemeinsames Land mit einem Grundgesetz, das den Namen verdient. Es bewahrt das Leben aller ohne Ansehen von Herkunft und Religion. So leben wir in diesem Land! Leben wir wirklich so im Land?

Anschlag auf eine Synagoge.

 

Christina Fest steht am Tag nach dem Anschlag vor der Tür, die ihr das Leben gerettet hat.

Sie war auf der Durchreise und hatte in Halle einen Zwischenstopp eingelegt, um hier mit ihren Glaubensgenossen den höchsten jüdischen Feiertag, den Yom Kippur, zu begehen.

Unterwegs auf dem Boden des Grundgesetzes und dann zwei Tote in Halle und eine Tür, die zum Glück verschlossen hält.

Und Rahab knüpfte das rote Seil ins Fenster. Was ist, wenn ein Wort nicht mehr zählt? Wenn die Zeichen des Vertrauens brüchig werden, rissig wie eine Fahne im Wind?

 

Der Täter von Halle war kein Einzeltäter, er mag die Tat allein ausgeführt haben, aber sein Nährboden war vielfältig.

Er hat im Internet keine Kochrezepte gesucht und gefunden, sondern Anleitungen zum Bau von Waffen. Auch so manches Feindbild und Verschwörungstheorien.

 

„Für Geld machen die Juden ja alles. Sie haben die Weltwirtschaft in ihrer Hand. Die Juden sind an allem schuld.“ Vor mehr als 80 Jahren haben viele Deutsche so und anders über ihre jüdischen Mitbürger geredet. Auch in unserer Stadt.

Die Zeit des Zweiten Weltkriegs ist vorbei, aber der Hass ist noch lange nicht vorbei.

Wir leben in einem Land, wo geistige Brandstifter wieder am Werk sind, wo ganz bewusst Angst und Hass auf Fremde geschürt wird.

Und Rahab knüpfte das rote Seil in das Fenster.

 

Wir könnten heute als Zeichen der Verbundenheit rote Bänder miteinander verknüpfen oder Kerzen entzünden an jenem Ort, wo einst eine Synagoge in Altenburg stand unweit von dieser Kirche.

Wir könnten dort alle stille stehen und eine Minute wenigstens schweigen. Und wer mag, kann das im Anschluss mit mir auch gerne tun. Hingehen und schweigen.

Aber dabei dürfen wir nicht mehr stehen bleiben. Der Gottesdienst geht weiter. Montags, dienstags, alltags.

Wer das Leben bewahren will, muss seine Türen auftun. Auf dem Marktplatz, im Sportverein den Mund auftun, wenn über Fremde, Juden und Muslime hergezogen wird.

Wer das Leben bewahren will, darf die Attentäter nicht noch stillschweigend den Weg zu ihren Opfern gehen lassen. Der muss die Attentäter auf andre Wege führen.

Rahab hat das getan.

 

Sie hat das Leben der Fremden bewahrt. Sie hat die Täter in die Irre gelockt. Rahab, die rettet und errettet wird.

Sie wusste, dass der König nur Angst vor den Fremden hat. Er führt Böses im Schilde. Sie hat das nicht mitgemacht.

 

Der demokratisch wählbare Politiker Björn Höcke schreibt in seinem Interviewband mit dem Titel „Nie zweimal in denselben Fluss“: Wenn er an die Macht kommt, wird er dafür sorgen, dass mit einer „wohltemperierten Grausamkeit“ alle Menschen des Landes verwiesen werden, die nicht der deutschen Ethnie entsprechen. Dabei werde es zu unschönen Szenen kommen. Das müsse man in Kauf nehmen. Wenn das ein wählbarer Politiker sagt, dann reicht es nicht mehr aus, Kerzen für die Opfer zu entzünden.

Da muss man klar sagen: wer so etwas sagt, will das Grundgesetz abschaffen, 30 Jahre nach der Wende.

 

Wir stehen in Thüringen in zwei Wochen vor der Wahl. Und die wird richtungsentscheidend. Soll keiner sagen, er hätte nicht die Wahl gehabt, sich für ein menschliches Miteinander zu entscheiden.

Gott hängt jeden Tag das rote Seil aus seinem Himmelsfenster, er kommt zu uns in Menschengestalt, im Fremden, in Jesus Christus. Er ist einer, der das Leben bewahrt. Das Leben aller, auch der für uns Fremden.

Auch Jesus hat das lernen müssen.

 

Als die Frau aus Kanaan Jesus um Hilfe bittet, weist er sie ab, weil sie eine Fremde ist und nicht zu seinem Volk gehört. Jesus sagt zu ihr: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

Sie aber antwortete ihm, Ja, Herr, mag sein, dass wir ein anderes Volk sind, aber auch wir gehören zur großen Schöpfung deines Gottes und seien wir für dich auch nur Hunde.

Da war Jesus baff. Frau, dein Glaube ist groß. Sagte  er. Vielleicht sogar größer als meiner.

Das lernen wir alle jeden Tag immer wieder aufs Neue mit Jesus: bei Gott gehört jeder dazu.

 

In unserem Kirchenkreis gab es ab 1927 einen Pfarrer, der zusammen mit einem Kollegen in Flemmingen und im Wieratal daran gearbeitet hat, alles Jüdische aus den Gottesdiensten und der Bibel zu verbannen.

Sie wollten einen deutschen Gottesdienst feiern.

Es gibt keinen deutschen Gottesdienst.

Es gibt Gott, der der HERR und Schöpfer von uns allen ist.

 

Rahab hat das erkannt, als die Kundschafter vor ihr standen und hat ihnen ihr Leben anvertraut.

Und sie knüpfte das rote Seil ins Fenster.

Rahab begegnet mir heute in Männern und Frauen, die Menschen in ihre Häuser aufnehmen aus Kriegs- und Krisengebieten. Hier mitten unter uns in unsrer Stadt.

Und Jugendliche übernehmen Patenschaften für ihre Klassenkameraden, weil die manchmal noch kein Wort Deutsch verstehen.

 

Die Rahab unsrer Stadt wird manchmal sogar vom ZDF nur auf den zweiten Blick entdeckt. Aber auf den zweiten Blick sieht man bekanntlich besser.

Sie lebt still unter uns. Diese Rahab. Sie hat einen Namen, eine Adresse, eine Postleitzahl.

Sie hängt ihr Tun nicht an die große Glocke. Vielleicht sollte sie das, denke ich oft.

Damit Menschen wie Stephan B. aus Benndorf bei Eisleben wissen: ich habe in diesem Land keinen Resonanzraum für meinen Terror, für meine Hetze, meinen Hass.

 

Vertrauen wagen und ein sichtbares Zeichen setzen für Menschlichkeit in Wort und Tat.  

Dazu gebe uns Gott Herz, Sinn, Mut und Verstand und vor allem seine Kraft. AMEN.

 

 

 

 

 

Lk 17,11-19 | 22. September 2019 | Agneskirche Altenburg

 

 

Kürzlich habe ich mit einem Freund gesprochen und wir haben uns an die alten Zeiten erinnert. Wie voll unsere Dorfkirche 89 war. Jedes Wort hat geklirrt in den Ohren.

 

Die Wahrheit wurde nicht mehr zwischen den Zeilen gesagt, sondern laut und offen. Und wie aufmerksam jeder von uns da saß.

 

Wir haben nach vorn auf den Altar geschaut und dieses Psalmwort gehört: Wenn der Herr die Gefangenen frei macht. Aus diesem Wort kam für uns die Hoffnung und das gab uns auf einmal so viel Kraft.

 

Wir sind aufgestanden aus der Kirchenbank und haben eine solche Gemeinschaft verspürt wie nie wieder seit jenem Tag.

 

 

 

Es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer.

 

 

Wer Aussatz hatte, war draußen. Der bekam auch keinen Zugang zum Tempel, weil er unrein war. So war das Gesetz zu Jesu Zeit.

 

Wir haben uns in der DDR immer wie Aussätzige gefühlt und unseren Glauben wie eine Krankheit versteckt.

 

Wir waren nicht so wie die anderen. Wir hatten unseren Glauben, der ließ uns die Welt hinterfragen.

 

 

Vieles haben wir deshalb aus einer anderen Perspektive gesehen, so wie ein Kranker, der im Bett liegt, auch alles aus einer andren Perspektive sieht. Und wir haben uns auch oft unterlegen gefühlt, wie ein Leprakranker. Ausgegrenzt und schwach.

 

 

Wir wussten wie es ist, zwischen den Stühlen zu sitzen in einem abgeschlossenen Land, nicht Fleisch, nicht Fisch.

 

Und dann kam dieser Herbst 89 und alles roch auf einmal nach Veränderung, ja sogar nach Erlösung.

 

 

Und als Jesus in das Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!

 

 

 

Wir haben den Wandel herbeigesehnt, wie die aussätzigen Männer ihren Meister herbeigesehnt haben. Herr, erbarme dich unser.

 

Und da Jesus sie sah, sprach er zu ihnen. Geht hin und zeigt euch den Priestern!

 

 

Denen, die über Dabeisein oder Ausgesperrt sein entscheiden, meine Wunden zeigen.

Das haben wir in jenem Herbst getan. Wir haben die Machthaber mit unserem Leben konfrontieren,

mit unseren Wunden, mit unserer Sehnsucht nach Demokratie.

 

Wir haben gesagt. Wir wollen frei reden, wählen und reisen.

 

 

Und als sie hingingen, da wurden sie rein.

 

Dieses Aufstehen und Hingehen hat uns frei gemacht. Und das ist für mich das Wunder.

 

 

Noch heute staunen wir manchmal, woher haben wir die Kraft hatten, aufzustehen.

Dass wir auf einmal den Mund aufgemacht haben und gesagt haben, was uns unter den Nägeln brennt.

 

Die Abende in der Kirche und die Demonstrationen danach, das war wie ein reinigendes Bad.

Das hat uns frei gemacht, obwohl da die Grenzen noch zu waren.

 

 

Und dann kam der Tag, an dem Honecker abgesetzt wurde.

Ich weiß noch wie ich voller Freude zu meiner Mutter gerannt bin und rief: Der Honecker ist weg!

und sie konnte das nicht glauben. Sie sagte: sei bloß still, was ist, wenn das einer hört.

Dann kommen sie und holen uns ab!

 

Aber ich sagte es laut, denn der Nachrichtensprecher hatte es gemeldet.

 

 

Und dann kam der Tag, an dem die Mauer fiel.

Alles, wonach wir uns gesehnt hatten, war da. Freiheit und Demokratie.

 

Wenn ich heute zurückschaue, kann ich nur sagen: Ich bin glücklich und danke Gott jeden Tag dafür,

dass wir in Freiheit leben in diesem Land, dass die stille Gewalt ein Ende hat, Unterdrückung und Repression.

 

 

Dieses Land hat mir so viel geschenkt.

 

Redefreiheit. Die Freiheit zu studieren,

 

die Freiheit, meinen Glauben ganz öffentlich zu leben.

 

 

Ich weiß, dass nicht alle das so sehen, heute, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution.

 

Viele sind verbittert, weil für sie manches zerbrochen ist und nicht jede Hoffnung sich erfüllt hat.

 

 

Und es gibt heute auch wieder Menschen, die träumen von der guten alten DDR, obwohl sie damals auch nicht glücklich waren.

 

Und manche sind sogar voller Wut und sagen, nieder mit jeder bisherigen Partei!

 

 

Mein Bekannter schüttelt da oft nur den Kopf. Er sagt, wie kann das sein, die Kirchen waren damals voll und heute haben wir alles: Freiheit und Demokratie, aber kaum einer lobt und dankt. Weder in der Kirche, noch in der politischen Landschaft. Dabei sind wir so reich in diesem Land.

 

 

Die Bibel sagt: das ist so. Nicht jeder blickt dankbar zurück. Und ich finde es tröstlich, dass Lukas das so klar beschreibt:

 

Einer aber unter den zehn Aussätzigen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.

 

 

Oft sind es nicht die, von denen du wir den Dank erwartet hätten, die zurückkommen, um Danke zu sagen. Meistens sind es eher die Fremden, die Dazugereisten, die dankbar auf das Glück vor Ort schauen.

 

 

Jesus hat das genauso erfahren, ein Samariter, einer der gar nicht an den Gott der Juden glaubte,

kam zurück und dankte ihm.  

 

Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?

Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?

 

Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

 

Mein Glaube hat mir damals geholfen aufzustehen.

 

 

Glaube ist kein Massenphänomen, genauso wenig wie Dankbarkeit.

 

Beides ist etwas sehr Persönliches. Nicht jeder kann innehalten und das Geschaffene ansehen und seine Freiheit verstehen.

 

 

Manchmal sind es eher die Dazugereisten, die staunend in unserem Land stehen und sagen,

was für ein Glück ihr hier habt, ihr könnt frei leben ohne Unterdrückung wegen Herkunft und Religion.

 

 

Jesus schickt den Fremden wieder hinaus in die Welt. Er soll nicht im Tempel sitzen bleiben, vor ihm knieend.

Er soll hingehen in sein Leben.

 

Und wir stehen auch da, mit unseren Erinnerungen und Träumen. Nicht alles ist perfekt in diesem Land.

 

 

Wir wissen auch noch nicht, was die Zukunft bringt. Aber ich weiß, vor 30 Jahren ist ein Wunder passiert,

für mich ist das ein Anlass, Gott Danke zu sagen.

 

 

„Vollende die Wende“ steht nun auf so manchem Wahlplakat. „Nieder mit den Blockparteien.“

Das klingt so als würden wir wieder in einem totalitären Land leben, aus dem wir uns befreien müssten.

 

 

Wir leben aber in einem demokratisch verfassten Land. Jeder kann mitbestimmen, mitgestalten.

 

 

Björn Höcke sagt, wenn er einmal an die Macht kommt, will er mit einer „wohltemperierten Grausamkeit“,

alle Menschen des Landes verweisen, die einer anderen Kultur oder Ethnie entspringen als die Deutschen.[1]

Schätzungsweise leben bei uns 6-7 Millionen Menschen fremder Herkunft und Kultur.

 

 

Ich weiß nicht, was er mit dieser Art Wende ausrichten will, außer vielleicht die Abschaffung der Demokratie oder gar ein Blutvergießen.

 

Für mich vollendet sich die Wende jeden Tag, an dem ich dieses Land mitgestalte und eintrete für Menschen am Rand, für Aussätzige und Fremde.  Und das nicht nur, weil es in unserem Grundgesetz steht, sondern weil mein HERR mir das sagt.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir sehen und begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.  

 



[1] Vgl. Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig, 2018.

 

 

 

Phil 3,4-14 | 18. August 2019 | Bartholomäikirche Altenburg

 

 

Nach außen hin alles richtig. 

 

Getauft. Beschnitten, eingepasst. Im Leben alles richtig gemacht und doch ist gar nichts richtig?

 

 

Jonny, wie ihn auf Arbeit alle nennen. Ein fröhlicher Typ. ein kluger Mann, zwei Kinder, ein Haus, ein Auto, eine Frau.

 

Jonny ist immer on Tour. Betreut Baustellen, fast deutschlandweit.

Kümmert sich ums Material, damit jeder Bautrupp immer hat, was er braucht.

 

 

In Stendal ein Bagger, in Erfurt PVC, in Cottbus ein kilometerlanges Rohrleitungssystem.

 

Er hat alles im Kopf, wo die Stellfläche sind und wann wo was geliefert sein muss und auch,

wo es alles gelagert werden kann, bis es der Trupp dann verbaut. Er macht das seit Jahren schon.

 

 

Jonny sorgte dafür, dass alles klappt. Er war den Hebräern ein Hebräer, ein freundlicher Mann.

 

Den Kindern ein Vater, der Frau ein guter Mann. Abteilungsleiter, ein angesehener Typ.

Einer, der alles passend macht und passend machen kann.

 

 

Jonny hat oft über andre gelacht, wenn es bei denen nicht so lief. Wie kann man denn das bloß vergessen,

den Bagger liefern, aber kein Benzin!? Rohre liefern und nicht wissen wohin?

So etwas wäre mir nie passiert, da müsst ihr schon früher aufstehen!

 

 

Jonny saß auch sonntags im Büro, schrieb Listen und hat Preise gecheckt, damit im Betrieb alles lief.

 

Und wenn alles gut war, gab´s auch Lob, ein Schulterklopfen zum Betriebsausflug. Eine Beförderung.

 

Getauft, beschnitten, eingepasst. Nach außen hin alles richtig. Aber innen war oftmals alles hohl.

 

 

Letztes Jahr plötzlich dieses Pfeifen im Ohr. Schlaf dich mal aus, hat er sich gesagt und dann einfach weitergemacht.

 

Das Himmelreich ist ein Schatz. Das Himmelreich kommt woanders her. Es ist kein Produkt meiner Tat.

 

Manchmal muss erst alles zusammenbrechen, damit wir ausbrechen aus unsrem Hamsterrad.

 

Paulus berichtet davon.

 

 

Er sitzt im Gefängnis. Er blickt zurück und er denkt an seine Freunde in Philippi.

 

Dort ging es gerade drunter und drüber. Ein endloser Streit war ausgebrochen:

Wer gehört nun richtig zur Gemeinde und wer nicht? Muss einer die Tora befolgen oder nicht?

 

Was ist, wenn einer dagegen verstößt und was ist, wenn einer gar nicht beschnitten ist so wie es in der Tora steht.

 

Die Beschneidung ist doch Gottes Gebot, sein Bund! Reicht denn die Taufe da einfach aus?

Was ist richtig und was ist falsch?

 

 

Wenn einer meint, er könne sich aufs Fleisch verlassen, schreibt Paulus in den Streit hinein,

 

so könnte ich es viel mehr, der ich am achten Tag beschnitten worden bin, der ich aus dem Volk Israel

vom Stamme Benjamin bin, ein Hebräer den Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer.

 

Ich bringe von meiner Herkunft alles mit, um zu sagen: ja, ich bin´s.

 

Ich habe alles getan, alles gemacht.

 

Ich habe sogar alle verfolgt, die nicht beschnitten waren und bin dabei auch über Leichen gegangen.

Aber was hat mir das gebracht?

 

Recht haben nützt nichts vor Gott und aus seiner Tat wird keiner gerecht.

 

Rechtfertigung ist ein Geschenk.

 

 

Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Schaden erachtet.

Mein Leben nach dem Gesetz, meine ganze Gerechtigkeit – all das ist doch nur Dreck.

Das Himmelreich besteht nicht aus unsren Taten.

Das Himmelreich ist ein Schatz. Es findet dich und beschenkt dich.

 

 

Ich stelle mir vor, wie die Freunde in Philippi diesen Brief erwartungsvoll geöffnet und gelesen haben.

Wie enttäuscht da manche waren. Die Jonnys dieser Welt. Die Macher und die Kümmerer.

 

Mit unsrer Macht ist nichts getan. Was soll das heißen?

 

 

Ein Gefühl wie wenn dir der Boden unter den Füßen wegbricht. Worauf bau ich dann noch, wenn nicht auf mein Können?

 

Gerechtigkeit nicht aus den Werken? Gerechtigkeit durch den Glauben!? Wie soll das gehen?

 

Sollen wir uns das jetzt alles schenken lassen wie den Regen?

 

 

Ich stelle mir vor wie sie ins Trudeln kommen, die Machertypen.

Wie die Frommen und Tatkräftigen auf einmal schwanken

und wie die Leute aus der zweiten Reihe, die Unvollkommenen in der Gemeinde, von Ferne diese Worte hörten:

 

Gerecht vor Gott durch den Glauben und wie da eine Wahnsinnslast von ihnen abgefallen ist.

 

 

Nicht durch meine Tat, sondern allein durch Glauben.

 

Sie hatten es ja schon lange gespürt, die Typen aus der zweiten Reihe,

dass sie machen und tun konnten und nie war es genug. Immer war noch ein Fehler an ihnen.

Sie entkamen sich einfach nicht.

 

 

Die Gerechtigkeit vor Gott war für sie wie eine Bettdecke, die immer zu kurz war,

weil immer noch ein Fehler herausragte aus ihrem Leben wie ein viel zu langer Fuß.

 

Aber auf einmal lesen die Erschöpften diesen Satz: Mit unsrer Macht ist nichts getan.

Gerechtigkeit aus dem Glauben.

 

Da geht die Sonne auf.

 

 

Sie behalten diese Worte wie eine kostbare Perle in ihrem Herzen.

Sie sind endlich raus aus dem Hamsterrad.

 

Ein gnädiger Gott fängt sie auf. Deckt sie zu.

Einer, der auch am Ende ist mit seiner Kraft, der am Kreuz hängt und so gar nichts mehr kann.

 

Des sind wir froh, mein Gott.

 

 

Jesus Christus am Kreuz: Gott ist leer und hängt am Kreuz.

Das Ende aller Tat und Auferstehung vom Leben aus der Tat.

Vom fertig sein, machen und werden. 

 

Denn das Himmelreich ist ein Schatz. Es findet dich und beschenkt dich.

 

Unverhofft und mit leerer Hand.

 

 

Gott ist nicht verliebt in deine Tat. Bei Gott geht es nur ums Vertrauen.

 

Paulus wirft deshalb alles hin, was er früher für richtig hielt

und streckt Christus seine Hände einfach hin.

 

 

Nicht, dass ich´s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei;

ich jage ihm aber nach, ob ich´s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.

 

Alles ist im Gang und im Schwang. So kostbar wie eine Perle mit ihrem unergründlichen Glanz.

Wer das hat, lässt alles stehen und liegen dafür.

 

 

Letztes Jahr hat Jonny Schluss gemacht. Eines Tages stand er auf der Baustelle. Das Pfeifen im Ohr.

Ein Pfeifen, das gar nicht mehr wegging.

 

Seine Frau zu Hause sah er kaum noch. Die Kinder hat er nur noch im Urlaub erlebt.

Das kann es doch nicht sein.

 

Selbst im Urlaub immer das Handy im Blick. Preise checken fürs System.

 

Arbeiten für Lob und guten Lohn, damit ich dabei sein, der Star sein kann!?

So nicht, hat Jonny sich gesagt.

 

Das Himmelreich ist ein Schatz.

 

 

Er hat seine Frau und Kinder gepackt und ist mit ihnen rausgezogen aufs Land. Die Ruhe hat ihn runtergebracht.

 

Selbstversorger. Jonny fing noch mal ganz neu an.

 

Aussteiger! hat einer zu ihm gesagt und ihn angeschaut, als gebe er auf.

 

 

Einsteigen hat sich Jonny gesagt, einsteigen ins Leben, raus aus dem Grab.

 

Geliebt wirst du nicht für das, was Du kannst.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles was wir vermögen, der bewahre auch unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

Lk 2, 20 + 2 Kor 1,24 | 11. August 2019 | Gößnitz - Einführungsgottesdienst für Maria Kalder

 

 

Als Gerda das erste Mal zum Chor kam, war sie sieben oder acht. Sie wusste das nicht mehr so genau.

Sie wusste nur noch, wie ihr Vater sie in der Kinderkantorei abgegeben hat und wie unendlich stolz sie dann war.

Zusammen mit den anderen Kindern im Gottesdienst da vorn zu stehen und zu singen: Allein Gott in der Höh´sei Ehr.

 

 

Musik hat Gerda von Kind auf geliebt. Kein Sonntag verging, an dem der Vater nicht eine der Platten aufgelegt hat

und dann erklang Verdi, Vivaldi, Mozart, Bach, Haydn, Beethoven. Händel.

 

Musik, das war Gerdas Ding. Die Arien und all die Chöre.

 

In die Musik hat sich Gerda hineinfallen lassen wie in die Arme ihres Vaters. Die ganze Familie ein Klang.

 

 

Als Gerda nach Jena zum Medizinstudium ging, hat sie auch dort musiziert,

erst mit Freunden, dann mit ihrem Mann.

 

Klavier, Cembalo, Orgel, Gesang. Vierhändig am Klavier, Duette gesungen, Solos

und immer gemeinsam im Chor. Anders verging bei Gerda kein Tag.

 

Sie sang Alt und ihr Mann Tenor. Und um sie herum ihr Chor.

 

 

Der Chor war für sie schönste Ort in der Zeit der DDR,

der Ort, wo Gott der Größte war und die Herren dieser Welt so unendlich weit weg.

Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke. Mehr brauchte es manchmal nicht.

 

Und sie priesen und lobten Gott.

 

 

80 Jahre hat Gerda im Chor gesungen. 80 Jahre. Mit 87 war ihre Stimme nicht mehr das, was sie früher einmal war.

 

Gerda konnte fast nicht mehr. Die Knochen brachen und die Stimme.

Sie bewegte sich nur noch mit Rollator fort und auch das nur mit Hilfe ihres Mannes, der ein paar Krautherbste jünger war.

 

 

Gerda wusste, dass sie die Töne nicht mehr so halten kann.

Ihre Stimme war oftmals nur noch ein Hauch. Sie kam trotzdem jede Woche zum Chor.

Ihr Mann fuhr sie mit dem Auto vor und die Jüngeren trugen den Rollator die Treppe hinauf.

Wenn die anderen stehend die Passagen sangen, dann saß Gerda oftmals nur noch da und summte leise mit.

 

 

Manche im Chor sagten, das geht doch nicht.

Dass die hier immer noch mitsingen kann, mit dem Rollator schiebt die sich nach vor wie ein halber Christus am Kreuz.

Das ist doch peinlich. Besonders im Konzert.

Die hält keinen Ton mehr. Und überhaupt, wie sieht das aus – ein Rollator ganz vorn im Chor!?

 

 

Aber der Kantor sagte: So nicht. Wenn sie will, dann soll es so sein.

 

Und er sagte den Kritikern unter den Chorsängern, wenn ihr mehr machen wollt, kommt zum Kammerchor.

Da könnt ihr singen, astrein.

 

Wer wie Gerda in diesem Chor so lange schon mitgesungen hat, der darf in unsrem Chor auch sterben.

Und damit war alles gesagt.

 

Manche machten trotzdem ihre Witze über sie, und Gerda war trotzdem jede Woche da.

 

 

Und sie priesen und lobten Gott. Selig seid ihr.

 

 

Ihr Lieben, was machen wir hier?

 

Was erwarten wir voneinander? Was tun wir, wenn wir heute Frau Kalder in ihr Amt einführen?

Wozu sind wir Christen in der Welt und wozu ist ein Chor, eine Kantorin da?

 

Eine Frage, die sich mir ganz oft stellt.

 

 

Hin und wieder könnte man denken, der Sinn und Zweck von Chören liege in der Aufführung großer Werke.

Im Raum der Kirche vorzugsweise geistliche Musik.

Motetten und Kantaten von Johann Sebastian Bach. Händel und Haydn.

Die Schöpfung, Paulus, Messias. Die großen Konzerte im Ohr.

 

 

Hin und wieder könnte man denken, die Aufgabe eines Kantors ist es, auf Konzerte und Aufführung großer Werke hinzuarbeiten,

Sonntag im Gottesdienst die Orgel zu spielen und Werke zur Aufführung zu bringen, die das Gewandhaus in Leipzig eher selten im Programm hat, weil sie zur geistlichen Chormusik zählen.

 

 

So manche Kantoren triezen deshalb ihren Chor und sortieren hier und da auch Sänger aus,

weil nicht alle bei dem Niveau mithalten können.

Und ich frage mich: ist das Gottes Wille für die Welt? Ist dies das Ziel unseres Singens und Musizierens?

 

 

Wenn ich in der Bibel lese, lese ich nichts von Konzerten und Oratorien, die wir aufführen sollen,

von Aufführungspraxen historischer Art oder dem großen Orgelkonzert.

 

Da lese ich: sie lobten und priesen Gott, die Hirten, die von der Krippe zurück auf ihre Felder gegangen sind.

Maria, die Jesus ins Gesicht geschaut hat. Sie lobten und priesen Gott.

 

 

Wenn ich die Bibel aufschlage, steht da: Singet und spielet dem Herrn in eurem Herzen.

Habt Freude an der Gemeinschaft im Herrn und zeigt das auch aller Welt!

 

 

Ihr habt heute alle ein Licht in diese Kirche hineingetragen, eine brennende Kerze vor Gottes Altar.

Glaube ist nichts, was einer allein macht. Es ist eines jeden Lieben, Singen und Leuchten in der Gemeinschaft vor Ort.

 

Ihr seid das Licht für diese Welt. Ein Trost für die Menschen an diesem Ort.

Ihr habt etwas, das ihr weitergebt: Die Art wie Gott mit euch redet und lebt.

 

 

Gott schickt keinen Menschen fort. Er fordert von euch auch keine Höchstleistung

und er schickt euch nicht fort, wenn die Stimme bricht. Er sagt, hier bin ich für Dich!

 

 

Wir können Gott loben bis zum Tod. Egal wie dünn unsre Stimme ist. Egal wie klein unsre Tat.

 

 

Wir sind Gehilfen eurer Freude. Schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth.

 

Er war fern von ihnen. Vieles lag im Argen. Aber Paulus schreibt ihnen: wir sind Gehilfen eurer Freude.

Wir sind nicht dazu da, um einander nieder zu machen, wegen der Dinge, die ihr nicht könnt.

 

Wir sind da, um euch Mut zu machen. Gehilfen eurer Freude wollen wir sein.

 

Paulus stellt die eignen Ideale zurück. Sehr professionell, denke ich.

Er hat die Gemeinde nicht benutzt, nicht als Fußabtreter, nicht als Stimmungsmacher,

nicht als Möglichkeit sich in der Welt zu profilieren.

Er hat ihnen geschrieben: ich hoffe, es geht euch gut. Wir sind Gehilfen eurer Freude.

 

 

Sie, liebe Frau Kalder, haben sich dieses Bibelwort für Ihren Dienst an den Gemeinden hier herausgesucht.

 

Sie haben viele Ideen im Gepäck und Sie haben so ein großes Talent.

Sie könnten uns alle damit locker überstrahlen, aber was nützte uns das!?

 

 

Wir sind Gehilfen eurer Freude. So verstehen Sie ihren Dienst.

Ich will sehen und suchen, was dem anderen hilft und Menschen nicht beschämen, weil sie etwas noch nicht können.

 

 

Was nützt es, einen Chor dahin zu treiben, ein großes Werk aufzuführen, wenn sich die Sänger und Sängerinnen nur getrieben fühlen. Wir sollen Gott spielen und singen in unsrem Herzen. Das Große kommt dann ganz von allein.

 

 

Und ich glaube, diese Einstellung ist fromm und klug.

Die Gemeinden sind bei Ihnen in guten Händen. Und ich denke, Sie werden das richtige Maß finden,

die Chormitglieder in ihrer Freude an der Musik zu unterstützen ohne sie zu triezen

und sie zu fordern ohne sie zu unterfordern. Gehilfen eurer Freude sein.

 

 

Gott wird uns eines Tages nicht fragen: Warum habt ihr die Kantate Bachwerkeverzeichnis Nr. 158 nicht aufgeführt.

Aber er wird uns fragen: Warum habt ihr einander nicht gesagt: Friede sei mit Dir!?

 

Unser Tun ist Gebet und nicht der astreine Klang.

 

 

Gerda hat bis zu ihrem Tod in ihrem Chor mitgesungen. Das hat ihr der Kantor geschenkt.

Als sie im Sterben lag, klang im Hintergrund leise Musik: Mendelsohn Bartholdy. Verleih uns Frieden gnädiglich.

Das hatte sie mitgesungen.

 

 

Die Jungen hatten ihre Witze über sie gemacht.

Aber als Gerda dann plötzlich im Sterben lag, war ihr leerer Platz in der Kantorei wie offenes Gebet.

Da hat keiner Amen sagen wollen. An ihrem Grab haben sie dann alle gesungen.

 

 

Gerda hatte alles vorher geplant, den ganzen Gottesdienst festgelegt

und als Predigtlied hatte sie sich ein Lied gewünscht und damit nochmal alle überrascht: In dir ist Freude in allem Leide.

 

 

Die Frau, die zuletzt so gelitten hat, der die Stimme brach und die nur noch liegen konnte,

die diktierte ihnen zum Schluss ein Lied, zu dem man Tanzen soll und kann.

 

 

Singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen. Selig seid ihr, wenn ihr das macht! AMEN

 

 

 

Mt 15,21-28 | 28. Juli 2019 | Burgkapelle auf der Wartburg Eisenach

 

„Wir sind alle Rassisten.“ Die Pfarrerin und Schriftstellerin Angela Rinn hat vor Jahren bei einer Tagung in Braunschweig zum Thema: Versöhnung zwischen den Kulturen einen Vortrag gehalten und ihn mit dieser These eröffnet: „Wir sind alle Rassisten.“ Das war provokant.

 

Vor ihr saßen Theologen, Christen, Pfarrerinnen, Kirchenleute und dann so ein Satz. Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film.

 

Sie wies uns in ihrem Vortrag darauf hin, dass wir alle mit unseren Denkmustern im Kopf groß werden. Klischees, Vorurteilen, Überzeugungen:

 

Wer angeblich dazu gehört und wer nicht, was richtig ist und wie sich ein Mensch zu verhalten hat.

 

Das sind Dinge, meinte sie, die wir, wenn es gut geht, höchstens reflektieren können und nur dadurch überwinden.

 

Sie beendet ihren Vortrag mit dem provokanten Satz:

 

„Wir sind alle Rassisten. Machen wir was draus.“

 

Eine Ermutigung, der eigenen Angst und unseren Prägungen aktiv zu begegnen, sie anzugehen, anstatt ihnen zu erliegen.

 

Ihre provokante These hat mich bis heute nicht losgelassen.

 

 

Ich ertappe mich oft dabei, wie Denkmuster mich leiten und prägen und dass die oft nicht richtig sind.

 

 

Auch Jesus hat seine Raster im Kopf.

 

Auch Jesus denkt in Kategorien.

 

Er glaubt zu wissen, wer dazu gehört zum Haus Israel und wer keinen Platz hat bei Gott.

 

Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

 

Jesus in der Fremde.

 

Dort, wo sich die Handelswege kreuzten, wo alles durchlässig und offen ist.

 

Wo Geld oftmals wichtiger war als der unfassbare Gott.

 

Dahin zog sich Jesus zurück. Nach Kanaan, in die Fremde.

 

 

Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

 

Aber Jesus schaltet auf Durchzug: Was geht mich das Leid der Fremden an. Ich bin hier nicht zuständig. Sollen sich doch ihre Landsleute um sie kümmern.

 

Und er antwortete ihr kein Wort.

 

Da traten seine Jünger zu ihm: Mein Gott, Jesus. Hilf ihr doch, das ist doch peinlich.

 

Alle schauen schon nach uns. Wer wenn nicht Du!? Mit bösen Geistern kennst Du dich doch aus! Das hast du doch schon so oft gemacht!

 

Aber Jesus zuckt die Schultern und geht fort. Und er sagt es seinen Freunden Wort für Wort:

 

Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

 

Da sind die Jünger baff und sie sagen kein weiteres Wort.

 

 

Sie aber kam und fiel vor ihm nieder, betete und sprach: Herr, hilf mir!

 

Ganz schön mutig, denke ich, von so einem engstirnigen Typen trotzdem Hilfe zu erbitten.

 

Sie traut Jesus das Beste zu. Sie fällt vor ihm nieder und bittet ihn. Herr, hilf mir!

 

Aber Jesus tritt noch einmal nach:

 

Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

 

Prägungen, Denkmuster. Bilder im Kopf.

 

Für wen bin ich da und wer gehört dazu?

 

Wem muss ich helfen und wem nicht? Denken in Mustern und Klassen.

 

 

1927 kam der Pfarrer Siegfried Leffler aus Bayern in die Thüringer evangelische Kirche. Er war begeistert vom völkischen Christentum. Zusammen mit Julius Leutheuser gründete er im Wieratal die Bewegung der Deutschen Christen.

 

Er wollte alles Jüdische aus Theologie, Liedgut und Gemeindeleben tilgen. Mit den Juden hat unser Glaube nichts zu tun, meinte er. Die gehören hier einfach nicht dazu.

 

Die Gemeinden, die Leffler betreute, liegen in meinem Kirchenkreis.

 

1939 wurde Leffler zum Leiter des sog. Entjudungsinstituts hier in Eisenach ernannt.

 

Wer gehört dazu und wer nicht?

 

Denkbilder im Kopf.

 

 

Die kanaanäische Frau lässt Jesus nicht einfach so davon kommen mit seinen Vorurteilen.

 

Von verwegen, du bist nicht für mich zuständig. Du bist doch der Heiland, oder etwa nicht! Und ich bin ein Mensch, oder etwa nicht? Also bist du auch zu mir gesandt!

 

Sie erinnert Jesus an den grenzenlos liebenden Gott. Gott schaut nicht auf Rasse und Nation. Er ist größer als mein Hirn und Herz.

 

Noch im Liegen, auf den Knien vor ihm wie ein Hund, sagt sie zu ihm: Ja, Herr, für dich mag ich ein Wesen zweiter Klasse sein, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

 

Und das Wunder geschieht: Jesus lässt sich berühren.

 

Er schaut diese Frau endlich an. Er begreift, Gott ist größer als ich glaub. Bei ihm zählt nicht Herkunft und Nation.

 

Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und Ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde!

 

 

Es berührt mich, wie Jesus sich hier berühren lässt. Wie er dasteht mit seinen Bildern im Kopf und die alle hinter sich lässt, sich umstimmen lässt von der Frau.

 

Frau, dein Glaube ist groß.

 

Danach wird Jesus ein ganz andrer sein. Die Evangelisten erzählen, alle Welt kommt zu ihm und er heilte sie und sie priesen den Gott Israels.

 

Jesus wird zum Christus für diese Frau, weil er umkehrt und das, was er für richtig hält, hinter sich lässt.

 

 

Es gibt Theologen, die wollten Jesus retten und meinten, Jesus ist nicht so kaltherzig. Der lässt sich nicht erst viermal bitten, bevor er der Frau hilft. Jesus hat keine Raster im Kopf. Er bezeichnet die Kanaanäer nicht als Hunde. Das Wort sei hier vielmehr lieb gemeint, sozusagen eine Koseform und bedeute so viel wie „mein Hündchen“.

 

Nun denn. Ich glaube das nicht. Wir haben alle unsere Raster im Kopf. Auch Jesus.

 

Und es ist heilsam für mich zu sehen, wie Jesus dem entkommen ist, indem er sich anrühren lässt vom Leid einer fremden Frau.

 

 

Als sich Siegfried Leffler nach 1945 seiner Schuld stellt, schreibt er im Internierungslager Ludwigsburg ein Schuldbekenntnis an den dortigen Landesbischof.

 

„Ich bin seiner Zeit mit ganzem Herzen Nationalsozialist geworden und gewesen und habe in Hitler ein Werkzeug Gottes gesehen und geglaubt (…) Heute martert mich der Gedanke, dass ich durch meine und meiner Freunde Haltung und Gesinnung, Tun und Reden der christlichen Kirche, dem deutschen wie dem jüdischen Volk gegenüber schwere Schuld auf mich lud.“[1]

 

Leffler bittet darum, sein Schuldbekenntnis öffentlich zu machen.

 

Sein Brief erscheint zwar in der Badischen Zeitung, aber nicht in der Thüringer Landeskirche.

 

Nicht schelten und richten, sondern vergeben, war das Motto der Thüringer Kirche.

 

Auch als seine ehemalige Gemeinde im Wieratal ihre Schuld bekennt und die Kirchenleitung bittet, beides zusammen öffentlich zu machen - z.B. in der Glaube und Heimat, einer damals viel gelesenen Kirchenzeitung - damit eine ehrliche und reinigende Diskussion möglich wird, passiert nichts. Der Brief wird zu den Akten gelegt. Fatal, denke ich. Denn wo geschwiegen wird, lernt keiner was dazu.

 

 

Das wäre so, als hätte Jesus der Frau zwar geholfen, aber die Jünger und Evangelisten hätten diese Episode aus Jesu Leben lieber verschwiegen, weil sonst sichtbar geworden wäre, dass auch Jesus seine Raster im Kopf hatte.

 

Gott sei Dank haben die Jünger und Evangelisten diese Episode aufgeschrieben. So können wir alle von diesem Jesus noch etwas lernen:

 

Nämlich dies: Bei Gott zählt nicht Herkunft, Rasse und Nation. Bei ihm zählt nur der Mensch und das, was er grad von mir braucht. AMEN

 



[1] Joachim Krause: Im Glauben an Gott und Hitler, 2. Aufl., Markkleeberg 2018, S. 92f.

 

Lk 6,36-42 | 14. Juli 2019 | Agneskirche Altenburg

 

 

Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.

 

Die Flasche für 500 € zum Festbankett. In Paris hat Francois de Rugy vom Herbst 2017 bis Herbst 2018 prachtvolle Feste gegeben in seinem Amtssitz.

 

Abendbankette mit Hummer, Kaviar, Champagner und edlen Weinen. Die Flasche für 500 €.

 

Der Lehrersohn aus Nantes wollte mit den Banketten den Kontakt zur Zivilgesellschaft halten. Ein offenes Haus führen, geladen waren aber oft nur Freunde und handverlesene Gäste.

 

Das alles wäre ja nicht so schlimm im Land des guten Weines, wenn Francois de Rugy im Vorfeld seinen Landsleuten nicht immerzu gesagt hätte, was er für das Ideal eines Franzosen erachtet, nämlich sparsam und bescheiden zu sein.

 

Kann ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Unsere Erfahrung sagt Nein.

 

 

Wir scheitern immer, wenn wir einander Vorschriften für unser Leben machen. Vom anderen Dinge fordern, die wir selbst nicht einhalten können und sei es sparsam und glücklich zu sein.

 

Am 14. Juli 1789 - heute auf den Tag genau vor 230 Jahren - fand der Sturm auf die Bastille statt.

 

Das französische Volk begehrte gegen seinen König auf, der seine Landsleute hungern ließ, sich selbst aber von allem in Hülle und Fülle das Beste nahm.  

 

Der Hunger trieb die Leute auf die Straße und die Verschwendungssucht des Königs hat sie wütend gemacht.

 

Damals rollten vor lauter Wut sogar die Köpfe.

 

Die Wut ist die Vorstufe zu grausamer Gewalt.

 

Eine Grausamkeit, die nicht mehr zwischen Tat und Täter trennt, sondern gleich den ganzen Menschen verdammt, ihn manchmal sogar einen Kopf kürzer macht.

 

 

Mitten hinein in diesen Schlagabtausch, sagt Jesus: Seid barmherzig wie euer Vater barmherzig ist.

 

Wer barmherzig ist, trennt zwischen Täter und Tat.

 

Zwischen dem König und seiner prassenden Art. Der lässt die Gerechtigkeit sprechen und vertraut auf Recht und Gerechtigkeit.

 

Wer barmherzig ist, kann ganz klar sagen: mein Lieber, so nicht.

 

Du kannst für deine Partys mit deinen Freunden nicht unser Steuergeld verprassen!

 

Wer barmherzig ist, zeigt den Tatbestand an, aber er lässt den Täter leben.

 

 

Ich kenne eine Mutter, die als Polizistin arbeitet, und die ihr eigenes Kind angezeigt hat, weil es wiederholt geschlagen und gestohlen hat.

 

Sie lernt es sonst einfach nicht, hat sie gesagt. Sie braucht eine klare Grenze und sie bleibt trotz allem mein Kind.

 

Auch das ist Barmherzigkeit.

 

 

Barmherzigkeit setzt die Regeln und Gesetze unserer Welt nicht außer Kraft,

 

aber sehr wohl das Verdammen, die Gewalt und den Hass.

 

Wer barmherzig ist, traut dem anderen noch eine Zukunft und Besserung zu.

 

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.

 

Da geht der Himmel auf, bei solchen Sätzen. Ein Wort, wie ein Mantel, ganz weich.

 

 

Da kann eine Kanzlerin zittern und die Welt bricht trotzdem nicht zusammen, weil eine Stimme im Herzen sagt: Ich weiß.

 

Ich stelle mir vor, wie das ist, wenn Gott uns so sehr berührt, dass sein Erbarmen ganz tief in unserem Herzen ist.

 

Und wie wir dann miteinander umgehen in dieser Stadt und wie wir dann voneinander reden.

 

 

Ich glaube nicht, dass uns dann alles egal sein wird,

 

dass wir dann einfach nur noch wegschauen, nach dem Motto, dann sag ich halt gar nichts mehr, wenn etwas schiefläuft.

 

Ich glaube vielmehr, dass wir einander dann noch tiefer in die Augen schauen und den Grund sehen, der den anderen treibt.

 

Die Großmannssucht.

 

Die Geltungssucht.

 

Die Angst, nicht geliebt zu sein.

 

"Und die Gnade wird sein wie der Regen".

 

 

Sie macht den Mantel ganz weit. Alles hat da seinen Platz. Jeder noch so schiefe Buckel, jedes Leben.

 

Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt.

 

Ich stelle mir vor, wie die Medien dann über Angela Merkel berichten. Wie sie sagen: dass du zitterst, tut uns leid.

 

Wie ein Moderator vor laufender Kamera sagt: Ja, ich kenne das auch und wie ein ganzes Land seine Schwachheit zeigt und sich trotzdem getragen weiß.

 

 

Ich stelle mir vor, wie die Alten beim Anblick der Flüchtlinge sagen: Ach, ja, ich weiß.

 

Ich weiß, wie das ist auf der Flucht zu sein. Fremd zu sein in diesem Land. Jeder hat schon sein eigenes Haus, aber du hast nichts, wo du dein Haupt hinlegst. Damals vor mehr als 70 Jahren.

 

 

Ich stelle mir eine Welt vor, in der die Barmherzigkeit in unsere Häuser einzieht und was das dann mit uns macht und wie schön das sein wird

 

Wie wir dann mit unseren Kindern reden und mit unseren Eltern und wie unsere Kinder mit ihren Großeltern dann reden, wenn sie etwas nicht mehr können, die Welt nicht mehr verstehen.

 

Ich stelle mir eine Welt vor, in der Menschen mutig ihre Balken im Auge sehen.

 

Und im Himmel sagt einer: ich weiß.

 

 

 

Ich weiß, wie das ist, am Ende zu sein.

 

Wie das ist, so voll Hunger zu sein, endlich stark und geliebt zu sein. Ich kenne deine Sehnsucht, ich weiß.

 

Ich will ja selber der Einzige sein, der alles schafft und alles macht und der alle auf seiner Seite hat.

 

Und am Kreuz sagt einer: Ich weiß.

 

Und er zieht den Splitter ganz langsam raus.

 

So langsam wie er sein Brot mit uns teilt.

 

Und nach dem Essen gibt’s noch ein Glas Wein.

 

Keinen, der sündhaft teuer ist, aber einen, der süß wie die Zukunft ist.

 

So ähnlich könnte das sein.

 

Sagt Jesus und lädt uns ein. Barmherzig zu sein.

 

 

Und an seinem Tisch hat jeder Platz: der Minister mit seiner Großmannssucht,

 

der Diktator, der Menschen ins Unglück gestürzt hat,

 

das Kind, das nichts verbrochen hat,

 

der Mann und die Frau und das ungeborene Kind, das angeblich ein Chromosom zu viel hat.

 

Lena, Karl-Heinz, ich und Du und er schaut uns ganz lange an.

 

Gebt, so wird euch gegeben, sagt er.

 

Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß. Denn mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen. Sagt es und teilt es einfach aus. Seine Liebe in Brot und in Wein. AMEN

 

 

 

Jes 55,1-5 | 30. Juni 2019 | Agneskirche Altenburg

 

 

Mittwochs in Altenburg. Es ist Markttag.

 

Die Stände sind aufgebaut und dazwischen ein heiliges Gewimmel. Rentner aus den umliegenden Dörfern kaufen am Vormittag ein. Kleider, Socken, Taschen.

 

Die Käserei hat ihren Stand aufgebaut und der Bäcker mit seinem Wagen ist da.

 

Einer verkauft Käse und der Nächste Blumen und Pflanzen aller Art.

 

Auch der Imker mit dem Honig ist da.

 

Beim Italiener um die Ecke klimpert das Geschirr.

 

Einer sagt: Bitte und Dankeschön.

 

Ein anderer steckt grad seine Geldbörse weg.

 

Und in der Info am Markt spuckt der Bankautomat neue Geldscheine aus.

 

Wie oft kann man auf den Markt gehen und Einkaufen ohne Geld?

 

Gar nicht, denkt Nadine. Es ist Monatsende. Das Geld ist knapp.

 

 

Eben hat Tina angerufen, eine Freundin aus Kindertagen. Ob sie mit ihr am Wochenende ins Konzert will.

 

Geht nicht, denkt Nadine.

 

Aber Tina das sagen? Die würde denken, dass ich mein Leben nicht auf die Reihe bekommen hab.

 

Alleinerziehend und noch immer in der Heimatstadt…

 

Nadine sagt: Vielleicht und mal sehen.

 

Sie schreibt ihr später noch eine Nachricht, es wäre ja eigentlich ganz schön, aber sie muss erstmal sehen, ob sie einen Babysitter für die Kleine findet.

 

Als Tina das liest, hebt sie gerade mit dem Flugzeug in Leipzig ab. Na, dann, vielleicht bis später, mal sehen!?

 

Zwischen uns liegen Welten, denkt Nadine.

 

 

 

Mithalten, ihr Lieben.

 

Ein ganz großes Thema in unserer Gesellschaft.

 

und wie sich das anfühlt, nicht mithalten zu können – auch ein Thema, über das wir oft nicht sprechen. Hier im ärmsten Landkreis von Thüringen. Altersarmut ist hier präsent.

 

Was geben wir uns nicht alles für eine Mühe, nur damit es nicht auffällt, dass wir in so manches Konzert gar nicht gehen können,

 

dass wir in so manches Land und in so manche Stadt gar nicht fahren können, weil uns das Geld dafür fehlt.

 

Und was tun Menschen nicht alles, um trotzdem mitzuhalten und zählen ihr sauer verdientes Geld dar für ein kurzes Glück und kommen geläutert zurück.

 

 

 

Und was haben wir nicht schon alles versucht – 30 Jahre nach der Wende.

 

Fast kein Waschmittel, das wir nicht ausprobiert haben, weil es mehr versprach als nur weiße Wäsche.

 

Fast keine Biersorte, die wir nicht gekostet haben.

 

Fast keine Wurst, die wir nicht ausprobiert haben, egal wie fest verpackt und eingeschweißt die war.

 

Und am Ende ist es doch oft nur Geschmacksverstärker mit Salz und Fett gewesen und in vielen Fällen noch nicht einmal das.

 

Enttäuschung macht sich da hin und wieder breit und man fragt sich: Was trägt eigentlich noch? Und was macht am Ende satt? Was macht mich wirklich satt?

 

Warum zählt ihr Geld dar, für das, was kein Brot ist? Fragt Jesaja.

 

Warum?

 

 

 

Hannah geht jeden Mittwoch quer über den Markt. In der Hand hat sie einen Blumenstrauß. Für ihren Mann.

 

Den bringt sie ihm an sein Grab.

 

Ein kleines Ritual. Dafür steht sie mittwochs auf. Weil sie hofft und glaubt.

 

Am Ende des Marktplatzes steht einer und sagt: Kommt her, die ihr mühselig, beladen seid.

 

Wer zu mir kommt, den schicke ich nicht fort. Er sitzt da mit seinem weißen Gewand und hat die Arme leicht auf.

 

Und darunter ist ein Brunnen, der ständig fließt.

 

Hannah geht jede Woche dort vorbei und schaut hin und wieder zu ihm hoch. Hier an der Brüderkirche, da hat ihr Mann sie das erste Mal geküsst.

 

Ja. Warum zählt ihr euer Geld dar für das, was kein Brot ist und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?

 

 

 

Es riecht verführerisch mittwochs auf dem Markt.

 

Die Roster auf dem Grill. Die Blumen, der Honig, der Käsestand.

 

Es riecht auch nach frischgebackenem Brot. Aber davon wird Hannah nicht mehr satt.

 

Sie kauft ihr Brot, weil sie irgendwas ja essen muss. Aber das Brot hier schmeckt ihr nicht mehr.

 

Und daran ist nicht der Bäcker schuld.

 

Es ist ihr Mann, der ihr fehlt.

 

 

 

Höret, so werdet ihr leben! Und ich will mit euch einen Bund schließen. Kommt her und kauft ein ohne Geld!

 

Wenn Hannah sonntags im Gottesdienst ist, dann fühlt sie sich ihrem Mann ganz nah.

 

Die Oblate klebt manchmal am Gaumen fest, ein trockenes, ja fast staubiges Ding und der Wein beim Abendmahl ist ihr manchmal zu süß. Aber was zählt das schon.

 

Wenn ich hier stehe, dann steht mein Mann auch da. Denn hier gehören alle dazu. Die Lebenden und die Toten.

 

So ist das mit Gottes Bund. Er ist ewig und für alle da.

 

 

 

Nadine kauft mittwochs manchmal auf dem Markt ein, auch wenn sie sich das gar nicht leisten kann. Eine Roster für die Kleine und für sich ein Eis.

 

Einkaufen, so wie alle hier und im Supermarkt einmal nicht auf die Preistafeln schauen, ach wie schön wäre das.

 

Kommt her und kauft ohne Geld ein.

 

Wie soll das gehen?, fragt sich Nadine.

 

 

 

Dabei sein, ohne ein Ticket zu ziehen?

 

Da sein und mich sicher fühlen?

 

 

 

Hin und wieder trifft sie sich mit anderen Müttern in dem Backsteinbau, ganz am Ende vom Markt. Familienzentrum wird das genannt.

 

Wer zu mir kommt, den stoße ich nicht hinaus. Diese Worte stehen oben dran am Haus.

 

Nadine hat das noch nie gelesen, aber sie spürt es, wenn sie dort ist.

 

Hier bin ich willkommen. Hier kann ich einkaufen ohne Geld, mein Herz auffüllen, mich aussprechen und auftanken.

 

 

 

Gnade ohne Ansehen der Person.

 

Eure Vorfahren haben diesem gnädigen Gott in Altenburg eine Kirche gebaut. Eure schöne Brüderkirche.

 

Gestern haben dort junge Menschen ihr Abiturzeugnis überreicht bekommen, auch zwei junge Menschen, die übers Mittelmeer zu uns geflohen sind.

 

Gnade. Ein Geschenk ohne Geld. Ohne Gegenleistung und Rechnung.

 

In Zeiten, wo vor Lampedusa die Politiker Europas zuschauen wie Helfer kriminalisiert werden und Menschen im Meer ertrinken, ist Gnade nicht mehr selbstverständlich.

 

Umso schöner, dass ihr eine Gemeinde seid, die festhält an Christus und die Türen aufmacht. Ohne Gegenleistung und für alle.

 

Ob nun zum Mittagstisch beim Werkgebet, zum Feierabendkino im Brüderkirchhof oder im Spalatingymnasium.

 

Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, der dich so herrlich gemacht hat.

 

All das habt ihr erlebt und erfahren. Ihr habt Menschen angezogen, mit eurer gnädigen Art.

 

Menschen, die einfach zu euch kommen und sich ihr Herz auffüllen. So sei es auch in Zukunft.

 

Amen

 

 

 

 

 

 

Hebr 10,35 | 23. Juni 2019 | Seebühne im Dortmunder Westfalenpark

 

 

Ein kleines Dorf ganz im Osten von Thüringen.

 

Mittendrin steht eine Kirche und ein Pfarrhaus.

 

Vor über 30 Jahren war das der Treffpunkt für alle, die anders waren, für alle, die mehr wollten als nur mitzumachen in einem abgeschlossenen Land.

 

Hannes war auch oft dort. Ein Verwandter der Pfarrersfamilie.

 

Er hat die Jugend angezogen, weil er Fragen stellte, die sonst keiner stellt.

 

Er hat die Jugend zum Nachdenken gebracht. Ökologie – was ist das denn hier und heute?

 

Sie haben diskutiert bis tief in die Nacht und manchmal staatsfeindliche Lieder gesungen: Großer Gott, wir loben dich und nicht die Regierung, die wir sehen.

 

Wenn die Tür des Pfarrhauses offenstand, dann ging für die Jugendlichen im Ort der Himmel auf.

 

Heute ist das Pfarrhaus verkauft.

 

Hannes hat an der Uni studiert.

 

Er ist Christ und nimmt das sehr genau. Für ihn ist der Glaube nicht nur was zum Händefalten, sondern etwas, das dich verändert und regiert. Hannes war da schon immer radikal.

 

Heute sagt er: Ich will dieses Abendland retten. Was wird denn noch aus diesem Land?             Pfarrhaus um Pfarrhaus wird verkauft. Gemeinden werden zusammengelegt. Wo bleibt denn noch Gott und Christus?

 

Im Januar 2013 hat Hannes die AfD in Thüringen mitbegründet.

 

Er meint: Die Flüchtlinge aus den muslimischen Ländern bedrohen unser Land. Multikulti sei nur was für Naive. Und Hannes glaubt ganz fest an Gott.

 

 

 

Hannes ist kein Einzelfall, ihr Lieben.

 

Was ist richtig, was ist wichtig und was ist unser Weg? Abschottung oder ein offenes Land? Wie retten wir Christus oder rettet Christus vielmehr uns?

 

Der Verfasser des Hebräerbriefes hat seinen Freunden inmitten ihrer Glaubenskrise einen Brief geschrieben.

 

Ein kleines Wort, das schwebte wie ein roter Luftballon über allem.

 

Gedenkt der früheren Tage, an denen ihr, nachdem ihr alles verstanden hattet, einen großen Kampf erduldet habt, indem ihr zum Teil selbst durch Schmähungen und Bedrängnisse zum Schauspiel geworden seid und zum Teil Gemeinschaft hattet mit denen, welchen es so erging.

 

Denn ihr habt mit den Gefangenen gelitten und den Raub eurer Güter mit Freuden erduldet, weil ihr wisst, dass ihr eine bessere und bleibende Heimat besitzt.

 

Darum werft euer Vertrauen nicht weg,

 

 

 

 

 

Klara lebt heute noch am Ort. Sie hat die Türen aufgemacht. Für wildfremde Leute.

 

Sie kann nicht fassen, was aus Hannes geworden ist. Sie kennt ihn von den Treffen im Pfarrhaus.

 

Bei ihm fand sie als Kind offene Türen und Freiheit. Und dieser Hannes will jetzt ein abgeschlossenes Land?

 

Der Mensch, der an den Gott der Liebe glaubt, der sagt jetzt: Flüchtlinge geht nach Haus!

 

Klara bekommt das gar nicht zusammen. Sie hat versucht, ihn anzurufen. Versucht, mit ihm zu reden.

 

Sie hat Hannes gefragt: Was ist so schlimm daran, wenn ein Mensch ein anderes Wort für Heimat kennt und eine andere Brotsorte liebt?

 

Was ist so schlimm daran, wenn das Gewürzregal eines Menschen größer ist als deines?

 

Haben wir davon nicht immer geträumt - von der ganz großen, offenen Welt?

 

Hannes, wir wissen doch von einem ganz anderen Land, das besser und bleibender ist!

 

 

Klara hat eine Ausbildung gemacht zur Pflegekraft und dann noch einmal studiert. Sie leitet mittlerweile ein Pflegeheim und macht dort die Türen auf.

 

Sie erzählt mit den Sterbenden von Gott.

 

Sie sagt, so machen wir das hier. Wir lassen hier keinen allein. So wie Christus auch keinen allein lässt.

 

Sie sorgt sich um die Zukunft in diesem Land.

 

Sie will keinen unnützen Plastikmüll und meint, dass alles auch anders geht, wenn man einmal die Folgen bedenkt.

 

Ihre Mitarbeiter schauen Klara oft verständnislos an. Sie sagen: Du mit deinem Gott!

 

Sie reden über Flüchtlinge, die angeblich klauen. Aber Klara fragt sie dann: Habt ihr das denn gesehen?

 

Sonntags fährt sie quer über Land und feiert dort Gottesdienst. Als Lektorin in einem Kirchenkreis.

 

Sie macht Menschen sonntags den Himmel auf und erzählt vom grenzenlos liebenden Gott. Auch wenn das nicht immer allen passt.

 

Sie verkneift sich auch im Frauenkreis ihres Dorfes kein Wort: wenn die Alten über die Fremden herziehen.

 

Wenn sie sagen, dass alles nur schlechter wird. Sagt Klara: Es geht uns doch gut!

 

Wovor habt ihr eigentlich Angst?

 

Werft doch euer Vertrauen nicht weg. Geduld aber habt ihr nötig.

 

Und ihr hier im Gottesdienst! Was werdet ihr sagen, wenn ihr heute nach Hause fahrt?

 

Ihr habt in fremden Betten geschlafen und von fremden Tellern gegessen.

 

Ihr habt mit wildfremden Leuten an einem Tisch gesessen. Menschen haben euch die Türen aufgemacht.

 

Lieder und Worte haben euch berührt.

 

Ihr habt Menschen Obdach gegeben, Essen und Brot.

 

Ihr habt Menschen geholfen und mit Fremden gelacht. Ihr habt Pfadfinder an eurer Seite gehabt.

 

Werft euer Vertrauen nicht weg.

 

Nehmt das mit in euren Tag. In den Alltag eurer Dörfer und Städte, damit ihr das Verheißene empfangt.

 

Euren Kirchentagsschal werdet ihr vielleicht eines Tages verlegt haben und das dicke Programmheft auch.

 

Aber nicht die Erfahrung von geteiltem Brot und Gottes Liebe. Die ist euch hier begegnet im Angesicht eines Fremden.

 

Gott ist größer als ihr glaubt!

 

 

 

Als Anfang Juni der CDU-Politiker Walter Lübke erschossen wurde, erschienen im Internet Hasskommentare, nach dem Motto: weiter so!

 

Walter Lübke hatte sich im Sommer 2015 klar für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen.

 

Vielen hat das nicht gepasst. Dutzende reagierten mit Häme und Mordaufrufen.

 

Als Klara das mitbekam, hat sie sich gesagt: Jetzt erst recht! Eintreten für ein freies Land!

 

Erzählen von Christus, der zu uns kommt.

 

Ein Flüchtlingskind, dessen Brot ganz anders schmeckt und der Gott seine Heimat nennt.

 

Denn unser Kreuz hat keine Haken.

 

Unser Gott deckt für alle den Tisch!

 

 

 

„Jetzt erst recht“ – das haben sich auch Menschen im sächsischen Ostritz gesagt.

 

Sie haben dort am Wochenende ein Nazi-Treffen sabotiert,

 

indem sie den Ausschank von Alkohol verboten haben.

 

Zu gefährlich, sagte der Staat.

 

Das THW hat auf Geheiß der Polizei 4.200 Liter Bier abtransportiert

 

und im Nachbarort St. Marienthal gab es kein einziges Bier mehr zu kaufen, dafür haben aufrechte Bürger gesorgt. Sie hatten alles weggekauft!

 

Die Nazis saßen auf dem Trockenen!

 

Widerstand, ihr Lieben, das kann lustig sein!

 

 

 

„Jetzt erst recht!“ haben sich Christen in Walter Lübkes letztem Wohnort gesagt und zur Mahnwache aufgerufen.

 

Hunderte Bürger sind ihnen in Kassel gefolgt und haben gegen Gewalt und Rechtsextremismus demonstriert.

 

„Wenn ihr einen von uns erschießt, dann steht unsere Hoffnung tausendfach auf! Tausendfach!! –

 

Lasst uns das den Nazis und Verbrechern entgegenrufen!

 

Wir lassen uns nicht bange machen von Gewalt!

 

Wir glauben nicht an die Macht von Waffen! Wir glauben nicht an Grenzzäune und Mauern!

 

Wir glauben an einen zärtlichen Gott, der Menschen verbindet über Grenzen hinweg durch seinen liebevollen Geist.

 

Ein Gott, der alle zu sich ruft und in einem Flüchtlingskind zu uns kommt!

 

Und dieses Kind zeigt uns Tag für Tag, was richtig ist,

 

was der Weg für uns ist

 

und wie ihr das Verheißene empfangt:

 

Anklopfen, beten und mein Herz auftun für den Menschen nebenan. So soll es sein in diesem Land!

 

Amen

 

 

  • P.S. Klara und Hannes heißen eigentlich ganz anders, so wie wir alle anders heißen, wenn die Hoffnung oder die Angst uns packt! 

 

1 Mo 11, 1-9 | 10. Juni 2019 | Oberlödla

 

 

Pfingsten und der Turmbau zu Babel. Alles war auf Linie getrimmt. Alle Welt hatte einerlei Zunge und Sprache.

 

Im Sommer 89 hat Hannes für ein freies Land demonstriert. Für Meinungsfreiheit und Demokratie. Mit Kerzen und Gebeten.

 

Er ist zur Montagsdemo gefahren, weil er sich ein anders Land wünschte.

 

 

Ein Leben, wo nicht alles auf Linie getrimmt ist.

Wo du abweichen kannst und anders sein darfst. Pfingsten und der Turmbau zu Babel.

 

Keiner hatte den andern mehr im Blick. Alles war nur noch auf ein Ziel ausgerichtet.

Der Einzelne war nicht mehr wichtig.

 

 

"Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf." 

 

Hannes aber wusste von einem Gott, der auch Ochsen und Eseln Freiheit schenkt. Ganz anders als seine Regierung.

 

Damals vor mehr als 30 Jahren.

 

 

Wer anders war, hatte es schwer. Wer nicht mitzog, wurde klein gemacht.

 

Der 5 Jahres-Plan war oft wichtiger als der einzelne Mensch und alles sprach mit einer Stimme:

vom Weltfrieden, den es zu retten galt.

Vom sozialistischen Bruderland und vom bösen westlichen Ausland.

 

 

Nur im Verborgenen hat so mancher gesagt, was er denkt und wonach er sich sehnt. 

 

Aber nach außen war alles ein Einheitsbrei, große Projekte und eine Zunge und Sprache.

 

Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! Lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen.

 

 

10Geschosser und 16er Blöcke. Die neuen Städte für die Ewigkeit.

 

In Halle, Berlin, egal, wohin du schaust. Überall eine Trabentenstadt. Hannes hielt das kaum aus.

 

Jede Wohnung war innen gleich. Jeder schaute zum gleichen Fenster heraus.

 

Alles gleichgeschaltet und gleichgemacht.

 

Alles schaute nur auf den großen Plan. Stärker zu sein als der Westen.

 

Mein Stein, mein Ziegel, mein Beitrag dafür. Weltall, Erde und Mensch.

 

 

Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.

 

Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache. Wo bitte ist da die Vielfalt, die ich erschaffen hab?

 

Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des anderen Sprache verstehe.

 

 

Gott hat die Sprache verwirrt.

 

Auf einmal hat keiner mehr den anderen verstanden.

 

Jetzt mussten sich die Leute wieder in die Augen sehen, um einander zu verstehen.

 

Sie haben sich angeschaut und sich in ihrer Vielfalt entdeckt.  

 

So war das damals im Land.

 

 

Als die Mauer vor 30 Jahren fiel, war das für Hannes ein Himmelsgeschenk.

 

Gott hat die Sprache der Menschen verwirrt. Auf einmal lief nichts mehr wie geschmiert.

 

Auf einmal hörte jeder etwas anderes in dem Wort Frieden, Freiheit und Demokratie. Es begann eine große Diskussion.

 

Auf einmal konnte man aus dem Rahmen fallen und sagen: Ich sehe das aber anders! Und man wurde nicht dafür eingesperrt.

 

Gott hat die Sprache verwirrt. Ein ganzes Land brach zusammen.

 

 

Jetzt nutzten keine 5 Jahres-Pläne und Befehle mehr, um voranzukommen.

 

Jetzt mussten die Menschen miteinander reden, aufeinander hören und versuchen zu begreifen, was der andere will.

 

Pfingsten vor 30 Jahren.

 

 

Das Ringen um Gemeinschaft, hat Menschen damals an runde Tische gebracht.

Und Hannes hat mitgemacht.

 

 

Hört mir doch erst einmal zu, hat Hannes oft gesagt. Sie mussten lernen, einander ausreden zu lassen.

 

Ideen austauschen und versuchen, den andern zu verstehen.

Es war schwer und unendlich schön.

 

Endlich hatte man einander im Blick. Nicht um einander auszuspionieren, sondern um gemeinsam zu regieren.

 

 

Und heute, ihre lieben, haben wir uns im Blick?

Hören wir dem anderen zu? Versuchen wir ihn zu verstehen?

 

 

Als vor wenigen Tagen der CDU-Politiker Walter Lübke erschossen wurde, dauerte es nur wenige Stunden bis erste Hasskommentare im Internet erschienen sind.

 

Walter Lübke hatte sich 2015 stark gemacht für die Aufnahme von Flüchtlingen.

 

Gegen den Widerstand vieler machte er klar: Das Recht auf Asyl gehört für ihn dazu in einem christlichen Land.

 

Nach seinem Tod schrieben Dutzende im Internet:

Weiter so! nach dem Motto: Das geschieht ihm recht.

Für sie war Walter Lübke eine Hassfigur, weil er anderer Meinung war.

 

 

Wir leben mittlerweile in einem Land, wo man keine Hemmung mehr hat,

Andersdenkende niederzumachen und sie sogar noch im Tod zu verhöhnen.

 

 

Wir leben in einer Gesellschaft, die immer weniger aufeinander hört.

Pfingsten haben wir bitter nötig. Ein Hinwenden zum Du.

 

 

Viele Menschen sagen heute wieder: so und so musst du sein,

dann bist du ein guter Deutscher, dann gehörst du dazu.

 

 

Wir beginnen wieder, uns Vorschriften zu machen

und Ideale höher anzusetzen als den Menschen, der vor uns steht.

Deutsch sein – ist so ein Ideal.

 

 

Hannes hat sich seit der Wende im Stadtrat engagiert.

 

Er weiß, dass Freiheit viel Arbeit macht. Es ist kein leichter Weg, allen gerecht zu werden.

 

Es braucht mein Hören auf den anderen und die Suche nach Kompromissen, damit Gesellschaft gelingt.

 

Vielen fällt das heute schwer.

 

Hannes hin und wieder auch.

 

Aber noch einmal zurück in ein Land, in dem Menschen einander vorschreiben,

was sie zu sagen, zu glauben und zu denken haben – das will Hannes nicht. Er engagiert sich für Vielfalt.

 

Gottes Schöpfung ist bunt.

 

 

Gott hat uns so herrlich verschieden gemacht. Pfingsten feiern wir das. Er hat unsere Sprachen verwirrt. Selbst wenn alle deutsch reden, müssen wir miteinander reden, um einander zu verstehen.

 

 

Dann erst tut sich uns der Himmel auf.

 

Das lehrt uns die Geschichte von Babel.

 

 

Denn der Weg zum Himmel ist nicht mit Steineschleppen und Idealen zu erreichen,

nicht mit Mauerbau oder himmelhohen Türmen.

 

Der Weg zum Himmel beginnt mit meiner Hinwendung zu Dir und das ist Pfingsten.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

 

Psalm 34,14-15 | 19. Mai 2019 | Altenburg

 

I

 

Suche Frieden und jage ihm nach.

 

Das ist die Geschichte von Hermine. Als ihr Mann mit dem Trinken angefangen hat, hat sie nie ein Wort gesagt.

 

Und als er sie dann im Suff geschlagen hat, hat sie noch nicht mal Idiot gesagt. Sie sagte nur: er nimmt sich eben alles so an. Die Firma, die Leere, den Traum.

 

Hermine fand für alles ein gutes Wort.

 

Wenn Hermines Freundin bei ihr in der Küche saß und sich über ihre Kollegen ausließ, was das doch für Idioten waren, dann sagte sie nur: du hast es nicht leicht. Vielleicht sagst du ihnen mal, wie es dir geht.

 

Hermine hätte auch für Diktatoren noch gekocht. Hermine ist eine Klasse Frau.

 

Wenn Erich Honecker mit seiner Frau damals vor ihrer Tür gestanden hätte, Hermine hätte denen auch Kaffee gekocht, Kuchen serviert und Tee aufgesetzt. Ganz egal, was der getan hat.

 

Man muss auch vergeben können, hatte sie gesagt, als der Bericht im Fernseher lief, wie Honecker mit seiner Frau bei dem Pfarrer auf dem Sofa saß bei Kaffee, Kuchen und Tee.

 

Hermine flucht nicht und das Wort so ein Mist, hab´ ich noch nie bei ihr gehört.

 

Suche Frieden und jage ihm nach.

 

 

 

II

 

Wie duftet Frieden? Wie fühlt er sich an?

 

Wie schmeckt er? Wie hört sich Frieden an?

 

Frieden fängt leise an und er duftet verführerisch und zart, so zart wie frisch gebackenes Brot.

 

Wenn Hermine mit ihrer Freundin in der Küche saß und die sie fragte, na, was macht denn dein Mann? Wie lange soll das noch so weiter gehen? Dann hat Hermine dazu nur geschwiegen.

 

Wer weiß schon warum einer tut, was er tut. Wer kennt schon alle Sorgen, die ein anderer hat und sei es der eigene Mann? Wer blickt einem anderen schon ganz ins Herz, das kann doch eigentlich nur Gott.

 

Und dann hat Hermine ihrer Freundin erzählt, was ihr Mann alles für sie macht. Und dass er auch ganz anders sein kann.

 

Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht falsch reden. Suche Frieden und jage ihm nach.

 

Nichts Falsches reden, nicht lügen und die Dinge nicht schlechter machen als sie sind.

 

 

 

III

 

Was hätte Jesus alles sagen können, als er damals auf die Welt kam. Wie verrucht der Herodes ist, dass der die Hirten so bedrückt.

 

Wie dreckig der Stall ist und wie hartherzig die Leute sind, die eine Schwangere im Stall gebären lassen.

 

Ach, was hätte der liebe Jesus alles schimpfen können, über diese Welt, als der in Bethlehem war und nach Nazareth kam.

 

Wie der hätte jaulen können. Und was der alles für Parteiprogramme hätte entwerfen können, weil alles so schlecht und verdorben ist.

 

Aber all das hat er nicht getan. Er hat Frieden gestiftet und das Heil groß gemacht. Das was Menschen verbindet.

 

Ach, Herr, behüte meine Lippen, dass ich nichts Böses sag.

 

Der Frieden fängt 3 cm unter der Nasenspitze an, genau hier, auf meinen Lippen.

 

Frieden ist schön und Frieden ist schwer.

 

Es ist schwer, seinen Mund zu halten, wenn einen was aufregt, noch dazu, wenn es ungerecht ist.  

 

Es ist schwer, innezuhalten und nachzudenken, was jetzt die gute Lösung für alle ist, wenn du so angefasst bist.

 

Es ist schwer, ruhig zu bleiben, wenn Leute über dich falsche Sachen erzählen und sich langsam Legenden bilden. Gerüchteküche und Stadtgespräch. Der Schläger, der Idiot, der Spinner.

 

 

 

IV

 

Wenn wir unsere Lippen im Zaum hätten und nichts Falsches erzählen, hier in dieser Stadt, in unseren Familien, in unseren Gemeinden? Wenn wir nur das Beste voneinander denken und weitersagen würden, ja wo wären wir dann?

 

Wenn wir erst mal nachfragen würden, statt Gerüchte einfach weiterzuerzählen, ja, wo wären wir dann?

 

Wieviel Ärger bliebe uns dann erspart? Wie schön klänge dann so mancher Chor?  Wie attraktiv wäre diese Stadt?

 

Frieden ist leise und zart.

 

 

 

V

 

Es gibt Worte, die halten eine Welt zusammen.

 

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten, ist so ein Wort.

 

Was das heißt, hat Martin Luther mal gefragt: Viel, hat er gesagt. Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.

 

Martin Luther hat uns das im kleinen Katechismus ins Stammbuch geschrieben. Eine kleine Handreichung für das Leben der Christen zu Haus. Für den Alltag im Stadtgespräch.

 

Martin Luther selbst hat das mit dem Frieden nicht immer geschafft.

 

Mit seiner Käthe hat er sich hin und wieder gestritten und sein Verhältnis zum Papst war – naja, sagen wir mal so: es hatte ganz viel Luft nach oben.

 

Die Worte, die sich Martin Luther für den Papst ausgedacht hat, die entbehrten oft der Suche nach dem Guten. Ach, Herr, behüte meine Lippen.

 

Ja, das gibt es. Man kann sonntags in der Kirche sitzen und ganz genau wissen, wie der Frieden geht und draußen verlässt einen dann der gute Geist und alles, was dein Herz regiert ist dann dein Wollen, dein Ich.

 

Ich glaube, dass man alles wissen und schon gedacht haben kann und trotzdem im Alltag scheitern kann.

 

Aber das Scheitern entbindet uns nicht vom Suchen.

 

Vielleicht ist das mit dem Frieden stiften genauso wie mit den Muskeln im Sport: Die bauen sich auch nur durch Training auf.

 

Je öfter ich meine Lippen im Zaum halte und mir überlege, was ich jetzt sag, desto leichter geht das Frieden finden und stiften.

 

Vielleicht werde ich eines Tages so alt und weise wie Hermine.

 

 

Hör auf, hat Hermine zu ihrem Mann gesagt, als er wieder um sich geschlagen hat. Was du suchst, findest du nicht auf dem Boden von leeren Flaschen. Sie hat ihn in den Arm genommen und ihr Mann ist aufgewacht.

 

 

Ich kannte mal einen, der hatte sich vorgenommen: den Gerüchteküchen nicht auf den Leim zu gehen und sich die Leute erstmal selbst anzusehen, über die man sich das Maul zerrissen hat.

 

Der hat den Leuten oftmals ganz schön lange zugehört, Beamten, Sündern und Säufern und dann hat er ihnen eine Geschichten erzählt, dass dir das Herz zerreißt.

 

Der hat bei jedem erstmal das Kind gesucht, das Gott am Anfang erschaffen hat

 

und erst als er das in ihnen wiedersah, hat er den Leuten auf den Kopf zugesagt, wo sie ganz krumm und schief geworden sind, was alles so nicht mehr geht.

 

mein Freund, ach kehre doch um!

 

Manche haben Christus zu ihm gesagt, denn er hat uns Frieden gebracht. Ihnen vielleicht ja auch.

Suche Frieden und jage ihm nach. AMEN

 

 

Und der Frieden Gottes, der höher ist, als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

 

 

Lk 2 + Lk 19,1-10 | 12. Mai 2019 | Frankenau

 

Als im April das Dach der Kirche Notre Dame von Paris brannte, rief ein Journalist bei mir an und fragte mich, was heißt das für Sie? Was bedeutet dieser Tag für die Welt? Alles, hab ich spontan gedacht, denn eine Kirche ist nicht nur ein Gebäude.

Sie ist die gute Stube für alle am Ort. Egal, woher sie kommen, egal, wohin sie gehen. Hier hat jeder ein Obdach vor Gott. Das verheißt jede Kirche.

 

Sie hütet unsere Tränen und unsere Träume. Sie verbindet uns mit all denen, die vor uns waren und mit denen, die nach uns noch kommen. Ihr Kirchturm zeigt die Richtung an, aufwärts, hin zu Gott.

 

Das hier ist euer Notre Dame. Zum Glück war sie nicht ausgebrannt, aber sanierungsbedürftig. Eure gute Stube im Ort.

 

268 m über Null, in einer scharfen Kurve gelegen, an der Kreisstraße Nummer 112. Wer hier nicht abbremst, der fliegt eines Tages aus der Kurve. Innehalten vor Gott.

 

 

Im Neuen Testament ist von Kirchengebäuden gar keine Rede. Die Juden kannten den Tempel Salomons, Gottes Haus in Jerusalem und als jener zerstört war und das Volk in alle Winde zerstreut wurde, haben sie die Erfahrung gemacht, dass Gott mitzieht. Gott ist mobil, ein transportabler Gott. Nicht gebunden an einen Ort.

Er war sogar mitten in der Wüste. Eine sehr schöne Erfahrung ist das gewesen. Gott schlägt sein Zelt bei Dir auf.

Er ist nah, ein lebendiger Hauch.

 

Eines Tages, so hofften die Juden, würde Gott selbst zu ihnen kommen, im Messias, im Gesalbten, im Menschensohn. Er würde kommen und die Welt verwandeln und einen jeden von uns gleich mit.

 

Lukas erzählt, dass zur Zeit des Königs Herodes die Hirten auf dem Felde die Nachricht bekamen, dass jener Retter geboren ist, im Kind, in der Krippe zu Bethlehem, in einem ganz unscheinbar kleinen Ort. Was kommt schon Gutes aus Bethlehem,  hieß es, das liegt doch am Ende der Welt? Klang unglaublich, war aber wahr.

Frankenau, Paris und Bethlehem.

 

Und die Menge der himmlischen Heerscharen war um sie und sprach: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen und der Engel des Herrn sagte: geht hin und ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt. Den Retter der Welt. In so einem kleinen Ort?

Bethlehem, Frankenau, Paris?

 

Ja, er will unter euch wohnen.

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch, wie auf einer Kreisstraße.

 

Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus. Zachäus und Müller, Meier, Schulze, der war ein Oberer der Zöllner und war reich.

Der war früher IM, war vielleicht mal ein NVA-Soldat. Reich geworden auf Kosten andrer Leute. Ein kleiner Diener im großen System.

Der hat sein Geld nicht mit Handarbeit gemacht, sagten viele, wenn sie ihn sahen.

 

Und Zachäus, begehrte Jesus zu sehen, dieser Müller, Meier, Schulze, wollte Jesus sehen.

Was das wohl für ein Typ ist, dieser Menschensohn?

 

Dieser Jesus, der die Hirten glücklich macht, obwohl Herodes sie mit Steuern bedrückt? Was das wohl für einer ist!?

Zachäus begehrte, ihn zu sehen, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und den hätte auch keiner durchgelassen, nach vorn, in die erste Reihe. Da wollten die Hirten stehen, jene, die ihm nachgefolgt waren.

 

Aber Zachäus wusste sich zu helfen. Müller, Meier, Schulze weiß sich immer zu helfen. Er weiß, wie man es anstellen muss, das Beste für sich herauszuholen. Den Leuten hinterhergehen, nachspionieren. Nah sein ohne was zu riskieren.

Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.

 

Zachäus. Ein Zaungast im Evangelium.

Einfach nur mal schnuppern und sehen, was da los ist. Weihnachten in der Kirche oder heute: Einweihung. Versteckt auf der letzten Empore. So hing er da, Zachäus im Maulbeerbaum.

 

und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf.

Und das ist das Wunder.

Jesus sieht ihn. Er sieht Zachäus, wie er die Hirten angesehen hat. Und er sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.

 

Zu dir muss ich heute! In dein Haus hinein, in Jericho, Frankenau, Bethlehem, Paris. Bei Dir will ich heute sein.

Jemanden besuchen, heißt ihm die Ehre geben, ihn beehren mit meiner Anwesenheit. Vorbehaltlos. Einfach die Schwelle überschreiten.

 

Woher wusste Jesus seinen Namen? Woher weiß er meinen Namen? Und deinen und den von Müller, Meier, Schulze? Unfassbar groß ist dieser Gott, zu allem mächtig und barmherzig zu allen. Er sieht in Zachäus den Mensch.

 

Und Zachäus stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Das ist das Evangelium, ihr Lieben. Jesus hat uns alle im Blick.

Er zieht ein bei Zachäus, auf Heu und auf Stroh. Da gehört Gott eigentlich nicht hin, mitten in den Dreck, denke ich.

Aber Gott liebt den Neuanfang und Zachäus bekommt ein leuchtendes Gesicht so wie die Hirten in der Heiligen Nacht. Gott hat den Anfang gemacht.

 

Das ist das Evangelium. Und das ist unsere Wirklichkeit, die sofort darauf folgt:

Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: bei einem Sünder ist er eingekehrt.

 

Was für eine Enttäuschung! Gott zieht ein, nicht wo ich es will, sondern bei denen, die ihn brauchen. Da können wir ihm noch so große und schöne Häuser bauen und alles richtig machen.

 

Gott geht zu Zachäus, weil Zachäus ihn braucht. Gott ist größer als mein kleines Herz und seine Kirche ist größer als meine Stube. Er sitzt mit Sündern zu Tisch.

Für wen decke ich gern den Tisch? Wem schließen wir die Kirchentür auf? Wen holen wir aus seinem Versteck?

 

Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, HERR, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.

 

Jesus aber sagte: Lass mal. Heute schon ist diesem Haus Heil widerfahren. Nicht erst, wenn du alles wieder gut gemacht hast.

Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

So ist das Paradies.

 

Wir bekommen ein Lächeln geschenkt, das wir uns nicht erarbeiten und verdienen können. Ansehen, Gegenwart. Manchmal hier an Gottes Tisch oder dann, wenn uns einer besucht.

 

 

Martin Luther hat mal gesagt: Gottesdienst kann man überall feiern, sogar im Schweinestall oder unter der Elbbrücke. Wir brauchen dafür keine schick renovierten Kirchen und keine sanierten Turmhauben.

Alles, was wir brauchen ist Gottes Wort und dass wir Christus folgen.

 

Es bringt nichts, Kirchen zu sanieren, wenn wir keinen Blick für Zachäus haben, für Müller, Meier, Schulze im Maulbeerbaum.

Das ist die eigentliche Aufgabe vor der wir stehen, wenn sich Risse im Gebälk zeigen oder ganze Kirchendächer einstürzen durch Brand.

Nicht nur die Gebäude sanieren, sondern erstmal unser Herz. Unser Herz festmachen in Gott.

 

Ihr wisst, warum ihr dieses Gebäude so schön hergerichtet habt.

Hier habt ihr alle einen Platz. Hier hat Gott das letzte Wort. Hier deckt er für alle seinen Tisch. Hier sieht einer unser Herz.

Die gute Stube für alle im Ort. 268 Meter über Normal Null. In Jericho, Frankenau, Paris.

 

Hier kommt Jesus hin, auf dieser Straße zieht er durch und hoffentlich auch in mein Herz. AMEN

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

Joh 19,30 | 19. April 2019 | Beerwalde und Altenburg

 

I

Karfreitag. Heute steht alles in uns still. Wie bei einer Beerdigung. Wir trauen um Jesus, wir sehen sein Kreuz.

Wie er da hängt: Es ist vollbracht. Keiner kann jetzt etwas zurücknehmen und nichts mehr wiederholen.

Jesus hängt oben am Kreuz. Der Hass der Leute hat sich ausgetobt. Es ist vollbracht, das ist das einzige, was Jesus noch sagt. Dann neigte er sein Haupt und verschied.

Seht, nun habt ihr euren Willen und schaut, wohin euch das führt. Totenstill ist eure Welt. Jetzt hört ihr nur noch das, was ihr selber denkt und sagt. Das sagt mir Jesu Leichnam am Kreuz.

 

II

Kennen Sie das? Du stehst am Grab und plötzlich weißt du, was alles richtig und wichtig gewesen wäre. Wie es hätte anders laufen können, damit es nicht so ein Ende nimmt. Im Nachhinein wird dir sofort klar, wo du hättest einschreiten, einlenken, umdenken sollen.

Dass einer stirbt, kann man ja verstehen, aber so? So verraten und allein?

Hinterher weißt du immer, dass dein Einspruch nicht umsonst gewesen wär. Dass ein Besuch am Krankenbett keine verlorene Zeit gewesen wär.

Im Nachhinein ist vieles klar. Die Dinge hätten anders laufen können. Aber sie sind es nicht.

 

III

Lasst uns Abschied nehmen und bedenken, was uns mit ihm verbindet. Bei Trauerfeiern wird das oft gesagt und eine Stille eingeleitet.

Wer ihn lieb gehabt hat, der trage diese Liebe weiter. Wer ihm etwas schuldig geblieben ist an solcher Liebe…, ja, das sind Sätze, die tief gehen.

Wie oft habe ich schon am Grab gedacht, ach hättest du doch, ach wärst du doch noch einmal bei ihm gewesen.

Du denkst an all das, was dieser Mensch für dich war, auch an die Schuld, die dich verbunden hat. Ja, das sind Sätze, die tief gehen.

Die Jünger hat mit Jesus viel verbunden, nicht nur die Erfahrung von Rettung in stürmischer See. Auch Wunder haben sie ihm mit gesehen und gehört, dass alles auch anders sein kann.

 

Er hat ihnen so viel geschenkt: das Ährenraufen am Sabbat, die Freiheit ohne Brot in die Wüste los zu gehen und anzuklopfen bei den Leuten. Vertrauen und Hoffnung hat er ihnen geschenkt.

Das Vertrauen sind sie ihm schuldig geblieben, das bisschen Zeit und Geduld. Damals in Gethsemane, damals in Golgatha.

Und die Leute, die Jesus erst zugejubelt haben, auch die sind Jesus viel schuldig geblieben: die Freiheit zu reden und zu glauben, wie er mag.

Die Freiheit, den Himmel offen zu sehen für Räuber und nicht nur für Gerechte.

Ganz neu von Gott zu erzählen, auch die Freiheit sind sie ihm schuldig geblieben.

 

Sie haben ihn klein gemacht. Eingedampft auf ihr menschliches Maß, auf das, was sie gerade noch für richtig halten konnten.

Am Ende ist nichts mehr von ihm übrig geblieben. Nur ein Leichnam am Kreuz. Sein Geist war weg, seine Fröhlichkeit.

Und es wurde dunkel, mitten am Tag.

Gestern, damals, heute.

 

IV

Wer glaubt, dass das nur eine Geschichte von damals ist, der irrt.

Kreuzwege gibt es ganz viele.

Ich sehe Jesus, ich sehe mich, ich sehe euch.

Erst wirst du festlich empfangen, dann runtergemacht. Nur weil du nicht das machst, was die Masse mag. Weil du anders bist, als erwartet.

Und wie schnell wird heut einer kalt gestellt, via Twitter in Sekunden, über Nacht.

Ich sehe Jesus, ich sehe mich und ich sehe euch.

 

Mich dürstet, hat Jesus gesagt. Der Lebenshunger hatte ihn noch einmal gepackt, aber alles, was sie ihm gaben war ein Schwamm voller Essig gewesen, damit das Sterben schneller geht. Das hat man damals so gemacht. Essig, damit er endlich die Klappe hält. Dieser gottverdammte Jesus.

 

Es gibt Tage, da hängst du selbst so am Kreuz und Tage, da bringst du andere ans Kreuz. Auch das geht schnell, über Nacht.

Dann wird alles auf die Goldwaage gelegt, jedes noch so kleine Wort.

Ich sehe Jesus, sehe mich und euch. So ist die Welt, das hört nicht auf.

Aber Jesus ist, Gott sei Dank, ganz anders.

 

V

Als die Soldaten Jesus den Rest gegeben haben mit dem Schwamm voller Essig, da hat Jesus nur dies gesagt: Es ist vollbracht.

Ja, so sei es unter euch, aber nicht zwischen mir und euch.

Das ist das Wunder, ihr Lieben. Jesus schweigt. Er flucht nicht da oben am Kreuz.

Keine Rachegelüste, kein böses Wort, nur ein leises: Es ist vollbracht.

Keine Drohgebärde, nach dem Motto: na wartet nur, wenn mein Vater das sieht! Nichts davon, nur Demut und stiller Tod.

So stirbt er, der Wunder-Rat. Gott-Held. Friede-Fürst.

Und als er nach drei Tagen wiederkommt, ist alles, was er den Verrätern sagt ein: Fürchtet euch nicht! Ein Friedensgruß.

Was sagen wir, wenn die Stunde kommt voller Finsternis, Verrat und Tod?

 

Der Frieden Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre dann unsere Herzen und unsere Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

Mt 3,13-4,11 | 7. April 2019 | Nöbdenitz - Zukunftswerkstatt

 

 

Da wurde er vom Geist in die Wüste geführt.

 

Eben war alles noch schön gewesen. Eine Stimme vom Himmel herab, die zu ihm sprach: Du bist mein lieber Sohn, mein Wohlgefallen. Dich habe ich auserwählt.

 

Und jetzt die große Leere, das Nichts. Keine 12 Freunde um ihn herum, keine Leute, die an seinen Lippen hängen, geschweige denn auf ein Wort von ihm warten und in seinem Innern nur die Stimme, die brüllt: Jetzt aber, du bist auserwählt. Dann mach aus diesen Steinen jetzt Brot! Beweis, was du kannst, wer wenn nicht du!?

 

Als Hannes zum Vorsitzenden des Gemeindekirchenrats gewählt wurde,  hatte er sofort diesen Druck gespürt.

 

Jetzt musst du dafür sorgen, dass alles klappt Gemeindeaufbau und Gottesdienst. Gebet, Gebäude, Leidenschaft und dann auch noch die Finanzen.

 

Dann mach aus diesen Steinen doch Brot.

 

Alles am Leben erhalten. Am Anfang hat Hannes das wirklich versucht. Alles am Laufen halten, was früher noch war, obwohl klar war, dass der Pfarrer in den Ruhestand geht und keiner neuer mehr kommen wird. Die Gemeinde wird umstrukturiert.

 

Am Anfang hat Hannes sich hingestellt und das Krippenspiel für die Kinder gemacht und jedes Jahr ein neues geschrieben, hat Anträge geschrieben für das Kirchendach und wenn es sein musste auch die Leute besucht, weil der Pfarrer keine Zeit mehr hat.

 

Dann mach aus diesen Steinen doch Brot.

 

Wenn er im Gemeindekirchenrat fragte: Kannst du nicht mal den Antrag ausfüllen, da hieß es immer, du kannst das doch so gut.

 

Hannes brannte und er brannte aus. Die Leere hat ihn fertig gemacht. Dabei hat er wirklich vieles versucht: neue Uhrzeiten für den Gottesdienst, Anspiel im Familiengottesdienst. Kirchenkaffe und Orgelkonzert. Aber kein neuer kam hinzu.

 

Wenn er die anderen im Gemeindekirchenrat auf die Lage ansprach, dann zuckten sie stumm mit den Schultern.

 

Hannes regte diese Trägheit auf, merkt ihr denn nicht, die Gemeinde stirbt aus!? und manchmal konnte er einfach nicht mehr und ließ seine Wut am Pfarrer aus, der nun für sie zuständig war.

 

Wir brauchen eben mehr Gottesdienst, sonst wird das mit der Gemeinde nichts.

 

Dann mach aus diesen Steinen doch Brot.

 

Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er lebt von jedem Wort aus Gottes Mund. Vom Hören, Reden,  in Beziehung sein.

 

Mehr Gottesdienste – wie soll das gehen? Hatte der Pfarrer gesagt,  Hannes, ich kann mich doch nicht zerteilen. Auch mein Tag hat nur 24 Stunden.

 

Aber die andren Gemeinden schaffen das doch auch!

 

Letztes Jahr haben wir die Partnergemeinde besucht, Herr Pfarrer, das hätten Sie mal sehen sollen: Eine junge Gemeinde haben die, von der können wir nur träumen!

 

Und Konfirmandengruppen, die sind größer als der Gemeinderaum, die müssen dort sogar in zwei Gruppen eingeteilt werden und die Gebäude sind alle super in Schuss und bei uns hier nichts als Leere.

 

Die Gemeinde stirbt aus.

 

Wie soll das weitergehen? Und dann wohnen Sie auch noch so weit weg, hier kennt Sie doch gar keiner im Ort! Sie müssten viel präsenter sein! Und ich verstehe auch diese Kirche nicht, die immer mehr Pfarrer aus der Fläche abzieht!

 

In der Partnergemeinde, da wohnen gleich zwei Pfarrer in einem Ort und jeden Sonntag ist Gottesdienst, das sollten Sie mal sehen!

 

Eia, wärn wir da. In der Ferne das schöne Paradies.

 

(Melodie EG 35, letzter Teil)

 

Und der Teufel führte ihn mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab, denn Gott meint, dir wird nichts passieren.

 

Abheben, weggehen, der Welt entfliehen, mit mir nicht hat der Pfarrer gesagt.

 

Was nützt es darüber zu reden, wie es woanders ist und wir können nur das tun, was jeder schafft.

 

Mit unseren Gaben, mit unserer Zeit. An diesen Ort hier hat Gott uns gestellt. Das ist die Wirklichkeit.

 

Hannes hatte nichts mehr gesagt. Er war nach Hause gefahren und hat sich in die dunkle Stube gesetzt, kein Licht angemacht, saß einfach nur da im Dunkeln.

 

Mit unsrer Macht ist nichts getan. Ein gute Wehr und Waffen. Jesus, der starke Mann? Der Mann, dem die Hände gebunden sind, einer, der auch nichts aufhalten kann, nur vertrauen inmitten der Leere.

 

(Melodie Ein feste Burg ist unser Gott)

 

Wenn man das könnte, die Leere aushalten und im Dunkeln losgehen, die Hände ausstrecken und um Hilfe rufen wie Jesus am Kreuz. Kyrie eleison.

 

Wenn man das einfach so könnte? Loslassen und darauf trauen, dass es anders wird. Nur das, was Du selber grad kannst.

 

Hannes kamen die Tränen.

 

Und der Teufel zeigte ihm alle Reiche dieser Welt: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

 

Alle Herrlichkeiten dieser Welt. Ansehen und Applaus. Ich wollte so vieles sein, mein Hannes.

 

Mit dem Kreuz und der Kirche kannst du bei den meisten ja keinen Stich machen.

 

Da wirst du  manchmal angeschaut, als hättest du eine bestimmte Form von Geisteskrankheit, wenn du sagst, ich engagier mich für die Kirche.

 

Dass man im Fußballverein ist, bei den Landsenioren oder im Bowlingclub, alles okay, aber Kirche, Glaube, Gottesdienst?

 

Ich wollte allen zeigen, dass Kirche auch cool sein kann. Ich wollte dastehen als der starke Mann. Der Typ, der alles schaffen kann. Gemeindeaufbau und Kirche sanieren. Aber ich allein kann gar nichts tun.

 

Vor lauter Arbeit hab ich fast meinen Glauben verloren. So kann es nicht weitergehen.

 

Als Hannes von dem Gespräch mit dem Pfarrer nach Hause fuhr, hat er am Tag darauf den Gemeindekirchenrat einberufen. Er hat ihnen die Zahlen vorgelegt: so und so viel Leute sind wir noch. Alles Alte und fast keine Jugend mehr.

 

Wenn wir so weitermachen, dann sterben wir aus. Wir müssen rausgehen und uns öffnen, für andre da sein.

 

Und ich werde auch nicht mehr der Motor sein, der alles antreibt, alles macht. Ich mach euch aus Steinen kein Brot.

 

Ich werde das tun, was ich kann. Die Leute besuchen und beten zu Gott. Mehr werde ich nicht tun. Und wenn sich keiner findet, der die Kirche saniert, dann verfällt sie halt. Ich kann nicht alles für euch tun.

 

Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

 

Und ihr, liebe Gemeinde, schaut euch mal an. Vor wem wagt ihr mit leeren Händen dazustehen? Welche Engel hat Gott an eure Seite gestellt und was treibt euch um und an?

 

Pflichtgefühl, Allmacht, Gebet?

 

Kirche ist für mich der Ort, an dem wir uns zeigen, was wir lieben. Was wir lieben und nicht, was wir tun müssten in den Augen der Welt. Sie ist Erlösung, ein Ort, wo Neues aufbricht inmitten der alten Welt.

 

Als ich aufgehört habe, alles mit eigner Kraft am Laufen zu halten, sagte Hannes, da wurde es leichter.

 

Ich habe andere um Hilfe gefragt und siehe da, sie kamen und was nicht gewünscht war, das haben wir sein gelassen. Für die Kirchensanierung haben andre sich gefunden.

 

Heute sind wir Gemeinde. Nichts hängt an mir, aber alle an Gott.

 

So soll es sein.

 

AMEN

 

 

 

 

1 Mo 28,10-22 | 24. Februar 2019 | Altenburg

I

Wenn Gerd in seine Kirche geht, dann tut sich für ihn etwas auf. Hier hat er in der ersten Bank gesessen als sein Kind getauft wurde.

Und hier ist auch der Ort, an dem der Pfarrer für ihn und seine Frau gebetet hat. silberne Hochzeit, mein Gott, wie lang ist das jetzt wieder her?

 

Und hier hat er auch gesessen und geweint, um seinen Vater und um so manchen Freund. Rauf und runter, und die Engel Gottes stiegen ab und auf und oben stand einer und sprach: Ich bin der Herr, dein Gott.

 

Wenn Gerd zu Hause alles zu viel ist, nimmt er den Kirchenschlüssel und geht in seine Kirche.

Er sagt dann immer, er müsse mal nach dem Rechten sehen, aber meistens sitzt er in seiner Bank und sortiert alles hin und her.

Dieser Ort ist ihm heilig. Hier hat er so vieles durchgemacht, das Schönste und das Schwerste.

Er mag die Ruhe und die Schönheit dieses Raums. Wenn das Licht durch die Fenster fällt, die weißen Bänke, in denen sein Vater schon gesessen hat und die blaue Decke hoch über dem Altar mit den goldenen Sternen darauf.

 

II

Ein Stein, hoch aufgerichtet. Mehr nicht. Damit fing alles an. und jeder, der an dieser Stelle vorbeikam, sah sofort: Hier ist etwas passiert. Hier hat einer ein Denkmal errichtet.

Und Jakob träumte und siehe, eine Leiter stand da und die Engel Gottes stiegen daran ab und auf. Der HERR ist an dieser Stätte und ich wusste es nicht.

 

Jakob lag in der Wüste, ein Lügner auf der Flucht. Er hatte sich den Segen seines Vaters erschlichen und sich vor seinem Bruder ins Unrecht gesetzt. Die Mutter hatte ihm dabei geholfen.

 

Nun hatte ihn der Vater auf große Reise geschickt, geh und mach dein Glück. Finde eine Frau, die zu dir passt. Jakob war aufgebrochen. Ob er sein Glück findet und eine Frau, die ihn liebt?

 

Jakob wusste es nicht.

Er übernachtete in der Fremde, unterm Himmelszelt. Ein Lügner, ohne Obdach und ohne Gemeinschaft, die empfängt.

Und ihm träumte und im Traum sah er Gott. ganz oben auf der Leiter, und der sprach: Ich bin der HERR, dein Gott. Du bleibst nicht allein, Jakob. So zahlreich wie der Sand auf Erden werden deine Nachkommen sein. Dein Weg ist mir nicht verborgen.

So ist das, wenn Gott uns berührt.

 

Fürwahr, dachte Jakob, als er aufgewacht ist, ich wusste es nicht, aber an dieser Stelle wohnt Gott.

Wenn alles so kommt, wie du es verheißt, dann will ich dir an dieser Stelle ein Haus bauen, mein Gott. Zur Erinnerung und als Zeichen meiner Dankbarkeit.

Und einstweilen errichtete Jakob einen Stein und goss kostbares Öl darauf. Damit fing alles an. Ein Glaube und ein aufgerichteter Stein.

 

III

Liebe Schwestern und Brüder,

wir haben keine Himmelsleitern, aber wir haben Kirchentürme, die gen Himmel weisen.

 

Sie zeigen hinauf, zu dem, der zu uns herab kommt und sich über uns erbarmt. Ich lasse euch nicht allein. Ich bin euer HERR und Gott.

Unsere Vorfahren haben einst auch Steine aufgerichtet und daraus Kirchen erbaut. Zum Dank und zur Erinnerung an den, der uns am Leben erhält. Glaubensräume sind entstanden, Orte der Hoffnung und Begegnung.

 

Mal sind sie schlicht, mal aufwendig, mal prunkvoll geschmückt.

Sie haben Risse, sie sind schön, sie sind klein, sie sind groß und manchmal voller Bilder wie hier.

Unsere Kirchen sind die steinerne Haut eines Glaubens an den lebendigen Gott.

 

Sein Wort ging all dem voraus. Jedem Gebäude und jeder Gemeinde und ohne sein Wort wird alles leer, geht kaputt und wird mühevoll.

 

IV

Was ist für Sie Kirche? Ich habe in letzter Zeit vielen Menschen diese Frage gestellt. Anbei zwei Antworten, stellvertretend für viele:

 „Kirche ist für mich… ein Gebäude oder eine Institution. Ich mag das Wort nicht so sehr und bevorzuge das Wort Gemeinde, wie es Jesus ja auch bei Petrus verwendet, oder Gemeinschaft der Heiligen. Und das ist für mich immer dann gegeben, wenn Menschen im Namen des Dreieinigen Gottes zusammenkommen, um Gutes zu tun – an Mensch und aller Schöpfung, um gemeinsam zu beten, um das Wort Gottes zu hören und sich darüber auszutauschen, wenn man einander erzählt, was man aus dem Glauben erlebt. das kann im Gebäude Kirche oder einer anderen Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft sein, aber genauso gut und fast noch viel mehr, draußen auf den Straßen und Gassen, in unseren Häusern und auf unseren Arbeitsplätzen, beim Einkaufen und Spazieren gehen, selbst an den zwei Enden einer Telefonleitung – einfach überall, wenn wir ein offenes Herz für Gottes leise Stimme in unserem Alltag haben.“ Worte von Anja Herbst.

„Kirche ist für mich: Power durch und mit Jesus – Gemeinde unter dem Schutz Gottes – beten, danken, bitten, vertrauen, demütig sein und auch an das glauben, was ich nicht sehe – das Geheimnis.

Kirche ist für mich nicht das wegen Deckeneinsturz gefährdete Gebäude!!!“ das sagt eine, die es wissen muss, Grit Weidner, weil „ihre“ Kirche in Haselbach gerade baupolizeilich gesperrt ist. Die Deckenbalken geben nach.

 

V

Kirche ist mehr als ein Gebäude.

Was passiert, wenn mir vor lauter Sorge um das Gebäude die Menschen aus dem Blick geraten, für die Jesus zur Welt gekommen ist?

 

Wenn Gerd in seiner Kirche sitzt, denkt er jedes Mal: wie schön sie geworden ist, seine Kirche. Er schließt sie immer gut ab. Die Kirche soll nicht offen stehen, da könnte ja sonst wer kommen und etwas kaputt machen. 

Er hat jahrelange dafür geschuftet, dass die Bänke wieder frisch gestrichen sind und die kaputten Fenster ersetzt werden. Wie oft hatten sie ihm die in der DDR-Zeit eingeworfen.

Keiner im Ort hat sich darum geschert und die Helga sagt bis heute, dass sie nichts gesehen hat. Dabei wohnt sie gleich nebenan.

 

Wenn er früher zur Kirche ging, hat sie ihn jedes Mal gemeldet, das hat er in den Akten nachlesen können, aber die Steinewerfer damals will sie nicht gesehen haben.

An der Kirchentür hat Gerd einen Zettel angebracht. Wer die Kirche besichtigen will, kann sich bei ihm melden und dann noch die Termine mit dem Gottesdienst.

 

Helga würde die Kirche gern mal von innen sehen, aber bei Gerd nach dem Schlüssel fragen, das traut sie sich nicht, nach all dem, was gewesen ist. Die Geschichte und die Schuld ist ein garstiger Graben.

 

Als ihr Mann letztes Jahr starb, war es Winter gewesen. Und weit und breit kein Ort, an dem man die Trauerfeier machen kann. Der Bestatter hatte für sie bei der Gemeinde angefragt, ob man die Kirche dafür nutzen darf. Es gibt doch sonst nichts im Ort. Für solche nicht, hieß es da.

Kein Raum in der Herberge.

 

Sie hatten in der Kälte gestanden, die ganzen 45 Minuten lang, bis die Urne in der Erde war.

Wie barmherzig ist Gott? Helga bekommt das nicht zusammen. Das Reden und Tun. Sie hofft, dass, wenn es da oben einen gibt, dass wenigstens er ihr vergibt.

 

Unsere Kirchen erzählen viel von unserem Kleinmut und von unserem Glauben.

Gott hat seine Kirche mit Jakob gebaut und Jakob war ein Lügner gewesen. So barmherzig ist Gott.

 

Ich bin die Tür, sagt Jesus, zu Gott kommt ihr nur durch mich.

Kirche ist Gemeinschaft, die in seinem Namen empfängt und in seinem Namen vergibt.

Sie blüht auf, wo wir Jesu Beispiel folgen. AMEN

 

 

 

 

 

Lk 2,1-20 | 24. Dezember 2018 | Großstöbnitz| Altenburg

 

Klara hat immer gedacht: nur wenn ich was mache, also richtig gut mache, dann bin ich auch gut.

Sie hat sich für die Kinder ein Bein rausgerupft, hat Weihnachten immer das Haus geputzt, wenn die Schwiegereltern und die Kinder kommen, dann soll doch alles glänzen.

 

Sie hat Plätzchen gebacken und verschenkt, an die Verwandten und Nachbarn. Sie hat immer alles richtig gemacht oder es wenigstens versucht.

 

Heilig Abend stand sie immer bis kurz vor Schluss in der Küche und hat für alle gekocht. Für den Liebsten Gänsebraten und für die Tochter Gemüseauflauf oder veganes Mus und für den Schwiegervater Würstchen mit Kartoffelsalat, weil er das so mag.

 

Nur wenn ich es gut mach, bin ich auch gut. Klara hat auch für jeden ein Geschenk gehabt. Wochen vorher hat sie das mit viel Bedacht ausgesucht, was könnte der und jene brauchen?

 

Und nach der Bescherung lagen Berge von Papier in ihrer Stube. Klara sagte: Lasst nur, das räum ich morgen schon weg. Und nach dem Fest kam die Leere.

 

Es gab Nächte in der Heiligen Nacht, da hat sie im Bad gesessen und geweint. Weil das Lob ausblieb und auch der Applaus, für alles was sie sonst noch so macht.

Ich leg mich hin, sagte Klara dann, mir geht’s nicht so gut, vielleicht zu viel Kartoffelsalat. Dann lag sie im Bett, in der Finsternis. Also bin ich doch nicht so gut?

 

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihr Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie: und sie fürchteten sich sehr.

 

Nicht schon wieder, haben die Hirten gedacht. Nicht schon wieder einen neuen Herrn. Der wird uns auch nur Vorgaben machen. So und so viel Leistung und das ist euer Soll.

Das müsst ihr liefern bis Monatsende. Sie kannten das schon. Sie hatten schon so viele Herren gehabt. Mit keinem war es anders gewesen. Die Herren sitzen oben und bestimmen. Und wenn einer sein Soll nicht schafft, ist er die längste Zeit Hirte gewesen.

Manchmal hatten sie sich untereinander die Schafe geklaut, damit sie mehr abzuliefern hatten.

 

Aber die Klarheit des Herrn leuchtete um sie und der Engel des HERRN sprach: Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude.

Klara hat es jedes Jahr versucht, mit dem großen Fest der Freude.

 

Vielleicht mal ein neues Kleid, hat sie gedacht und sich in Unkosten gestürzt für die Heilige Nacht. Ihr Mann hat das Kleid manchmal gar nicht bemerkt, und oft nur mit einem Lächeln gesagt, aber Klara, du bist doch schon schön!

Dann stand sie in der Küche und hat gelacht, aber meistens hat sie es nicht geglaubt und abends doch noch ein Glas Wein gebraucht, damit sie die Frage nicht mehr quält: Meint er das ernst oder sagt er das nur, weil man das eben so macht?

 

Ab und zu hat sie auch ein neues Weihnachtsessen ausprobiert. Aber sie kam nicht: die große Freude. Da war immer eine Lücke, ein nagendes Loch.

 

Ein eigentlich, vielleicht bin ich´s nicht wert.

Ihr Mann hat es ihr zwar immer gesagt: Du bist doch das Liebste, was ich hab. Ich brauch keinen Braten, ich brauch nur dich. Aber Klara hat dann doch für ihn gekocht. Sicher, ist sicher, hat sie gedacht.

 

Siehe, ich verkündige euch große Freude.

Was eine Freude für uns wäre – das wüssten wir schon, dachten die Hirten.

Wenn sich unser Herr mal eine Nacht lang mit uns auf die Weide stellt und merkt, wie die Kälte an den Beinen hochkriecht und dann erst von einem gerechten Lohn redet, das wäre uns eine Freude.

 

Mehr Lohn, dachten sie, aber vor allem, vor allem mehr Respekt. Wir sind doch keine Tiere, wir sind Menschen. Wir haben auch ein Herz und unsre Träume. Und wenn uns unser Herr mal an seinen Tisch einladen würde und fragt: wie es uns geht, ja, das wäre auch eine Freude.

 

Oder wenn mein Schwiegervater mir mal sagen würde: Mensch, Klara, das hast du gut gemacht oder meine Schwiegermutter mal aufhören könnte so zu tun, als hätte ich ihr den Sohn geklaut, ach, was wäre das für eine Freude.

 

Aber die Wirklichkeit sah anders aus.

Aber der Engel des HERRN sprach:

Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

 

Die Hirten hatten schon viel gehört von Herrschern in einem Palast und seinen Herrschaftsinstrumenten. Dass der neugeborene Herrscher noch Windeln trug, das war ja klar. Keiner kommt schließlich groß zur Welt.

 

Aber dass er angeblich in einer Krippe liegt? Da haben die Hirten schon gestutzt. In einer Krippe liegt doch nur Heu und Stroh, das Futter für die Tiere, das womit unsere Arbeit beginnt.

 

und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen.

Ja, euer Herr kommt zu euch.

 

Erst haben sie gedacht, das ist ein Scherz, das ist sicher ein ganz böser Scherz, aber genauso war es dann:

Sie haben ihren Herrscher dort gefunden, wo für sie der Arbeitstag endete und begann: bei den Tieren im Stall, in einer Krippe.

Sie haben ihn als Kind gefunden und dieses Kind hat sie angelacht. Einfach so. Es war so arm wie sie und da haben sie gewusst: der wird uns nicht ausbluten und knechten. Der macht keinen Bogen um unsre Kälte und um den Dreck. Der nimmt uns so an wie wir sind.

 

Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.

Und sie kehrten um und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.

 

Alles beginnt damit, dass Du es glaubst. Alles beginnt damit, dass Du die Worte in deinem Herzen bewahrst und dich daran festhältst wie an einem Strohhalm.

 

Es gab Tage, da hat Klara das geschafft: sich festhalten an diesem Wort: Du bist doch das Liebste, was ich hab.

Es gab Tage, da hat Klara diese Worte über alles gestellt und dann hat sie alles geschafft.

 

Und es gab Nächte, da hat Klara die Angst gepackt. Nur wenn du gibst, bist du gut. Nur, wenn du alles richtig machst. Dann hat sie geschuftet, geschrubbt, gekocht, als hinge ihr Wert davon ab.

 

Mach deine Arbeit, sei ein liebes Kind. Dieser Satz aus der Kindheit hat sie fertig gemacht. Hat sie durchgepeitscht bis tief in die Nacht. Wann ist gut wirklich gut genug?

 

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: lasst uns nun gehen und die Geschichte sehen, die da geschehen ist und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, und dazu das Kind in der Krippe. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen gesagt war.

 

Dieses Kind wendet alles um.

Alles beginnt damit, dass Du ihm glaubst, dass es dich liebt und Du musst nichts dafür tun.

 

Die Hirten haben ihm geglaubt und sie haben sich in der Nacht davon erzählt.

Und wenn ihnen wieder einer Vorgaben machen wollte, dann haben sie sich gesagt: unser Herr ist stärker als Du, er liebt uns als das, was wir sind.

 

Das hat den Stecken der Treiber zerbrochen.

Und wenn sie verzweifelt waren, dann haben sie sich gegenseitig wieder daran erinnert. So wie wir in dieser Heiligen Nacht. AMEN

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Lk 1,11-25 | 11. Dezember 2018 | Altenburg

 

Advent. Brennt da was?

 

Ja, da brennt was. In Gerdas Fenster brennen die Kerzen. Der Verkehr rauscht draußen vorbei. Einmal wird alles anders sein. Die Kinder schauen sonntags vorbei.

 

Und Gott?

 

Gott.

 

Der Himmel ist grau. So grau wie Gerdas Haare. Die Knochen tun ihr weh. Sie ist tattrig geworden auf ihre alten Tage hin. Sie wartet. Auf das Ende. Aber das darf sie ja keinem sagen.

 

Dann sperren die mich noch ein. Ich habe mein Leben gelebt, mit 86. Was will ich hier noch?

 

Sie hat den Schwibbogen aufgebaut wie all die anderen Jahre.

 

Kommt da noch was?

 

Da kommt nix mehr. Oder doch?

 

Da trat der Engel des HERRN zu ihr.

 

So berichtet es Lukas. Ein Engel trat zu Zacharias. Du wirst Freude und Wonne haben. Ein Wort an die, die ausgewartet haben.

 

Ein großes Wort für die Alten, für Elisabeth und Zacharias. Zacharias wollte das nicht glauben. Meine Frau ist alt, hat er gesagt. Aber Gott sagt: Ihr werdet schon sehen. Freude und Wonne sollt ihr haben.

 

Das übersteigt seinen Verstand. Zacharias wird stumm. So stumm wie Gerda, wenn sie aus dem Fenster blickt. Gott, was hast Du noch mit mir vor?

 

Und wohin werden wir noch gehen?

 

Dorthin, wo die Schmach ein Ende hat. Die Schmach des Alterns und der Tattrigkeit. Die Schmach, die sagt: alles ist leer.

 

Nach diesen Tagen wurde seine Frau Elisabeth schwanger und hielt sich fünf Monate verborgen und sprach: So hat der HERR an mir getan in den Tagen, als er mich angesehen hat, um meine Schmach unter den Menschen von mir zu nehmen.

 

Brennt da noch was?

 

Ja, da brennt was. Ein Wort und ein Gott. Der brennt. Für Gerda, Zacharias und Elisabeth und für das Leben, das kommt.

 

 

 

1 Mo 6 und Mt 5,1 | 31. Oktober 2018 | Altenburg

9. Oktober 1989 „Heute schlagen wir sie auf!“

Der Bierfahrer hatte gerade seine wöchentliche Lieferung in den kleinen Konsum geschoben.

 

Karola stand wie erstarrt da. „Heute kriegen die alle ihr Fett endlich weg.“ Seit Wochen war alles im Aufruhr. Gestern die Demonstrationen in Dresden. Heute in Leipzig.

 

Karola schaute den Bierfahrer an. Sie sagte nichts dazu. Sie quittierte ihm die Lieferung. Dann fuhr er schon wieder davon.

 

„Ihr könnt euch nicht vorstellen, was da los ist.“ Die Nachbarin war eben gekommen. In Leipzig, schon am Nachmittag alles voller Menschen und Polizei. Fast kein Durchkommen sei gewesen.

 

Im Herzen zog es Karola dorthin. Aufstehen und einstehen, mit der Kerze in der Hand, dafür dass alles auch anders sein kann, in diesem abgeschlossenen Land.

Aber was wird dann aus den Kindern? Karola sah sich im Fernsehen die Bilder der Demonstration in Leipzig an. Haltet durch, hatte sie gedacht.

 

Da sah Gott, dass die Bosheit der Menschen auf Erden groß war

 

Jeder hat jedem misstraut. Jeder hat nur an seinem Haus gebaut.

Der Sozialismus ist gut, hat Karola immer lachend gesagt, er reicht eben nur nicht für alle.

 

Sie schaute mit den Kunden ins leere Regal. „Vielleicht in der nächsten Woche wieder.“

Vertrösten, konnte Karola gut.

 

Für ihre Witze war sie bekannt bei den Nachbarn und auch bei der Polizei. Ihr Name war auf einer Liste geführt, abzuführen im Spannungsfall. Vermerk: Aufrührerische Person.

 

Sie hatte den Satz des Bierfahrers noch im Ohr, als sie die Bilder im Fernsehen sah. Irgendwo wartet der jetzt auf seinen Befehl, dass er zuschlagen kann, wie der Staat es will. Aber Gott hat es anders gemacht.

 

Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Dieser Staat hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit Kerzen statt Waffen, mit Gebeten zu diesem Gott.

 

Was ist Mut, hat Karola gedacht? Reden von einem freien Land, auch wenn noch nichts zu sehen ist von Freiheit in diesem Land.

 

Der Neuanfang nach der Grenzöffnung war schwer gewesen. Nur weil eine Flagge weg war, war das Vertrauen noch nicht da. Der Schlick der Vergangenheit war mürbe und tief.

 

Ein Riss ging durch die Gesellschaft. Nur Konsumieren hielt alle zusammen.

Essen müsse alle, hat Karola gedacht und ein Restaurant aufgemacht.

Sie fragte nicht, wer da in ihre Gaststätte kam. Sie kochte ihr Bestes für alle.

 

29 Jahre nach jener Oktobernacht saß Karola in der Runden Ecke, im sogenannten Stasi-Museum in Leipzig und schaute sich einen Dokumentarfilm an über die Nacht vom 9. Oktober.

 

„Honeckers unheimlicher Plan“, der Film zeigte die Internierungslager, die umgebauten Schweineställe, die unendlich langen Listen mit Namen derer, die unverzüglich abzuführen seien im Fall aller Fälle.  

 

Was sie längst schon geahnt und vom Hörensagen kannte, jetzt sah sie es noch einmal vor Augen.

Dieses Land hatte alle ausspioniert, die irgendwie anders dachten. Jede Familie und jeden Hauseingang dokumentiert. Da und dort gibt es noch einen Hintereingang, im Spannungsfall ist auch der zu überwachen.

 

Minutiös war aufgeführt, was noch fehlte an Material für die umgebauten Internierungslager. 1 Kanister Ölfarbe, drei Ösen und Haken.  Von Betten, Tellern, Essbesteck war keine Rede gewesen.

 

Der Plan war durch und durch böse.

Wolltet ihr uns umbringen, hat Karola leise gedacht und wenn ja, hättet ihr das wirklich gemacht?

 

Da tat es Gott leid, die Menschen auf der Erde gemacht zu haben.

 

Ist es mutig, seine Feinde einfach abzuführen, in Ställe zu sperren wie irgendein Vieh? Eine solche Gesellschaft darf´s nicht geben.

Gibt es aber, immer wieder.

Wer heute in die Weltpolitik schaut, sieht Länder, in denen Menschen verfolgt und bedrängt  werden. Länder, in denen Menschen das Leben zur Hölle gemacht wird, weil sie anders reden und denken.

 

Ich will die Menschen wegwischen von der Erde. Hat Gott gesagt.

Eine andere Welt kommt erst danach. Das Böse soll keine Fortsetzung haben. Ich will dem Guten die Erde bereiten.

 

Das heißt manchmal auch, dass ein Land untergeht und mit ihm ein ganzes System.

 

Peter Miethe hat sich nach der Vorführung des Dokumentarfilms in der Runden Ecke aufs Podium gesetzt und sich dem Gespräch mit den Zuschauern gestellt. Er war einer der wenigen, die im Film überhaupt zu den Vorgängen von 1989 ausgesagt haben.

 

Und er meinte, wenn im Film, dann auch hier. Von Angesicht zu Angesicht. Lasst uns reden über das, was damals war.

Ich war dafür. Für dieses Land, meinte er. Ich habe gearbeitet für diesen Staat. Aber dieser Staat hat einen Fehler gemacht. Man hat gemerkt, da funktioniert etwas nicht mehr.

 

Die Dialogbereitschaft war einfach nicht mehr da. und das macht mir auch Sorge, mit Blick auf die Gegenwart, was wird, wenn einer dem anderen nicht mehr vertraut und man nicht miteinander reden kann?

 

So mancher im Publikum hat müde gelacht. Gerade der, der hat jetzt gut reden!

Aber mancher hat ihm auch dafür gedankt, dass er da war und überhaupt geredet hat.

 

Was ist Mut, hat Karola gedacht. Es ist mutig vom eigenen Scheitern zu erzählen, sich als Täter Jahre später vor die Opfer zu stellen und zu sagen: Ja, ich war da in jener Nacht, auf der anderen Seite, in Uniform. Ich habe da mitgemacht.

 

Es ist mutig, aus dem Scheitern etwas zu lernen und zu fragen: Was ist heute das System?

Und oft hilft nur noch Reden.

 

Ein Bausoldat stand auf und fragte Peter Miethe:

Wieviel Rente bekommen Sie? Und was, meinen Sie, wieviel Rente bekomme ich?

 

Ja, was ist fair? hat Karola gedacht. Und ob es Gerechtigkeit auf Erden gibt oder doch nur im himmlischen System.

 

Es gibt viele, die wollen keinen Neuanfang. Für die versinkt einer wie Peter Miethe immer im Schlick seiner eignen Vergangenheit, im Schlamm und im Grund seiner Schuld.

Es gibt viele, die pochen auf ihr Recht und die Erde wird dabei hart.

 

Was sagt Gott mit Blick auf unsere Schuld?

Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg, setzte sich und lehrte seine Jünger und sprach:

Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig, wer den Abgrund der Schuld bis zum Letzten gar nicht erst durchsucht, sondern Neues mit den Seinen sucht.

 

Wir bestehen nicht mit unseren Taten. Allein aus Gnade sind wir, was wir sind.

 

Lasst es gut sein, hat Karola gedacht.

Meine Akten will ich gar nicht erst sehen. Wer weiß, was ich dann alles lese darin und wer weiß schon, ob mich das glücklich macht? Und was wird dann besser davon?

 

Die Himmelsflut strömte auf die Erde 40 Tage lang. Es stiegen die Wasser und sie trugen den Kasten und er hob sich über die Erde.

 

Gott hat reinen Tisch gemacht. Er hat mit der Sintflut das große Wasser kommen lassen und alles darin ersäuft, was gequält hat.

 

Mit der Bosheit hat er Schluss gemacht. Mit dem Schlagabtausch und dem Wühlen in der Schuld. Selig, die damit zufrieden sind und sich tragen lassen von ihm. AMEN

 

 

 

Apg 12, 1-11 | 16. September 2018 | Altenburg

 

Paul war beliebt in der Stadt. Sein Kaufhaus am Ende des Marktes bot alles, was man brauchte: Kleider, Mäntel, Hüte.

Paul hatte ein großes Herz. Wenn die Weihnachtszeit kam, verschenkte er an die Kinder Kekse und Kakao. Wer nichts kaufen konnte, bekam trotzdem Kakao und Pauls Geschäft florierte.

 

Neid hatte es immer gegeben, der Paul Horbheimer, wie der das nur macht, da ist doch was faul.

Als Hitler in Deutschland die Macht ergriff, wurden die Stimmen immer lauter.

 

Die Juden nehmen uns die Geschäfte weg, die Juden haben das ganze Geld und wir Deutsche müssen sehen, wo wir bleiben.

Paul lachte. Er wusste ja, dass es nicht stimmt. Wenn seine Freunde sagten: wer weiß, wohin das führt, da beruhigte Paul sie und meinte: das geht vorbei. 

 

Aber es ging nicht vorbei. 1933 war das Jahr, an das er sich noch lang erinnern sollte, seit diesem Jahr ging die Hetze systematisch fort. Seine Söhne wurden in der Schule bespuckt.

Herr, Direktor, wie kann das sein?

 

Was wollen Sie? Hatte der Direktor gefragt, Sie können froh sein, dass ihre Söhne hier überhaupt noch unterrichtet werden.

Mehr hatte er nicht gesagt. Kein Schutz, kein Wort. Und außerdem, sagte er, wer kann beweisen, dass es so war?

 

Paul schwieg.

Und so ging es fort.

 

In der Nacht vom 9. auf den 10. November flogen Steine in sein Geschäft und mit blutroter Farbe hatte jemand Kauft nicht beim Juden auf die Wände geschmiert und Jude hau ab und verrecke!

 

Die Mäntel, die Kleider, alles lag in Haufen, zerwühlt und beschmutzt. Seine Kinder durften nicht mehr zur Schule gehen. Und Kinder, die er Jahre zuvor noch beschenkt hatte, spuckten jetzt vor ihm aus oder wechselten die Straßenseite, wenn er kam.

 

Was ist das, hatte er Fritz gefragt. Fritz, der Buchhändler von nebenan. Ein kluger, gebildeter Mann. Ich weiß es nicht, am besten wir tauchen ab, sagt meine Frau. Andersdenkende sind nicht erwünscht.

 

Eine Woche später hatten sie Fritz abgeholt. Selbstmord  in der Zelle stand auf dem Totenschein, aber Hilde, seine Frau wusste es besser.

Sie hatten ihr seine Sachen gebracht. Auch die Kleider, allesamt blutbeschmiert. So stirbt keiner, wenn er sich angeblich mit dem Laken in der Zelle erhängt.

Geh fort, Paul, sagte sie, solange du noch kannst. Nimm deine Kinder und flieh.

Karfreitag und alles wiederholt sich.

 

Heute sind es nicht die Juden, gegen die gehetzt wird, heute sind es Flüchtlinge, Muslime, Migranten.

Die Flüchtlinge nehmen uns alles weg, wegen ihnen trauen wir uns nicht mehr in die Stadt.

Kleinste Anlässe reichen und sofort wird die Wahrheit verdreht bis es passt. Da kann ein amtliches Gutachten tausendmal bestätigen, dass der Mann in Köthen an Herzversagen gestorben ist nach einem Streit, in Köthen rufen trotzdem Menschen: „Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt“ und natürlich sind die Asylsuchenden schuld am Tod des Deutschen.

 

Als Herodes Petrus gefangen nahm, hatte er zuvor Jakobus mit dem Schwert umgebracht. Jakobus hatte einen anderen Glauben als Herodes. Das genügte als Hinrichtungsgrund.

Herodes hat ihn mit dem Schwert hingerichtet. Jakobus hatte kein Schwert, nur einen anderen Glauben. Herodes hat ihn einfach hingerichtet, denn von einem Kampf wird nichts berichtet. Herodes hat ihn umgebracht und die Menge hat gejohlt: Endlich zeigt einer mal, wo es langgeht. Wir dulden hier keine Andersgläubigen. Wer nicht so lebt, wie wir, hat hier eben nichts zu suchen!

 

Zum bevorstehenden Passahfest wollte Herodes der Menge gleich das nächste Opfer präsentieren, Petrus - sozusagen als krönenden Abschluss des Festes, das an die Befreiung des Volkes Israel und den Auszug aus Ägypten erinnert.

 

Aber Gott hat nicht mitgemacht. Ich bin ein Gott, der ins Leben führt und nicht in den Tod. Gottes Boten waren schneller.

Und siehe, der Engel des HERRN kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Gürte dich, zieh deine Schuhe an, wirf deinen Mantel um, folge mir!

 

Manchmal braucht es Menschen, die dir das einfachste sagen. Menschen, die dich wachrütteln und sagen: Steh auf, nimm deine Kinder und geh, denn hier wartet auf euch nur der Tod.

 

Als Paul noch zögerte das Land zu verlassen, war es Hilde, die ihm ins Gewissen geredet hat. Genügt dir das nicht, fragte sie und zeigte ihm die blutigen Kleider ihres Mannes. Was für Beweise willst du noch? Den Mantel hatte Fritz bei ihm gekauft, jetzt lag er blutgetränkt vor ihm auf dem Tisch.

 

Ja, was brauche ich noch? Wenn sie Fritz schon einfach abholen, einen Deutschen, der kritisch über Hitler gesprochen hat, dann werden sie nicht ruhen, bis sie auch uns Juden alle umgebracht haben.  

 

Er schickte seine Kinder nach England; schloss die Wohnungstür hinter sich ab. Ja, auf was warte ich noch!?

Es kam ihm vor wie ein böser Traum. Er fuhr noch einmal durch die Straßen der Stadt, vorbei an den Wohnungen von Menschen, denen er Gutes getan hat.

 

Er fuhr in die Schweiz. Einkaufstour, hat er an der Grenze gesagt, die Grenzer kannten ihn von Jahr zu Jahr und fragten nicht lang nach.

Seine Flucht dauerte Jahre an. Erst Bern, danach Jerusalem, später ging er nach Amerika und holte seine Kinder nach.

 

Als Petrus zu sich gekommen war, sprach er, nun weiß ich, was für ein Gott das ist, an den das jüdische Volk eigentlich glaubt: Ein Gott, der Herodes vom Sockel stößt, der ins Leben führt und befreit.

 

1947 ist Paul noch einmal in seine Heimatstadt gekommen. Die ehemaligen Nachbarn schauten ihn ungläubig an. Paul Horbheimer, sind Sie es wirklich? Sie konnten nicht glauben, was sie sahen, was sie verschwiegen war der Satz: Wir dachten, Sie sind tot.

Er wusste, dass nicht alle Hitler nachgelaufen waren, viele hatten auch für ihn gebetet in der Nacht: Vater unser im Himmel, dein Reich komme!

Aber sie schauten ihn an, als könnte es gar nicht sein, dass Gott wirklich stärker ist als Hitler und der Tod und dass ein Mensch ihm entkommen kann.

 

Als Petrus sich besonnen hatte, ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes, wo viele beieinander waren und beteten.

Und als er vor ihrer Tür steht und anklopft und ruft, erkennt ihn die Magd an seiner Stimme. Sie freut sich und ruft die anderen ans Tor, stellt euch vor, unser Petrus ist da und lebt! Aber sie sagten ihr, du spinnst! Das kann gar nicht sein, dass er dem Herodes entkommen ist.

Der Glaube, man könne ja doch nichts tun gegen Tyrannen und Diktatoren, höchstens beten: Herr, dein Reich komme! - dieser Kleinglaube macht Typen wie Herodes erst so richtig groß und Andersdenkende klein.

 

Wenn Alexander Gauland in einem Interview mit der FAZ sagt, er will eine „friedliche Revolution“ im Zuge dessen er alle aus ihrer Verantwortung vertreiben will, die das System – gemeint ist die Regierung Angela Merkels – unterstützen, auch die Vertreter der Medien, dann muss man das als das bezeichnen, was es ist: die Ankündigung einer Säuberungsaktion und die Missachtung von Demokratie.

 

Und wenn Alexander Gauland eine solche Vertreibung Verantwortlicher und demokratisch gewählter Abgeordneter dann noch unter dem Begriff der friedlichen Revolution verpackt, zeigt das seinen Umgang mit historischen Fakten.

Unter friedlicher Revolution ist immer noch das Eintreten von Menschen im Jahr 1989 für die Pressefreiheit zu verstehen und nicht die Abschaffung einer freien Presse.

 

Gottes Boten rütteln wach. Sie sagen, was Sache ist.

Sie halten den Lügen die Fakten entgegen. Sie sehen Herodes als das, was er ist.

Und sie sind in dieser Finsternis so nötig wie das Licht, das den Raum hell macht, in dem Petrus lag.

Wahrheit sprengt alle Ketten. AMEN

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, der uns in die Freiheit führt. AMEN

 

 

 

Mt 5, 13-16 | 22. Juli 2018 | Garbisdorf

 

Ihr seid das Salz der Erde.

Wie oft hatte Hannes das schon gehört. Jahrelang im GKR, unterwegs für die Gemeinde. Bauanträge geschrieben und Geld ran geholt. Ihr seid das Salz der Erde.

 

Hannes konnte nicht mehr. Der Pfarrer war weg und es war gar nicht klar, wie es weitergeht in der Gemeinde. Was ist nun? Haben die Frauen ihn gefragt.

Das musst du doch wissen, du bist im GKR! Da saßen sie vor ihm beim Kaffeekranz und Hannes fand keine Antwort. Sprichst Du jetzt mit uns das Gebet?

 

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Ausgelaugt. So hat sich Hannes gefühlt. Soll er jetzt mit den Frauen auch noch beten?

Der Pfarrer – das war für ihn eine Lücke, die keiner schließt. Es war schön gewesen, all die Jahre mit ihm. Das Hau-ruck, ihr Lieben und los geht´s.

 

Einer sagte: wir könnten doch! Und Hannes war sofort zur Stelle. Kirchdach saniert und dann den Innenraum.

Was haben wir nicht alles gemacht, zusammen geschuftet, miteinander gelacht und dann die Abschlussrunden beim Bier.

Und jetzt die Leere. Wozu noch, hat Hannes sich gefragt.

Ihr seid das Salz der Erde,  hat Jesus gesagt. Brecht auf, geht weiter, fangt an!

 

Als Matthäus diese Worte aufgeschrieben hat, war Jesus nicht mehr da. Er war gestorben, begraben, auferstanden und aufgefahren in den Himmel. Matthäus sah Jesus nicht mehr.

Er saß nicht mehr mit ihm beim Abendbrot. Er hatte nur noch die Erinnerung, sein Wort.

War es das nun, haben ihn die Leute gefragt, als sie Jesus am Kreuz hängen sahen.

Und ob das jetzt alles sinnlos war, dieses Umherziehen und dieses Wandern mit ihm, dieses Hoffen, Beten und Singen?

 

Matthäus hatte lange überlegt. Den Feinden vergeben, sie an den Essenstisch holen, Kranke besuchen, Gefangene auch… Sollten wir das jetzt vielleicht tun?

Und was ist, wenn wir´s bleiben lassen?

 

Ihr seid das Salz dieser Erde. Wenn das Salz nicht mehr salzt, womit soll man noch salzen. Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.

Weitermachen oder untergehen; in Bedeutungslosigkeit versinken.

 

Ich glaube nicht, dass Matthäus nach Jesu Tod gleich aufgestanden und losgerannt ist und weiterlebte, was Jesus tat. Ich glaube, auch er war verzweifelt, hat geweint. Er hat die Lücke gespürt und mit sich gehadert und gerungen. Vielleicht war er auch wütend auf die Einsamkeit, die jedes Fortgehen hinterlässt.

Aber eines Tages hat Matthäus erkannt: Genau so hat Jesus das gemeint: Wir sind Gottes Kinder in dieser Welt. Auf uns kommt´s jetzt an und was wir geben können, das ist genug.

Matthäus hat sich hingesetzt und alles aufgeschrieben, woran er sich noch erinnert hat. Er hat sich den Staub von der Seele gewischt.

 

Ihr seid das Licht der Welt.

Jesus. Eine Erinnerung und ein Neuanfang.

 

Was ist Kirche und wo fängt sie an? Im Gemeinderaum, im Kirchendachbau oder dort, wo wir weiterleben, was Jesus tat?

Eure Vorfahren haben euch auch eine Erinnerung mitgegeben.

Sie haben euch vor Augen gemalt, was Kirche ist:

Kranke besuchen, Arme und Nackte bekleiden, mit Fürwitz in dieser Welt jede Widrigkeit bestehen und in allem, das Gute ansehen.

Für Fremde aufstehen und ihnen ein Obdach bereiten.

 

Eure Vorfahren haben euch das an die Emporen gemalt, die Werke der Barmherzigkeit. Das was Jesus lebte und was Gott mit uns macht.

Ihr seid das Salz dieser Welt.

 

Es sind keine Pfarrer dort dargestellt, keine Menschen im Talar oder mit Heiligenschein, sondern Menschen in Alltagskluft. Das traut Gott jedem zu: Priestertum aller Gläubigen. Losgehen und Hungrige speisen und den Kranken die Hand auftun.

 

Eines Tages hat Hannes seinen Mut zusammengekratzt und ist losgegangen. Er hat ein paar Blumen aus seinem Garten mitgenommen und seine alte Nachbarin besucht.

 

Die alte Nelly war auf der rechten Seite gelähmt. Die lag seit Jahren nur noch im Bett.

Er hat lange mit ihr gesprochen. Was im Dorf so los ist und wie es ihr geht.

Das ist aber schön, dass du kommst, hat sie gesagt. Bleib´ doch noch, haben ihre Augen gesagt.

Aber so viel Elend konnte Hannes nicht lange ertragen.

 

Der Pfarrer könnte jetzt beten, hat Hannes bei sich gedacht.

Hannes konnte das nicht.

 

Es ist leichter Balken auszuwechseln, als zu beten. Weils da kein Wort für das Unfassbare braucht, nur Zollstock, Erfahrung und Balken, hat Hannes auf dem Heimweg gedacht. 

Es ist leichter, der Nelly eine Suppe zu kochen, als mit ihr zu singen: Großer Gott, wir loben dich. Nellys Lieblingslied.

 

Was ist, wenn wir immer darauf warten, dass einer kommt, der sagt: lasst uns beten! Und wenn wir das allein gar nicht können? Dann wird der Himmel ganz zu.

 

Matthäus hat sich lange gesträubt, ich bin doch nicht Jesus, hat er sich gesagt. Aber wer wenn nicht ihr, hat Jesus gefragt?

Eines Tages hat sich Matthäus hingesetzt und mit seinen Freunden gebetet: Vater unser im Himmel so wie es Jesus einst tat.

Er hat den Sterbenden die Hand aufgelegt und seine Freunde den Sterbenden auch.

Er hat das Brot gebrochen, wie Jesus am letzten Tag und sich erinnert, was Jesus dazu sagt: teilt es mit Feinden und Freunden.

Menschen wie Matthäus haben wir es zu verdanken, dass es Kirche noch gibt. Ein Ort, an dem Gott mit uns spricht.

 

Hannes hat sich lange gesträubt.

Ich geh doch nicht los und besuch Kranke. Das hat früher immer der Pfarrer gemacht.

Sollen wir das jetzt auch noch tun? Wo kommen wir denn hin, wenn das jeder macht?

Ins Reich Gottes, hat Jesus gesagt.

 

Hannes ist losgegangen und hat Nelly besucht.

Als Nelly im Sterben lag.

Vater unser im Himmel – hat Nelly gesagt. Und Hannes hat leise mit eingestimmt, in die Verse, die er wusste und kannte

Er saß neben ihr und da ist es passiert. Ein Glaube wie zur allerersten Stunde.

Ihr seid das Salz der Erde. Das Licht dieser Welt.

Und in Hannes hat alles gebrannt.

 

 

Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

Lk 15,1-3.11b-32 | 17. Juni 2018 | Altenburg

 

 

Die jährlichen Klassentreffen hatte Gunter immer gemieden. Sein Leben war anders verlaufen. Das Land, für das er gearbeitet hatte, gab es nicht mehr.

 

Er hatte sich an einen Staat gehängt, an seine DDR. Er hatte geglaubt, was die Führungsriege sagt und was in der Verfassung steht und für sie spioniert.

 

Und nun lag die Einladung auf seinem Tisch. Wie lang ist das jetzt her? Konfirmation.

 

Vor Jahren lag schon mal eine auf dem Tisch. Da ist er nicht hingegangen. Aber jetzt. Jetzt war er allein. Das Land, an das er geglaubt hatte, gab es nicht mehr.

 

Die Stadt hieß noch wie früher, aber in ihr war nichts mehr, wie es früher einmal war und Gunter mochte sich nicht mehr.

 

Nicht für die Nachrichten, die er gesammelt hat und nicht für das, was er anderen angetan hat. Heimat, wo ist die, hat sich Gunter gefragt.

 

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen – dieses Wort hatte über der Kirchentür gestanden.

 

Jetzt also: Klassentreffen und Jubelkonfirmation. Er war nie ausgetreten. Lassen Sie mal, hieß es damals, das kann uns doch alles noch nützen.

 

Was werden sie sagen, wenn ich vor ihnen stehe und was kann ich ihnen sagen: Es tut mir leid, dass ich euch verraten hab. Es war sinnlos, was ich gemacht habe. Verzeiht ihr mir? Ob das reicht?

 

Kommt her, hat eine Stimme gesagt. alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.

 

Die Glocken hatten schon geläutet. Gunter stand am Rand des Marktes und traute sich nun nicht hinein. Was werden sie zu mir sagen?

 

Ich komme, hatte dem Pfarrer geschrieben. Ein kleines Kreuz auf einer Antwortkarte. Aber jetzt sah er sie lachend vor der Kirche stehen und traute sich nicht hinein.

 

Wie schön wäre das, wenn jetzt einer käme und sagt: Herzlich willkommen. Aber es kam keiner.

 

Als Max ihn am Straßenrand stehen sah, hat er nur gedacht: Was macht der denn hier?

 

Der traut sich ja was, hierher zu kommen. Na, bespitzelst du uns wieder? Fast hätte er es laut gerufen.

 

Gunter sah seinen wütenden Blick. Das Misstrauen, die Enttäuschung, jahrelang. Ja, du hast Recht, dachte er.

 

Zu schwer war die Zeit und zu groß die Tat. Gunter blieb, wo er war.

 

Wenn er jetzt käme, einer, der dir sanft die Hand auf die Schulter legt und sagt: Komm, jetzt ist gut. Ach wie schön wäre das.

 

Aber es kam keiner. Max stand da und Gunter stand dort. Die Klasse von einst zog in die Kirche ein, die Schar, die noch übrig war.

 

Das ist auch die Kirche meiner Mutter. Dachte Gunter und schlich hinein. Saß ganz hinten in der Bank. Den Rücken krumm.

 

Ja, es gibt keinen Neuanfang, weil ich die Zeit nicht zurückdrehen kann und nichts ungeschehen machen kann.

 

Und dann rief der Pfarrer seinen Namen.

 

Das kann ja wohl nicht wahr sein, habe alle gedacht, dass der hierher kommt, als wäre nie was gewesen.

 

Hat uns alle gemeldet, wenn wir zur Kirche gingen. Und jetzt einfach das!

 

Ohne ein: Es tut mir leid! Und dann bekommt er das gleiche Wort: Geht hin, gesegnet sollt ihr sein!?

 

Trinkt vom gleichen Wein, isst vom gleichen Brot, mein Gott, kann das denn sein?

 

Max tobte innerlich. Er rutschte auf seinem Platz hin und her. Wegen dem habe ich damals nicht studiert.

 

Ach wie schön wäre das, wenn jetzt einer käme und sagt: Es ist gut, Max, du hast meinen Segen gehabt. Mein Wort, mein Brot, meinen Wein allezeit. Sei fröhlich und hab guten Mut.

 

Als der Pfarrer Gunter ein zweites Mal rief, hat Gunter nur noch geweint.

 

Weil er wusste, wie es ist, verloren zu sein und wie es sich anfühlt, wenn einer sagt: Gunter, du bist mein!

 

Ein Wort wie ein Mantel, der sich um alles Vergangene legt und dir sagt: Willkommen, und jetzt fang neu an!

 

Max konnte all das nicht fassen. Dass der Pfarrer auch ihn beim Namen ruft.

 

Wer ist verloren? Liebe Gemeinde, wer ist verloren?

 

Keiner ist verloren, sagt Gott.

 

Er sagt es und breitet die Arme aus, noch bevor der Sohn sagen kann: Es tut mir leid. Der Vater hat ihn längst erwartet.  Gott wartet auf uns, auf jeden.

 

Wer aufbricht, wird Fehler machen. Wer aufbricht, der kann hoffen.  

 

Gunter hat sich an die Bürger eines Landes gehängt und am Ende aus dem Schweinetrog gegessen.

 

Er hat alles verspielt, das wichtigste: die Freunde der Jugend, das ganze Vertrauen, aber Gott sagt: Willkommen, gut, dass du kommst. Ich habe auf dich schon gewartet und er deckt seinen Tisch für Gunter und Max. Für alle deckt er seinen Tisch.

 

Halten wir diese Liebe aus?

 

Was sagen wir, wenn jene neben uns sitzen, die uns im Stich gelassen haben?

 

Was sage ich einem, der an mir schuldig geworden ist? Vater unser im Himmel...das geht immer so leicht von den Lippen, auch die Zeile mit der Vergebung…

 

Was sagen wir oder lassen wir Gott für uns sprechen?

 

Du hast mein Wort allezeit gehabt, hat Gott zu Max gesagt.

 

Du bist allezeit bei mir gewesen, mein Sohn, alles, was mein ist, ist auch dein. Du solltest fröhlich sein.

 

Denn dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.

 

Gottes Kirchentür steht für alle offen. Nicht für alles, aber für alle. Und unser Herz, das auch?

 

Ja, euer Herz hoffentlich auch.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

Off 21,6 | 10. Juni 2018 | Ronneburg

 

Da stand er, der Siggi. Nach 41 Dienstjahren. Der Konzern hatte zu seiner Verabschiedung eingeladen.

41 Jahre. Im Unternehmen war Siggi Legende. Was hatte der nicht alles begleitet, umstrukturiert, mitgemacht.

Erst: Elektrotechnik, dann Stahlbau, am Ende: Schrott. Verwertungsindustrie. Aus Wertlosen Dingen wertvolles ziehen. Siggi konnte das.

Siggi stand vor der Belegschaft und sagte: Danke. Danke für all die Jahre. Für euer Vertrauen, für die Reisen, die ich in eurem Auftrag machen konnte.

 

Von den Beschwernissen will ich nicht reden. Siggi verschwieg die harten Gespräche, das Ringen in den Kürzungswellen.

Er schwieg von dem Streit im Betriebsrat und von den Worten, die dort für ihn fielen, von den Drohungen am Telefon und von den aufgeschlitzten Reifen.

 

Siggi sprach nicht von der Wüstenzeit. Wie er damals einsam am Schreibtisch saß und entscheiden musste, was nun gilt: mehr oder weniger Personal und am Ende die Frage: Wer geht?

Es kostete ihn schlaflose Nächte. Noch heute sah er die Männer vor sich sitzen, denen er sagen musste: Du nicht. Leitung, ein hartes Brot.

Er konnte ihre Wut verstehen und musste trotzdem handeln.

 

Er hat nach einer Lösung gesucht für die, die bleiben und für die, die gehen. Rente, vorzeitiger Ruhestand? Nicht jeder hat ihm das gedankt.

Und nun, seine Verabschiedung. Was war da alles, was ließ er zurück?

Danke, hat der Siggi nur gesagt. Danke für die guten Jahre und für euer Vertrauen. Siggi hat AMEN gesagt.

 

Siehe, ich bin das A und O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle, umsonst, von der Quelle des Lebens, umsonst.

 

Wenn ich die Gewissheit nicht gehabt hätte, dass mich einer trägt, hätte ich all das nicht geschafft, hat Siggi mal gesagt.

Da war es Nacht gewesen, sein Kollege stand neben ihm. Woher nimmst du die Kraft, hatte er gefragt.

Wenn ich mir nicht immer wieder gesagt hätte: Einer, der mich wollte, hat Ja gesagt, dann hätte mich das mürbe gemacht. Die zerschlitzten Reifen, die bitteren Gespräche.

Ich bin getauft. Ich will, dass du lebst. Einer hat das zu mir gesagt.

 

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle lebendigen Wassers umsonst.

In Ronneburg ist nichts umsonst. Wenn Sie im Supermarkt einkaufen, hat alles seinen Preis, auch die vermeintlichen Schnäppchen.

Hier zu wohnen hat seinen Preis. Miete oder Grundsteuer. Nichts in dieser Welt ist umsonst.

 

Das Wasser, das wir trinken, hat seinen Preis und das Brot, das wir essen. Selbst die Kerzen hier auf dem Altar. Alles hat seinen Preis.

Aber Gott sagt: das gebe ich Dir umsonst! Mein Ja. Ich will dich. Ich liebe dich.

Ja, ich will, dass du lebst. Das schenke ich dir. Umsonst.

 

Als in Siggis Firma in den 90ern alles den Bach runter ging und keiner wusste, wohin es geht, hat seine Frau ihn verlassen.

Der drohende Konkurs, vielleicht Arbeitslosigkeit – ein letzter Stein hat die Trennung ins Rollen gebracht.

Siggi, du kriegst eben nix hin. Der Satz hing still in der Luft.

 

Damals kam alles raus. Was Siggi konnte und was nicht. Wer er für sie war und was nicht. Was Sehnsucht und was Liebe ist - kam alles ans Tageslicht.

Liebe, sagt Siggi, ist umsonst.

Liebe schaut nicht auf Konten und drohenden Konkurs.

Liebe macht Wangen rot, lässt Herzen glühen, sagt ganz klar Ja oder Nein. Mit dir will ich und mit dir eben nicht.

Liebe stellt andren kein Bein. Sie hilft auf und ist bedingungslos. Liebe sagt nicht: Wenn du das nicht machst, aber dann.

 

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des Lebens. Umsonst.

 

Siggi hat sein Leben geschafft. Sein Arbeitsleben, auch die wüste Zeit. Er war durstig und hat Leben gefunden an ganz anderen Stellen als gedacht.

Ich dachte immer, du stehst zu mir!? hat er zu seiner Frau gesagt. Da stand sie vor ihm mit gepacktem Koffer.

Ich stehe zu dir, hat Gott ihm gesagt.

Ganz deutlich hat er das gesagt.

 

Im Betrieb hat keiner was gewusst. Siggi hat seine Arbeit gemacht und ganz leise Amen gesagt.

Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers, umsonst. 

 

Und Du? Was brauchst Du?

Was schenkst Du, bedingungslos, ohne Wenn und Aber, ganz umsonst?

Deine Liebe?

Deine Lieder? Die schönste Musik?

Und was nimmst Du an, ganz umsonst?

 

Meinen Glauben sieht keiner, hat Siggi mal gesagt. Aber jeder sieht, was es mit mir macht, dass einer mich beschenkt und ich´s mir gefallen lasse.

Und ich denke oft, wie großartig das ist:

Dieses große Ja, in das mich Gott taucht.  

Staunend stand Siggi da und sagte einfach nur: Danke.

 

Und wir? Wir auch?

Ihr hoffentlich auch, sagt Gott. Taucht uns ein in sein Ja, lebendiges Wasser, umsonst. AMEN.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.

 

 

 

1 Petr 1,16 | 30. Mai 2018 | Meuselwitz

 

Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen. Ich glaube an die Gemeinschaft der Männer und Frauen, die das Ende sehen und das Neue wagen.

 

Ich glaube an die Mutigen, an die Menschen, die beten für die Welt und nach dem Unmöglichen fragen.

 

Ich glaube an die Heiligen in Dorf und Stadt, die Kirchtürme bauen in der Hoffnung, dass die Kirche bleibt, was sie immer war: Herberge und Trostspendeort.

 

Ich glaube an die Heiligen. An die Frauen, die Altartücher waschen und Blumen hinstellen, damit Sonntag ist, wenn Gott kommt.

 

An die Mütter, die Kuchen backen fürs Kinderfest. An die Alten, die den Kindern von Gott erzählen und mit ihnen nach Jesus fragen.

Ich glaube an die Heiligen, an Menschen, die in Gremien arbeiten und endlose Sitzungen ertragen, die es aushalten, die Dinge sachlich bis zum Ende zu diskutieren und nach dem Nutzen fragen:

warum und wozu wollen wir Kirche sein und für wen werden wir etwas wagen?

 

Ich glaube an die Menschen, die Gemeindezentren zu Orten umbauen, wo die Witwen einkehren mit ihrer Einsamkeit und Kinder mit ihren Freunden zum Spiel. An Menschen, die sagen: Wir wollen Kirche sein, Helfer für die andren im Ort.

 

Ich glaube an die Mutigen, die den Zahlen zum Trotz von Gott erzählen, dessen Güte so weit reicht wie die Wolken überm Land.

Dessen Reich nicht mit einem Pfarramt beginnt und im Pfarrbüro auch nicht endet.

 

Ich glaube an die Heiligen, an Menschen, die begeistert losgehen und Pfarrhöfe sanieren, wo vorher Ruinen waren.

 

Ich glaube an die Heiligen, An die Männer und Frauen, die sonntags vor Nachbarn in der Kirche stehen und sagen: Jetzt feiern wir. Kommt, lasst uns singen und beten.

Ich glaube an die Fröhlichen, die Woche für Woche singen im Chor, für den, der keine Stimme mehr hat. Die am Grab stehen und singen: Harre, des Herrn und Bleib da mit deiner Gnade, mein Gott.

 

Ich glaube an die Menschen, die Sonntag für Sonntag die Orgel spielen, damit keiner allein bleibt mit dem hohen Fis in Wir pflügen und wir streuen.

 

Ich glaube an die Heiligen, die in Pflegeheime gehen und den Sterbenden die Hände auflegen. An Menschen, die sich das trauen und sich sorgen, wie´s dem Nachbar geht.

 

Ich glaube an die Sanftmütigen, die im Streit einfach die Ruhe bewahren, im Strukturausschuss überlegen, wie es geht: Wer könnte wo von uns tätig sein? Ich glaube, an Menschen, die das Ende sehen und dann nach dem Neuen fragen.

 

Ich glaube an die Heiligen, an Menschen in Haupt- und Ehrenamt, die ihre Grenzen anerkennen und sagen: Nein, das lass ich sein. Alles kann ich nicht. Alles, das kann nur Gott.

 

Ich glaube an die Männer und Frauen, die Pate stehen für Kinder, die noch nichts wissen von Gott, und für Flüchtlinge, die unser Land nicht kennen und die sagen: Komm mit, siehe dort!

 

Ich glaube an die Friedfertigen, die gelassen auf die Zeichen der Zeit reagieren, weil sie wissen, diese Kirche lebt nicht vom Geld, sie lebt von meinem Gebet. Von meinem Hören und Fragen nach Dir, nach dem Himmel, nach unserem Gott.

 

Ich glaube an die Männer und Frauen, die jetzt alleine zu Haus sind, die jetzt an uns denken und vielleicht für uns beten

 

Und ich glaube an die, die noch Fragen stellen: Kirche 2030 - wie kann das sein und wo werde ich ein Baustein sein in dem Reich, das Gott mit uns baut?

 

Ihr sollt heilig sein, hat Gott gesagt, und ihr seid es, ihr Männer und Frauen, mit eurem Leben, euren Gaben im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. AMEN

 

 

 

 

 

Jer 31,31-34 und Joh 15 | 13. Mai 2018 | Altenburg

 

 Von Anfang an war Ecki ein Sonnenscheinkind.

Als er auf die Welt kam, war es bitterkalt. Aber Ecki lachte. Er hatte es warm.

 

Mit 5 hatte er nur Streiche im Kopf und jedes Foto hat ihn lachend gezeigt. Ecki hieß eigentlich Eckhart.

Ihr sollt meine Zeugen sein.

 

Ecki käme es nie in den Sinn, sich als Zeuge Jesu Christi zu bezeichnen.

In der Kirche war er regelmäßig nur als Konfirmand. Das gehörte sich so. Das hat die Mutter gewollt.

Und Ecki hat es einfach gemacht.

Schadet ja auch nix, hat er später gesagt. Bisschen Hoffnung, Ordnung und Sitten.

 

Danach kam die Freundin, seine spätere Frau und er hat den Kirchgang an sie delegiert.

Sonntags geht meine Frau. Weihnachten, Ostern, das war okay.

 

Aber den Rest der Zeit saß er sonntags in der Bar. Die hatte er selbst gebaut.

Mit Freunden ein Bier trinken, schauen, was geht.

 

Ecki liebte Gesellschaft, seine Arbeit, Haus und Hof.

Rumschrauben an Autos und an Maschinen bauen. Er war Schlosser und züchtete Tauben im Hof.

 

Er hielt sich Rinder, Hühner und ein Schwein. So muss das Leben sein.

Seine Kinder wuchsen da hinein.

 

Mit Ende 40 hat er seinen Sohn verloren.

Seinen Jungen, der alles mit ihm aufgebaut hat: Taubenzucht und Schweinestall, Werkstatt, Metallbetrieb, Hof.

Mit Ende 40 hat er ihn verloren. Wo kommt das her, wo geht das hin? Dieses wunderbare Leben?

 

Ecki hat einen Tag, eine Nacht lang geweint.

Abseits, damit keiner die Tränen sieht. Im Schweinestall hat er gesessen.

 

Und auch ihr sollt meine Zeugen sein, sagt Jesus Christus und zeigt auf ihn, ihr Sonnenkinder, auch wenn ihr weint.

 

Letztes Jahr ist Ecki siebzig geworden. Die Rinder hat er verkauft.

Die Werkstatt auch. Wenn es nicht geht, dann geht’s eben nicht mehr.

 

In die Arbeit muss er nicht mehr. Rentner sein, ein lustiges Ding.

Samstags sitzt er mit Freunden in der Bar.

Beim Bier kann er mit ihnen schweigen und erzählen und nach Stunden plötzlich sagen:

jetzt ist Schluss. Macht´s gut, bis nächste Woche, ab nach Haus. Aber für mich geht´s jetzt nach Haus.

 

Seine Hüften sind kaputt, die Arbeit halt.

Ecki hat sich trotzdem ein Motorrad gekauft, diesmal eines mit Beiwagen, zur Ausfahrt mit seiner Frau.

 

Und wenn die nicht will, wird das abgeschraubt. Rauf auf die Karre und Freunde besucht.

Schulkameraden von einst. Und was machst du so, wie geht’s dir denn? Was hast du dir als Rentner noch vorgenommen?

Ecki schaute immer nach vorn.

 

Und ihr sollt meine Zeugen sein, sagt Jesus Christus, fährt gen Himmel, entschwebt.

Lässt Menschen mit einer Verheißung zurück: Ihr werdet mein Zeugnis sein:

Für Lebensmut und Heiterkeit. Eine Kraft, die mit andren auch schweigt.

 

Meine Tante, die gar nicht in der Kirche ist, hat mir mal gesagt:

Ihr Christen müsstet mit Krisen doch anders umgehen können, als zu weinen und zu streiten, wenn es hart auf hart kommt.

Ihr könntet doch nun wirklich gelassener sein, wenn das stimmt, was ihr da glaubt. Ihr habt doch keinen Grund zu verbittern.

Ihr Wort hat mir zu denken gegeben.

 

Was bezeuge ich mit meinem Leben? Einen Gott, der alles hinschmeißt,

wenn´s anders kommt oder einen, der sagt: Siehe, es kommt die Zeit, da will ich einen neuen Bund mit dir schließen?

 

Was für einen Gott bezeugen wir, wenn wir am Grab stehen und hadern mit dem Tod?

Wenn wir uns streiten übers Erbe, als wäre das alles, woran das Leben hängt? Aktien, Auto, Hof.

 

Was bezeuge ich, wenn ich mich vor andere stell und sage: Erkenn erstmal Gott!

Du hast da wirklich was falsch gemacht!

 

Ecki hat mir nie etwas von Gott erzählt, keinen Bibelspruch und kein kluges Gebet.

Er hat sich immer wieder ins Leben gestürzt und mir damit von einem Gott erzählt, der das Leben liebt bis zum Schluss.

Manchmal hab ich gedacht: woher nimmt er die Kraft?

 

Jeden Tag wieder aufstehen, sein Tagewerk vollbringen, als wäre alles voll von leichter Musik.

Wie schafft der das? Nimmt der Pillen oder Drogen, eine Medizin?

Oder ist das seine pragmatische Art. Nicht zu brechen, wenn ein Traum zerbricht?

Ecki hätte da nur still gelacht.

 

In meiner Erinnerung lacht er immer. Ich seh ihn auch, wie er im Schweinestall sitzt, damals in der Todesnacht.

Wie er dort sitzt und Gott mit ihm schweigt.

 

Und ich sehe ihn, wie er sich aufs Motorrad schwingt.

Er hatte sich im Alter eine Hitsche gebaut, damit er auf sein Motorrad kommt und losbrausen kann quer durchs Land.

 

Von Ecki hab ich gelernt, was Hoffnung ist und wie das ist,

wenn Gott dir in dein Herz hineinschreibt: Siehe, es kommt die Zeit.

 

Und wenn ich richtig am Boden bin, dann denk ich an Ecki zurück.

Was hätte der wohl jetzt getan? Ihr werdet meine Zeugen sein.

 

Jesus hat das seinen Freunden gesagt, kurz bevor er verschwand.

Ecki ist nicht mehr. Ich kann nicht mehr zu ihm hingehen und klingeln.

Aber ich ahne, was Jesus meinte, als er seinen Freunden sagte: Ihr seid nicht allein, wenn ich gehe.

 

Ich weiß, wie das ist, wenn der Tröster kommt und mich Eckis Lebensfreude packt.

Ihr werdet meine Zeugen sein. Ich lasse euch nicht allein.

Der Tröster wird kommen, den ich euch senden werde. Der Geist der Wahrheit.

 

Ein Geist, der im Dunkeln das Licht anmacht und sich aufs Motorrad schwingt

und Freunde besucht, auch mit Hüftschaden, wenn es sein muss.

 

Hin und wieder denk ich, es wäre schön, wenn man irgendwas machen könnte,

damit man selber immer so viel Kraft und Hoffnung hat. Egal, was kommt.

 

Ratgeberliteratur gibt es ja genug. Medikamente, die glücklich machen, auch.

Aber Gott sagt: es soll nicht durch Heer oder Kraft geschehen, sondern durch meinen heiligen Geist.

 

Ecki hat immer gesagt: Die schönsten Dinge im Leben kann man sich eben nur schenken lassen

und er hätte dabei an seine Frau gedacht.

 

Gott selbst wird es machen.

Er wird kommen und uns die Hände füllen und wir werden dastehen und uns beschenken lassen.

Das ist schön und dann ist Pfingsten. AMEN

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

 

 

 

BWV 131 | 30. März 2018 | Altenburg

 

 

I

Aus der Tiefe rufe ich zu dir, Herr, erhöre meine Stimme.

Jesus rief aus der Tiefe am Kreuz. Aus der Einsamkeit: Herr, hast du ihn erhört?

Hast du ihn erhört, als er rief: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Hast du Mireille Knoll erhört, als sie in Paris nach dir gerufen hat? Gott, wo warst du als die alte Dame starb, weil sie Jüdin ist?

Sitzt du auf deinen Ohren, Gott?

Im Krankenhaus rufen Menschen nach Dir, sie rufen ganz leise mit Verzweiflung, mit Wut.

Sie fragen: Warum, gerade ich? Was soll das? Wo bist du mit deiner Macht, warum hältst du das Sterben nicht auf?

Die Eltern der Kinder in Kemerowo rufen auch nach dir: Sie fragen, warum ist dieser Brand passiert? Warum hat keiner die Rettung alarmiert?

Aus der Tiefe, Herr, rufe ich zu dir, Herr, erhöre meine Stimme, mein Gott, denn bei dir ist Vergebung.

Auf dich hofft mein Herz, bei Tag und bei Nacht mehr als die Wächter auf den Morgen.

Ich hoffe, dass Gott rettet und kommt. Aber Gott hängt selber hilflos  am Kreuz. Er blutet, hat Wunden und stirbt.

 

II

In meiner Heimatkirche, in Großstechau, hängt ein lebensgroßer Jesus am Kreuz.

Er ist aus Holz und rosafarben angemalt. Er hat eine gewaltige Dornenkrone auf dem Haupt und aus der Wunde in seinem Leib tritt Blut, wie es scheint.

Jeder, der in die Kirche kam, musste an diesem Jesus vorbei. Als Kind bin schnell vorbei gerannt. Ab in die sichere Bank.

Dieser Jesus hat mir Angst gemacht und ich dachte: warum nimmt den keiner ab? Was soll das, dass der dort winters wie sommers hängt, so nackig und blutend am Kreuz?

Und ich weiß noch, wie es für manche Kinder eine Mutprobe war: wer wagt es, ganz nah ans Kreuz zu gehen?

Ja, wer wagt es, Jesu Wunden zu berühren?

Ich habe diesen Jesus als Kind nicht berührt, aber er hat mich mit seinen Wunden berührt.

 

III

Ich finde Gott, nicht nur dort, wo alles blüht und alles lacht, nicht nur in der frühlingshaften Welt, wo die Sonne für uns scheint.

Dieses Kreuz sagt mir: ich finde ihn auch dort, wo alles weint und einer stirbt.  Und je älter ich werde, desto lieber ist mir dieses Kreuz. Denn ich glaube, am Kreuz führt kein Weg vorbei.

Gottes Allmacht heißt nicht, dass er das Sterben aufhält, er geht voraus, dort, wo wir uns fürchten.

Gott fühlt den Schmerz. Im Abgrund, in der Tiefe des Grunds, weil er selbst hinabstieg ins Totenreich.

Dort ist er, wo unsere Toten sind und alle, die in diesem Moment sterben.

Inmitten der Finsternis, wo kein Arzt helfen kann, wo alles schreit und weint.

 

Er ist bei denen, die im Krankenhaus am Fenster stehen und ihr Leben an sich vorüberziehen sehen. Er weiß, wie es ist, festgenagelt zu sein. Diagnose: Lebensende und aus.

Ich glaube, dass er auch in Kemerowo ist, bei den Eltern, die jetzt fragen: warum?

Jesus hat diese Tiefe erlebt. Und keine Rettung kam: nur ein Vater, der still um ihn weint.

 

IV

Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, Herr, erhöre meine Stimme.

Als Johann Sebastian Bach diese Kantate 1707 in Mühlhausen geschrieben hat, da war Sommer gewesen. Die Welt hat gestrahlt.

Und dennoch war Grund zu sagen: Herr, wir sind ganz tief unten. Wir wissen nicht weiter, wir können nicht mehr. Erhöre doch unsre Stimme.

Es gibt Forscher, die sagen, es hat damals eine Brandkatastrophe gegeben. Es gab Opfer und viele Fragen: Wie konnte das passieren und wer ist schuld?

Der Pfarrer Christian Eilmar bestellte damals eine Trostmusik bei Johann Sebastian Bach.

Er wusste: alles Schuld hin- und herwälzen hilft uns nicht weiter; manchmal bleibt nur ein Bußruf, ein Schrei, ein Gebet, ein Wort in den blauen Himmel.

Herr, ich harre auf dich.

 

 

V

Ausharren. In der Krise warten auf Gott.

Warten, dass der Glaube wächst: Ich glaube, du bist da.

Du kennst die Tiefe meiner Wunden.

Und die Opfer und die Täter und die Schuld.

Du lotest die Tiefe mit uns aus.

Und du führst uns aus dem Ende heraus, weil du aufstehst und lebst mit deinen Wunden. AMEN.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Joh 3,14-15 | 20. März 2018 | Nöbdenitz

 

 

 

Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse. Was für ein Glück! Gott ist keiner, der mich knechtet. Er ist einer, der mir dient. Ein Wort wie Frühlingsluft. 

 

Endlich mal einer, der kein Sklaventreiber ist. Jesus will nicht über mich bestimmen. Er will dienen. 

Er ist nicht der große Zampano, der mir sagt, was ich tun soll. Vor ihm kann ich aufrecht stehen bleiben. 

 

Menschen, die über mich bestimmen wollen, gibt es genug. Leute, die mich auf einen Sockel stellen und das Heil der Welt von mir erwarten. Menschen, die mich vom Sockel stoßen, wenn ich etwas anders mache, als gewünscht. 

 

Solche Leute rufen heute "Hosianna!" und morgen "Kreuzigt sie!" Solche Menschen tun mir nicht gut. Sie sehen nicht mich, sondern das, was sie haben wollen. 

Jesus ist anders. Er ist da und setzt sich zu mir. Er deckt mir den Tisch. Er will reden. Zuhören, vielleicht auch schweigen, wenn kein Wort mehr hilft. 

 

Und er gibt mir Wein und Brot. Brot, das mich stärkt und Wein, der berauscht. Er will mich glücklich sehen.

Seine Art da zu sein setzt ein Fragezeichen hinter alles Machtgehabe, auch hinter alles Duckmäusertum. 

Jesus lässt mich lachen über Leute, die sich aufspielen - mich heute in den Himmel heben und morgen niedermachen. 

Jesus hebt mich nicht hoch. Aber er macht mich auch nicht nieder. Für ihn bin ich einfach nur ich: Kristin Jahn. Ein Mensch. Nicht mehr und nicht weniger. Ich finde, das ist sehr viel. 

 

Ich fühle mich wohl bei Menschen, bei denen ich ich selber sein kann. 

Ob Menschen in Jesu Fußspuren unterwegs sind, sehe ich daran, wie sie andere erheben oder niedermachen.

 

 

Leben auf Augenhöhe. Das war Jesu Ding. Bekommen wir das hin? Im Gegenüber nur den Menschen sehen, keinen Halbgott, auch kein Ungetüm?

 

Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um sein Leben hinzugeben für eine Erlösung von vielen. 

Wie letzteres gehen soll, verstehe ich nicht. Das mit der Erlösung übersteigt meinen Verstand. Aber ich verstehe, warum Jesus mir dienen will, weil er mich liebt: als Mensch, als sein Gegenüber. 

 

 

 

 

Willkür statt Bürokratie?                                                                                       9. Februar 2018 | Andacht

 

 

9. Februar 1534. In Münster wird von Jan Matthys das Täuferreich errichtet. Stadtteile, die sich den Gedanken der Reformation angeschlossen hatten, griffen zur Durchsetzung ihrer Glaubensansichten fortan zu offener Gewalt.

 

Handwerkerverbände, sogenannte Gilden, hatten sich drei Jahre zuvor zusammengeschlossen zu einer evangelischen Vereinigung. Als ihr beliebter Prediger, Bernd Rothmann, vom zuständigen, katholischen Domkapitel abgesetzt wurde, wollten sie sich das nicht gefallen lassen und sorgten dafür, dass alle Stadtkirchen von evangelischen Predigern besetzt wurden. Sie bestimmten fortan auch das religiöse und politische Leben der Stadt. Sie ordneten Gütergemeinschaft an nach dem Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde.

 

Das alles liest sich heute wie ein böses Märchen aus alter Zeit, ist aber leider gar nicht so weit entfernt von dem, wie wir miteinander umgehen. Auch wir sind nicht gefeit, in Kirchengemeinden, Stadträten und Co. das, was wir für richtig halten, auf Gedeih und Verderb durchzudrücken.

 

Wer darf was entscheiden? Wie wird was entschieden, dafür gibt es in unserem Land so etwas wie Bürokratie, Rechte und Gesetze, sei es in der Kirche oder im Stadtrat, die solche Willkür verhindern und das ist gut. Durch Bürokratie ist festgelegt, was wie geregelt und entschieden wird. Wenn man sich streitet, dann über diesen Weg, aber nicht über auf diesem Weg gefasste Beschlüsse.

 

 

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Ich kann mit ihm das, was trennt, überwinden. Aber mit meinem Gott kann ich nicht alles tun. Das Täuferreich zu Münster ist ein blutiges Beispiel für einen Glauben, der die Gesetze und Vorschriften der Welt nicht akzeptiert und eigene Vorlieben absolut gesetzt hat. Es ist ein Beispiel für einen Glauben, der fundamentalistisch geworden ist und allen anderen vorgeschrieben hat, wie man zu leben hat. Unser Miteinander in den Orten braucht keinen Fundamentalismus, sondern das Gespräch über das, was uns trennt und das Anerkennen von Gesetzen und Regeln.

 

 

 

Jes 9,1-6 | 24. Dezember 2017 | St. Bartholomäi zu Altenburg

 

 

Umbruchszeit. Uns ist ein Kind geboren.

Für Jesaja war nichts mehr wie es einmal war.

Die Hälfte seines Landes besetzt.

Die Hälfte der Freunde unter Fremdherrschaft. Die Assyrer hatten den König besiegt. Die Einheit des Landes zerbrochen.

Was wird das noch werden? dachte er.

Wird das noch was? Und wenn ja, mein Gott, was!?

Jesaja in der Umbruchszeit.

 

Und das Volk, das im Finstern wandelt.

Ein Volk, das sich plötzlich fremdgesteuert fühlt. Die Regierung da oben, die muss sofort weg. Jesajas Freunde haben von einer harten Hand geträumt, von einem, der kommt und alles macht.

Auch wir kennen solche Sätze. Auch in Altenburg fühlen sich viele fremd im eigenen Land und so mancher fragt sich, was wird aus dem Land?

Wird das noch was? Und wenn ja, mein Gott, was?

Leben und Umbruchszeit.

 

Es gibt Menschen, die rufen nach einer starken Hand. Nach Klarheit und Ordnung im Schengen-Raum. Nach Abschiebung von Fremden und einem sicheren Zaun.

Es gibt Menschen, die sehen nur schwarz für dieses Land und malen die Zukunft finster.

Jesaja aber sieht ein Licht. Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Begreift ihr es das nicht? Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter!

 

Ach, ein Kind, sagte Herr P., das gibt Hoffnung. Die Kinder werden es hoffentlich mal besser machen.

Die werden richten, was jetzt im Argen liegt, dachte Herr P und ließ die Enkel spielen. Sie tobten im Garten, wenn er die Hecke schnitt.

 

Die Kinder werden gar nichts richten, meint Jesaja, nur weil sie unsere Kinder sind. Die werden gar nichts besser machen, wenn wir ihnen nicht zeigen, wie es geht.

Uns ist ein Kind geboren, kein Baby mit Speck, das auf wundersame Weise alles richten wird, uns ist einer geboren, ein Mensch, ein Mann,

der sich endlich als Kind Gottes versteht, der zupackt und nicht wartet auf die bessere Welt, der eintritt für das, was er liebt. Frieden, Recht und Gerechtigkeit.

Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.

 

Auf der Schulter ruht sie, wie die Hand, die Herr M. abends auf die Schultern seiner Kinder legte, wenn er Abschied nahm, dann macht´s mal gut, meine Kinder!

Der Abschied fiel ihm immer schwer. Die Kinder, beide zum Studium so weit weg. Aber so war das nun mal. Und er wollte sie nicht fesseln und binden.

Sie sollten ihre eigenen Wege gehen, er selbst hatte es ihnen vorgelebt: engagiert, mutig, jederzeit bereit - zum Aufbruch in eine neue Zeit und wenn es sein muss auch in ein fremdes Land

und nicht warten, bis es ein anderer die Arbeit macht, sondern schauen, was man selber beitragen kann, damit es vorwärts geht in der Stadt.

Also macht´s gut, meine Kinder.

 

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Sanftmut ist sein Name.

Nicht Ausgrenzung und Schmach.

Sein Land ist offen für Menschen jeder Nation, weil er weiß, dass wir alle nur Gäste sind, Gäste auf Erden. Gast in der Welt.

Er wird Kind des Höchsten genannt. Er trägt Sorge für alles. 

Ein demütiger Mann. Einer, der weiß, alles ist nur anvertraut. Menschen, Herzen, Schöpfung. Welt.

 

Kind des Höchsten hat man ihn genannt.

Schon blöd, dachte Herr P. als er die Enkel toben hörte im Keller. Alles muss man selber machen. Von alleine kommen sie nicht drauf, mal mitzuhelfen im Garten. Rauchen und lungern im Keller rum.

Hören den ganzen Tag Musik, als wenn es nichts anderes gibt.

Schön blöd, dachte Jesaja. Einander nicht zu zeigen, was man liebt und selbiges doch zu erwarten.

Ein Sohn ist uns gegeben, die Welt ruht auf ihm.

Wer, wenn nicht wir, sollte den Kinder zeigen, wie es geht?

Lernen Ich zu sagen.

 

Ich bin das Licht der Welt.

Lernen Ich zu sagen, wenn ich Frieden will.

Ich zu sagen, wenn ich Gerechtigkeit will und aufhören, bei der Steuererklärung immer Fehler zu machen.

Lernen Ich zu sagen, wenn ich Liebe will und den Satz vor dem Partner wieder üben in der Nacht: Ich liebe dich, aber das und das auch nicht.

 

Lernen Ich zu sagen, ich bin das Licht der Welt. Bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

 

Jesus war der erste Mensch, der Ich gesagt hat.

Der erste, der alles konsequent vorgelebt hat, was er von anderen erwartet hat.  

 

Brot teilen und nicht warten auf Gerechtigkeit.

Lieben, statt von Liebe zu träumen und von Erlösung in der Welt.

Ohne Geld in der Tasche auf Reise gehen. Fühlen, wie das ist, wenn man draußen steht. Flüchtling sein, anstatt über Flüchtlinge herzuziehen.

Lernen Ich zu sagen und den ersten Schritt zum Besten wagen.

 

Felix fällt das Ich sagen schwer. Im Supermarkt kann er das wunderbar. Ich will das und das sofort haben.

Aber in der Schule fällt Felix das Ich sagen schwer. In welcher Welt will ich leben? Wer will ich sein und was will ich für die anderen sein? Das war elende schwer.

 

Für Karim aus Afghanistan reichte das Blatt Papier nie aus. In so einer Welt will ich leben, das will ich tun und wenn ich groß bin zurück in die Heimat gehen und aufbauen, was zerstört worden ist. Karim hat Licht gesehen.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.

 

Jesaja hat die Augen aufgemacht. In welcher Welt will ich leben?

Uns ist ein Kind geboren. 

Weihnachtszeit und Umbruchszeit.

 

Gott kommt als Mensch zur Welt. Jesaja hat das erkannt. Was er sagte, war auch eine harte Kritik an den Tyrannen seiner Zeit, was er sagte, war Erinnerung: an den Auftrag des Menschen in der Welt.

 

Mit uns Menschen fängt Gottes Welt an. 

 

Wenn Sie heute Abend vor dem Spiegel stehen, sehen Sie ihn, auch wenn sie vielleicht schon weinselig und müde sind.

Wenn Sie heute Abend in den Spiegel sehen, dann sehen Sie den Wunder-Rat, Gott-Held, den Friede-Fürst. Den auserkorenen Mann, der Frieden bringen kann.

 

Wenn Sie vor dem Spiegel stehen, sehen Sie sich, Gottes Ebenbild. Das neugeborene Kind. Den Menschen, von dem Jesaja sagt, er wird kommen zum Wohl dieser Welt.

Sie werden sehen, was Jesaja und Jesus sah:

 

Das Wohl dieser Stadt, liegt mit in meiner Hand und Gott sagt: Viel Freude daran und fürchtet euch nicht, geht und macht´s gut, meine Kinder!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir erkennen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

Abendmahlsandacht zum Mitarbeiterkonvent                                                1. Kön 19, 5-8 | 13. Dezember 2017 | St. Bartholomäi zu Altenburg

 

 

Und Elia legte sich in und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser.

 

Ordinationsvorbehalt

Wir hüten den Traum vom Wasser in der Wüste, vom gerösteten Brot. Und wir wachen die Nacht, die das Harte erweicht, die ruft: Iss, trink und steh auf!

Ordinationsvorbehalt.

 

„Die Heilige Schrift ist Quelle und Richtschnur eures Auftrags. Das Bekenntnis der Kirche und das Gespräch mit den Schwestern und Brüdern werden euch im Glauben stärken und euch helfen, das Wort Gottes heute recht zu verkündigen. Nehmt dankbar an, dass die Gemeinde eure Verkündigung an der Heiligen Schrift prüft und euch mit Zuspruch, Rat und Mahnung hilft.

 

Achtet die Ordnungen unserer Kirche. Wahrt die seelsorgerliche Schweigepflicht und das Beichtgeheimnis. Helft den Menschen, im Glauben dankbar zu leben und getröstet zu sterben. Gebt keinen verloren. Tretet vor Gott und vor den Menschen für alle ein, die euren Beistand brauchen. Nehmt selbst Seelsorge in Anspruch und vertraut euch im Gebet Gott an. Verhaltet euch so, dass euer Zeugnis nicht unglaubwürdig wird.“

 

Für P war das schon eine Weile her, dass er die Worte gehört hatte. Damals hatte er gesagt: Ja, mit Gottes Hilfe. Jetzt fühlte er sich oft wie in der Wüste. Das Gespräch mit den Schwestern und Brüdern im Amt. Lang war das her,

 

Weißt du, wie machst du das eigentlich? Die Frage hat er lange nicht mehr gestellt.

Schon lang keinem mehr davon erzählt, was ihn quält und ihn bewegt.

 

Noch zehn Jahre bis zur Rente. Was tun, wenn Arbeit müde macht? Eine Tagreise in der Wüste. Und ein Prophet, der amtsmüde wird.

 

„Selig sind die Beene, die vorm Altar stehn alleene.“ Früher hat er darüber gelacht, heute lebt er das. Zurückgelehnt, am Wacholderbaum. Elia in der Wüste.

 

Achtet die Ordnungen der Kirche. Was ist das eigentlich? Die Ordnung der Kirche. Seit Jahren kam immer mehr dazu. Die Menschen immer weiter weg. Wer bin ich eigentlich noch?

 

Helft den Menschen, im Glauben dankbar zu leben und getröstet zu sterben. Einmal hatte er dazu ja gesagt, Ja, mit Gottes Hilfe! Denn das war sein Traum, Menschen beistehen von der Wiege bis ans Sterbebett. Und am Grab sagen: Iss und steh auf!

 

Gebt keinen verloren. Auch euch selber nicht. Ordinationsvorbehalt.

 

Gebt euch nicht zufrieden mit denen, die kommen. Sondern geht hin in alle Welt!

Wenn ja, wie müsste Kirche dann sein? Wild und zornig und unbeugsam? Mit brennendem Herzen? Oder sanft wie ein Engel in der Nacht? Den Müden die Hand auf die Schulter gelegt und geflüstert: Iss und steh auf?

 

Tretet vor Gott für alle ein. Wir sind Botschafter an Christi statt, wer wenn nicht ihr, sollte es sein, der dem Müden an die Schulter fasst und sagt: steh wieder auf!

 

80-90 % Nichtchristen. Ich sorge mich um die Zukunft der Kirche nicht. Arbeit hat Gott uns vor die Füße gelegt. Arbeit, mehr als genug.

Und wir haben unsere Schätze. Breitet sie aus: ein Wort, Sakramente, Gebet.

 

Die Müden sitzen nicht nur im Krankenhaus, nicht nur zu Hause im Frauenkreis, nicht nur in der Schule, in Reih und Glied. Die Müden sitzen manchmal auch hier im Konvent.

 

P fühlte sich, wie aus dem Nest gefallen. Zurückfinden in die Gemeinschaft. Ein langer Weg.

 

Konvent war für ihn ein Pflichttermin. Das Gespräch mit den anderen – zu lang nicht gewagt. Was ist, wenn wir nicht füreinander sorgen?

 

Nehmt selbst Seelsorge in Anspruch und vertraut euch im Gebet Gott an. Ordinationsvorbehalt.

 

Beten. Und mit leeren Händen vor einem anderen stehen und sagen: schau dir das mal an, was mich bewegt – das  ist kein Manko, sondern Größe.

 

Verhaltet euch so, dass euer Zeugnis nicht unglaubwürdig wird. Menschen sehen es mir an, ob ich mit leeren Händen dastehen kann. Botschafter an Christi statt sein und Engel meinen Tisch decken lassen.

 

Bei eurem Dienst steht ihr in der Gemeinschaft aller, die in der Kirche mitarbeiten, und werdet begleitet von der Fürbitte der Gemeinde. Ordinationsvorbehalt.

 

Ich bete für Sie, hatte die alte Dame zu P. gesagt, ganz unvermittelt, nach dem Gottesdienst. Da war er so abgespult.  Und sie hatte die Hand auf seinen Arm gelegt.

 

P hat innegehalten und zu Hause geweint. Ja, Herr! Eine sieht, wie es mir geht.

 

Fürbitte heißt, jemandem einen Engel an die Seite wünschen. Einen, der ihn stärkt und bewegt.

Als Elia gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Manchmal braucht es lange, bis die Seele wieder laufen lernt, das Gespräch in der Wüste wagt.

 

Und der Engel der HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an. Auf Gott ist Verlass, er lässt nicht nach, auch wenn wir uns wieder schlafen legen.

 

Und der Engel sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.

 

Der Weg ist schön und weit. Zu Menschen gehen, die in der Wüste sind und die noch nichts wissen von Gott und Gebet.

 

Der Weg zu Gott ist lang und weit und vielfältig, bunt, wie die Menschen es sind, sein Ebenbild in der Welt.

 

Botschafter sein an Christi statt. Menschen begleiten auf ihrem Weg, Engel inmitten der Wüste sein und sagen: iss und steh auf!

 

Und Elia  stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte lang bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

 

Wir hüten den Traum vom Wasser in der Wüste, vom gerösteten Brot.

Und wir hören nicht auf uns zu sehnen und sehen einen Stern über dem Stall und wir folgen dem Traum und wir hören das Wort und fürchten uns nicht: Komm, iss und steh auf! Ordinationsvorbehalt.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alles, was wir begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.

 

 

 

 

Volkstrauertag | 19. November 2017 | Altenburg

 

 

Frieden beginnt am Küchentisch. Völkerverständigung auch.

Und Krieg beginnt am Küchentisch, Völkerfeindschaften auch.

 

Froschfresser, Hammelesser. Vorurteil.

Frieden beginnt am Küchentisch. Kriegstreiberei auch.

Die Geschichte mahnt uns: Bedenkt, was ihr sagt. Am Stammtisch, auf Arbeit, zu Haus.

 

Mit welchen Menschen sitze ich am Tisch? Wen lade ich zu mir nach Haus?

 

Vor 5 Monaten war ich mit Freunden eingeladen bei Nour.

Nour, komischer Name habe ich gedacht. Aus Syrien war er gekommen.

Sein Name heißt so viel wie Licht. Was ist das für ein wundersames Land, in denen Eltern ihren Kindern solch einen Namen geben? 

 

Baklava und syrische Spezialitäten hat er uns gemacht.

Zum drei-Gänge-Menü sollten wir bleiben.

Frieden beginnt am Küchentisch. Völkerverständigung auch.

 

Und das, was uns trennt, beginnt auch dort.

Das Denken in der Kategorie: schlecht oder gut.

Schimpfwörter: Froschfresser, Hammelesser, Vorurteil.

Abwertende Worte. Nur meine Suppe schmeckt dann gut.

 

Die Kriege der Vergangenheit warnen mich, nur mein eigenes Süppchen zu kochen.

Und jedes Vorurteil sagt mir: sei auf der Hut. Vielleicht schmeckt auch Baklava gut?!

 

Tischgemeinschaften brauchen Menschen, die im Angesicht des Todes und der Kriege einladen,

gemeinsam das Leben zu feiern.

Frieden braucht Menschen, die sich gemeinsam an einen Tisch setzen und über das reden, was trennt.  

 

Christen glauben an einen Gott, der alle zu sich ruft, an seinen Tisch.

Wie christlich unser Abendland ist, können wir an unseren Tischgemeinschaften ermessen.

An den Gesprächen, die wir pflegen, an den Gemeinschaften, die wir erleben.

Mit wem setze ich mich an einem Tisch?

 

Mein Großvater saß mit Franzosen am Tisch. Im zweiten Weltkrieg ist das gewesen.

Er war Angreifer. Er war Kriegsgefangener.

 

Er hat mir immer erzählt, wie wenig es gab.

Die ganze Woche über hat die Bäuerin ein Huhn im Topf gehabt.

Sechs Tage Suppe und sonntags mit Fleisch.

 

Er war Kriegsgefangener und saß mit an ihrem Tisch.

Er hat einen Platz bekommen. Ihm ist Gnade widerfahren.

Güte, die er nicht verdient.

 

Was er erlebte, hat mein Leben verändert,

mein Denken über ein fremdes Land,

mein Reden über Vergebung und Schuld.

Mit wem setze ich mich an einen Tisch?

 

Die Kriege der Welt und ihre Toten mahnen mich: suche den Frieden, setz kein Vorurteil in die Luft.

 

Redet über das, was euch trennt und verschieden ist und feiert das Leben, das ihr habt. 

 

 

 

Einführungsgottesdienst in das Amt der Superintendentin des Kirchenkreises Altenburger Land                                                                       2. Mo 3,1-14 | 15. Oktober 2017 | St. Bartholomäi zu Altenburg

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus. AMEN

 

Und Mose hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters und er trieb sie an den Berg Gottes.

Mose im Dienst. Für andere.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Pfarrerin und einer Pastorin, hat mich letzte Woche ein Verkäufer gefragt und ich sagte: Pfarrerin, das kommt von Pfarrer und da steckt noch das alte Wort: Pfarrherr drin und Pastorin kommt aus dem Lateinischen, und meint so viel wie Hirte, Seelsorger, Hüter sein. Und dreimal dürfen Sie raten, was mir mehr am Herzen liegt, sagte ich zu dem älteren Mann.

Und der meinte: ganz gewiss, Seelsorgerin sein. Und er lachte und ich mit ihm.

 

Und Mose hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters.

Hüten, was mir nicht gehört.

Viele von Ihnen hüten, was anderen gehört. Manche von Ihnen hüten Kirchen und schließen sie auf: Räume zwischen Himmel und Erde.

Manche hüten über Risse im Haushaltsloch und sorgen sich, dass alles bezahlbar bleibt in Regierung, Land und Stadt. Manche hüten über Kinder und Kranke, über Flüchtlinge und andere hüten Gottes Wort.

Sie alle hüten, was Ihnen nicht gehört. Und Mose hütete die Schafe Jitros.

 

Wenn Menschen vergessen, das Leben zu hüten, das ihnen anvertraut ist, dann ist die Katastrophe oft groß.

Wenn Menschen sich im Amt als Herren aufführen, wenn das, was sie  bewahren sollen, zur persönlichen Verfügungsmasse wird, dann ist das Unglück groß, dann droht das Leben in einer Diktatur. In Gemeinde, Verwaltung, Land und Stadt.

Die Diktatur zur Zeit des Mose hieß Pharao. Nagen an den Fleischtöpfen Ägyptens.

Leben in der Diktatur, wo das Brötchen für einen Groschen zu haben ist, aber einer ansagt, was richtig ist und alle machen mit.

 

Wir kennen das. 28 Jahre ist es her. Einer sagt an, was Sache ist und die Masse geht hinterher.

1989 wollten das viele nicht mehr. Sie wollten nicht mehr, dass einer für alle den Weg vorgibt.

 

Viele von uns haben Freiheit gewollt, Freiheit und Veränderung, das Recht mitzubestimmen, wohin die Reise geht.

Pioniere wollten keine Pioniere mehr sein, die auf Anordnung im Stadtpark das Laub fegen gehen, sie wollten bestimmen, wo die Bäume stehen.

Menschen wollten sagen, was sie denken und fühlen, ohne dafür ins Gefängnis zu gehen.

Freiheit. Dafür sind wir 1989 auf die Straße gegangen. Dafür habt ihr die Fleischtöpfe Ägyptens verlassen. Das billige Brot und den FDGB-Ferienplatz. Die scheinbar geordnete Welt.

 

Heute herrscht wieder vielerorts Unzufriedenheit. Die Bundestagswahlen haben das gezeigt. Der Ruf nach Ordnung und einer starken Hand ist nicht weit. Der Auszug aus Ägypten, aus der Diktatur, ist kein Einzug in eine heile Welt.

Gott schenkt uns eben kein Paradies. Aber er verheißt uns ein weites, offenes Land und er sagt: Steh auf, bring dich ein! Es soll Freude und nicht Angst bei euch sein!

 

Manchmal ist es ja leichter, einem Leithammel hinterher zu laufen und zu sagen: Liebe Politiker, macht ihr mal. Lieber Pharao, regiere doch du, dann können wir in der Not auf dich schimpfen.

Manchmal ist es leichter, auf die Regierung, den Stadtrat, den OB wütend zu sein, als aufzustehen und selber Wege ins Bessere zu ebnen.

 

Der Weg ins gelobte Land ist weit. Es ist ein Weg, der Arbeit macht und uns alle in Verantwortung ruft:

So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk aus Ägypten führst. Aber Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich das kann?

 

Sollten das nicht lieber andere tun? Das ist eine kindlich, bequeme Frage. Drücken gilt nicht, sagt Gott.

Geh hin zum Pharao und sag ihm, dass mein Volk nicht länger bei ihm bleibt.

Denn ich hab euer Elend gesehen und bin herniedergefahren, dass ich euch herausführe aus der Not.

 

Gottes Wort, eine Flamme, ein Feuer im Busch, eine Stimme, die uns im Dunkeln sagt: Ich will nicht, dass ihr im Elend bleibt. Sein Wunsch: es werde gut!

 

Es gehört ganz schön viel Mut dazu, vor die Herren der Welt zu treten und zu sagen, es reicht.

Ihr alle habt diesen Mut gehabt, als ihr 1989 aufgebrochen seid, manche von euch mit Kerzen in der Hand. Ein Licht, das sagt: es reicht.

Und heute gehört ganz viel Mut dazu, die Kerzen nicht wieder aus der Hand zu legen, die Hände nicht zur Faust zu ballen, wenn nicht alles wie geplant läuft.

Die Welt ist im Umbruch. Das macht Angst. Und die Flüchtlingskrise vor der wir stehen, ist die Rückseite des Reichtums in der Welt.

 

Manchmal ist der Pharao kein Regent, kein Staat und kein Erich Honecker, manchmal ist das, was bedrückt ein Gefühl, das Gefühl, dass keiner mich sieht.

Und manchmal ist der Pharao mein blinder Fleck. Ich erkenne nicht, was noch möglich ist, damit es für alle besser läuft.

 

Du siehst mich. Unter diesem Motto haben wir in diesem Jahr den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin und Wittenberg gefeiert.

Du siehst mich. Du hast ein Auge auf mich. Mein Leben ist Dir nicht egal.

Haben wir einander im Blick? Oder sehe ich nur, was ich gerade brauch?

 

Diktatur beginnt mit meinem eingeschränkten Blick. Wenn nur noch gilt, was ich will und brauch, dann ist die Diktatur nicht mehr weit.

Das Schönste, was wir einander schenken können, ist ein Blick, ein Wort, ein offenes Ohr.

In einer Zeit, in der sich viele nicht mehr gesehen fühlen, hat Kirche viel zu tun. In einer Zeit, in der wir in den Medien und sozialen Netzwerken immer gnadenloser miteinander umgehen, hat Kirche ganz viel zu tun.

Wir alle haben viel zu tun, hüten und bewahren: nicht nur Kirchengebäude, sondern Menschen, egal, wer sie sind und woher sie kommen.

Hüter meines Nächsten sein, nicht gleich der ganzen Welt, aber wenigstens meines Nächsten. Des Menschen, der gerade vor mir steht.

Leben hüten und bewahren. Das ist unser aller Würde und Amt. Priestertum aller Gläubigen hat Martin Luther das mal genannt, weil Gott jeden von uns in die Verantwortung ruft, Fürsprecher des Schwachen zu sein. Er ruft jeden, nicht nur den Pfarrer oder Mose:

Ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk aus Ägypten führst.

 

Aufstehen gegen das, was Menschen bedrückt und hüten, was mir anvertraut ist.

Ich weiß nicht, ob ich gleich alles kann, was mir mein neues Amt abfordern wird, aber ich glaube, dass Gott mir helfen wird meinen Mund für andre aufzutun und zu reden von dem, der im Dunkeln spricht als Flamme, die keinen verzehrt.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

Abschiedsgottesdienst                                                                                         Jes 40,1-11 | 17. September 2017 | Stadtkirche Wittenberg

 

Als ich im Januar 2012 hier meinen ersten Gottesdienst gefeiert habe, gab es hinterher einen Empfang im Katharinensaal und als alle Grußworte zu Ende waren, war ich an der Reihe.

Ich bin ich ans Mikro getreten und habe gesagt: Ich fühl mich wie Alice im Wunderland. Als würde ich einen Raum betreten, den es eigentlich nur in Büchern gibt.

Denn Wittenberg war für mich bis dahin nur ein Ort gewesen, der in Geschichtsbüchern steht, der Ort, wo Martin Luther seine Thesen veröffentlicht hat, 

und es war der Ort meiner Ausbildung am Predigerseminar gewesen, ein Ort des Lernens und Reflektierens darüber, wie Kirche und Pfarramt ganz praktisch geht.

und dann ist es mein Arbeitsort geworden.

Es gab Kollegen, die haben mich nach meiner Entsendung in diese Stadt immer ehrfurchtsvoll angeschaut, als würde man dadurch ein besserer Mensch werden oder ein besonders wichtiger Theologe.

Staunend sagten Kollegen zu mir: Du darfst in Wittenberg predigen, auf Martin Luthers Kanzel stehen?

Luthers Kanzel steht im Museum, habe ich dann immer gesagt. Ich habe diesen Tanz ums Goldene Kalb der Lutherkanzel nie verstanden.

Denn egal, auf welcher Kanzel ein Pfarrer steht, es geht immer um Menschen und um Gottes Wort. Tröstet, tröstet mein Volk. Redet mit Jerusalem freundlich.

Natürlich ist Wittenberg ein besonderer Ort, weil sich hier so viel Geschichte ereignet hat. Geschichte, die unsere Welt verändert hat und bis heute nachwirkt in unserer Kultur

und Wittenberg und diese Kirche sind voller historischer Schätze.

Aber der Schatz der Kirche besteht nicht in Steinen, in Silber und Gold. Nicht Luthers Kanzel oder Cranachs Werken.

Der größte Schatz der Kirche ist Gottes Wort, das Fleisch geworden ist im Menschen.

Der größte Schatz an diesem Ort seid ihr. Der größte Schatz für mich, seid ihr gewesen: Menschen, mit denen ich beten, singen und das Leben feiern konnte.

Menschen, mit denen ich am Taufstein und an Gräbern stand, mit denen ich Gottes Wort nachgespürt hab an der Elbe, auf dem Wasser, auf der Laufstrecke, auf dem Rad.

Das war für mich der größte Schatz, und keine Kanzel und kein goldlackiertes Bild kommt dagegen an.

Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Jerusalem freundlich

Dass wir in dieser Kirche in einem Weltkulturerbe sitzen, ist kulturgeschichtlich wertvoll und interessant, aber mit Blick auf Gott ist all das nichtig und vergänglich, wie die Baumaßnahmen aller Jubeljahre uns beweisen.

Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, sagt Jesaja. Kirchengebäude werden baufällig, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. Das ist für mich das Wunder der Welt.

Tröstet, tröstet mein Volk. Redet mit Jerusalem freundlich. Darauf kommt es an und das macht Kirche vor Ort aus. Dass wir uns unserem Nächsten zuwenden, ein gutes Wort füreinander haben.

Wir haben dieses Jahr in Wittenberg einen einzigartigen Sommer erlebt. Weltausstellung in Wittenberg. Reformationssommer.

Was ist Reformation? Diese Frage hat uns über den ganzen Sommer hinweg bewegt. Es wurden Geschichtsbücher gewälzt und auf Kongressen die Folgen von 1517 analysiert.

Kirchen aus aller Welt haben sich und ihre Arbeitsbereiche präsentiert. Aber die Frage bleibt: Was ist Reformation? Und wie bekommen wir das wieder hin, eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern?

Eine Kirche, die nicht in alten Strukturen stecken bleibt, sondern sich stark macht für Menschen. Eine Kirche, der es nicht egal ist, ob jemand getröstet lebt und stirbt - Wie bekommen wir das hin?

Reformation heißt für mich - Mich meinem Nächsten zuwenden und wissen: aus der Nummer komm ich auch nicht heraus, dass ich mit verantwortlich bin, wie die Welt funktioniert, was vor Ort läuft und was nicht. Freiheit eines Christenmenschen.

Tröstet, Tröstet mein Volk. Redet mit Jerusalem freundlich.

Als Martin Luther vor 500 Jahren hier seine Thesen veröffentlich hat, da hat er das nicht mit Blick auf die Geschichtsbücher getan, um große Worte zu machen und berühmt zu werden, auch nicht, weil er dem Papst mal zeigen wollte, wo der Hammer hängt oder weil er meinte, eine weltbedeutende Botschaft zu haben.

Er hat seine Thesen veröffentlicht, weil er gesehen hat, dass Menschen ausgeschlossen sind von der Feier des Lebens, vom Gottesdienst durch eine Sprache, die sie nicht verstehen, durch Dogmen, Ablässe, Angst.

Redet mit Jerusalem freundlich. Sagt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.

Menschen auf ihre Freiheit hinweisen, du bist mehr als das, was du kannst. Menschen auf ihre Freiheit und Verantwortung hinweisen, das ist unser Job. Das ist nicht nur der Job des Pfarrers, sondern unser aller Amt und Würde. Mich meinem Nächsten zuwenden, egal woher er kommt.

Und das geht nur von Mensch zu Mensch. Im Gespräch. Dazu muss man Beziehungen knüpfen.

Das ist manchmal mühsam, das macht Arbeit, das geschieht oft Verborgenen, in der Stille, und auch dort, wo es stinkt. Das ist nicht immer publicityträchtig. Aber das ist unser aller Job. Redet mit Jerusalem freundlich.

Das sind Dinge, die keine Statistik abbilden kann. Gespräche, die uns bewegen, wie die zahllosen Gespräche in diesem Sommer, die noch nachwirken, wenn alle Zelte längst abgebaut sind. Reformation im Herzen.

Tröstet, tröstet mein Volk und redet mit Jerusalem freundlich.

Hin und wieder wird mit Blick auf die Mitgliedszahlen der Kirche gesagt: wie soll das nur weitergehen, wir werden immer weniger. Ich mache mir um die Zukunft der Kirche keine Sorgen.

Wo Kirche ihren Auftrag erfüllt, wo sich einer dem anderen zuwendet, da geht Kirche nicht unter.

Da zeigt sich inmitten der vergänglichen Welt, das was uns trägt und was bleibt.

Wenn ich im Pflegeheim Gottesdienst gefeiert habe und vor Menschen stand, die wussten: ich komme hier nicht mehr heraus.

Das ist der letzte Ort, an dem ich wohne und meine Gebrechen, die gehen nie mehr weg – da habe ich immer gedacht, mein Gott, was ist das groß, dass wir im Angesicht der Vergänglichkeit auf etwas bauen dürfen, das bleibt.

Dass wir von einem Gott erzählen dürfen, der die Schmerzen kennt und mit an Gräbern steht. Ein Gott, der da ist und bleibt.

Reformation. Mich meinem Nächsten zuwenden vor Gott. Abseits des Blitzlichtgewitters. Tröstet, tröstet mein Volk.

Das ist banal, kann man sagen, das macht keine Schlagzeilen, das verkauft sich nicht. Aber so ist das nun einmal mit einem offenen Ohr und einem erlösenden Wort.

Ich glaube, dass Kirche heute in der Versuchung steht, im lauten Trubel mithalten zu wollen und dieses unspektakuläre Dasein für meinen Nächsten oft hinten runter fällt.

Und vielleicht steht eine Gemeinde wie Wittenberg in der doppelten Versuchung vor lauter Festgottesdiensten und Zeremonien das Eigentliche zu vergessen: mich meinem Nächsten zuwenden. Tröstet mein Volk.

Das ist ein Drahtseilakt und nirgends ist er vielleicht so schwer wie hier, in einer Stadt, die so viele Blicke und Besucher auf sich zieht, aufgrund ihrer historischen Schätze.

Die Versuchung ist groß, hier nur das Silber und Gold der Vergangenheit zu putzen und darüber den größten Schatz zu vergessen, den Gott uns gegeben hat, sein Wort: Ich bin bei euch bis ans Ende der Welt.

Tröstet, tröstet mein Volk und redet mit Jerusalem freundlich.

Ich wünsche euch, dass ihr dran bleibt an diesem Auftrag und Gottes Wort. Dass ihr es wagt, euer Leben miteinander zu feiern und eure Grenzen aushaltet. Dass ihr redet, von dem, woran ihr zweifelt und glaubt.

Und ihr habt heute nach der Abschiedsfeier bei eurer Gemeindeversammlung die beste Gelegenheit zu fragen, wo sind wir wie für wen unterwegs, womit und wen haben wir im Blick?

Wie werden wir den Schätzen der Geschichte gerecht und wo reden wir vom Schatz unseres Glaubens? - Das zu diskutieren, ist heute die beste Gelegenheit. Ich werde da nicht mehr dabei sein.

Ich breche auf ins Altenburger Land. Mit ganz viel Reformationsgeschichte im Rücken und mit dem Wissen: dass Gott da ist und sich zeigt: Im Angesicht meines Nächsten – so wie er sich mir gezeigt hat in eurem Angesicht, ihr Lieben, weil ihr mit eurer Liebe  Gottes Ebenbilder seid. 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.

 

 

 

 

Trauergottesdienst für Diana Patricia                                                           Mk 10,13-16 | 5. September 2017 | Stadtkirche Wittenberg

 

Und sie brachten Kinder zu Jesus, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

 

Liebe Ingrid, liebe Trauergemeinde!

Diana Patricia - ein Gotteskind. Immer vorne dran. Immer mit Blick in die Zukunft gelebt und immer auf dem Rad. So habt ihr sie gekannt und so sehen wir sie heute auch auf dem letzten Foto, das von ihr entstand. Auf dem Rad, denn sie ist gerne Rad gefahren. Eine junge Frau, die das Leben sorglos genießen kann.

 

Diana Patricia war für viele von euch ein Vorbild, eine Frau, die ganz genau wusste, was sie wollte und sie war dein großes Vorbild, liebe Ingrid.

Deine große Schwester, obwohl sie viele immer für die kleinere gehalten haben. Deine Schwester, die Gott mit so vielen Talenten beschenkt hatte: Musik, Mathematik, Kunst und Sprachen. Die Sachen fielen ihr zu und waren für sie leicht wie Schmetterlinge.

 

Und sie hat sich nie einen Kopf um Probleme gemacht. Sie hat das Leben genossen, wie es kommt und sich nichts vorschreiben lassen. Sie hat immer ihren eigenen Weg gesucht mit anderen Menschen zusammen.

 

Als die Möglichkeit bestand, hierher nach Deutschland zu kommen, war klar: sie fährt.

Sie geht weg von zu Hause, auch wenn sie noch so sehr an dir hängt. Was ich an meinem Leben liebe, hat sie mal gesagt, das ist meine Schwester, „das bist du, Ingrid.“ Sie war dein Vorbild, deine Freundin, und dein Ansporn: Sprachen zu lernen, zu studieren, die Welt zu sehen. So wie Diana wolltest du immer sein und ihr habt alles zusammen gemacht.

 

Diana, die ihrem Papa so ähnlich war, die so gut zeichnen konnte wie er und sein Temperament geerbt hatte.

Diana, die ihrer Mutter so ans Herz gewachsen war, weil sie als Kleinkind so oft krank war und tagtägliche Sorge um sie bestand.

 

Niemals hättet ihr zu Hause gesagt: bleib hier Diana, es war klar: egal wie schmerzhaft der Abschied wird – dieses Kind muss raus in die Welt, die Welt muss dich kennen lernen, habt ihr euch gesagt und ihr wart glücklich, dass sie hier in Wittenberg genau den richtigen Platz gefunden hatte: hier war ein Ort für ihre vielfältigen Talente.

 

Willst du dir nicht lieber einen Job suchen, was Sicheres machen und nicht dieses Freiwilligenjahr? Das hast du deine große Schwester vor der Reise gefragt. Nerv mich nicht, hat sie gesagt!

Sie ist lässig gewesen, immerzu. Sie hat sich wegen ihrer Zukunft nicht fertig gemacht und als du nicht mehr wusstest, wie du ohne sie zu Hause leben und einschlafen sollst, weil du immer mit ihr zusammen warst, hat sie dir gesagt: dann lernst du das jetzt, meine liebe, kleine Schwester.

 

Sie hat dir was zugetraut, Ingrid. Sie hat euch allen was zugetraut. Und sie hat das, was sie dachte und für richtig hielt, niemals versteckt.

 

Together we are stronger! Das war ihre Message, ihre Botschaft an die Welt! Gemeinsam sind wir klüger, stärker, schöner, als jeder nur für sich allein. Die große Party: 500 Jahre Reformation, dazu ist sie nach Wittenberg gekommen.

Sie ist nach Wittenberg gekommen, um mit euch diesen Gott zu feiern, der das Leben schenkt, der erlöst und befreit. Und sie hat euch alle inspiriert

 

 

Diana Patricia war immer vorne dran und wenn es irgendwas gab, was neu anstand, dann hatte sie sofort einen Plan. Sie war für euch wie eine Mutter. Sie wollte keine Kinder in die Welt setzen. So wie die Welt jetzt ist, ist das unverantwortlich, hat sie gesagt. Das war nicht ihr Plan, aber für andere da sein und sich stark machen für sie, das wollte sie.

 

So war sie auch in eurer WG wie eine Mutter: unerbittlich und zugewandt. Sie hat sich für andere stark gemacht.

Selbstlos, offen und zugewandt, so habt ihr sie erlebt.

Sie wusste, was sie wollte und sie trat dafür ein.

Gerechtigkeit, zwischen jung und alt, zwischen Frau und Mann, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

 

Sie hat sich eingemischt und engagiert. Ihr habt Workshops mit ihr organisiert und sie hatte immer Ideen und einen Plan und es gab scheinbar nichts, was sie nicht konnte: stricken, Wunden versorgen, koreanisch lernen vom bloßen Seriengucken.

 

Klavier spielen konnte sie und hatte in ihrer Heimatgemeinde schon die Gottesdienste begleitet und manchmal habt ihr euch gefragt, welches Instrument konnte sie eigentlich nicht?

Und sie hat euch in der WG auf die Finger gehauen, wenn ihr eure Küche nicht richtig geputzt habt, dann stand sie da: wie eine Mutter, taff und streng und sagte: mach das richtig, bis ins letzte Eck.

Sie hat es euch nicht durchgehen lassen, dass ihr euch gehen lasst und euch abfindet mit Schmutz oder Ungerechtigkeit. So war sie, Diana Patricia, wie eine Mutter für euch.

 

Im Streit der Meinungen hat sie zugehört und versucht, die Position des anderen zu verstehen, über alle Differenzen hinweg. Sie hat euch ernst genommen, auch durch ihre Kritik. Sie war geduldig mit euch, geduldig und streng und sie hat akzeptiert, was passiert. Jammern wäre nie ihr Ding gewesen, sie wusste, was sie nicht ändern kann und sie hat auf das geschaut, was sie ändern kann.

Sie hat von einem Leben und Projekten geträumt, z.b. mit Straßenkindern in Kolumbien.

 

Und sie brachten Kinder zu Jesus, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.

Kinder haben zu Jesu Zeit keinen Stellenwert gehabt. Wer gibt sich schon mit ihnen ab, sie kosten nur, sie können nichts. Kinder am Ende, inmitten der Welt. Als es aber Jesus sah, wie die Jünger mit den Kindern umgingen, sagte er: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.

 

Jesus und die Ungerechtigkeit, das geht einfach nicht zusammen. Er trat ein für die, die ausgeschlossen waren.

Diana wandelte in Jesu Spuren. Gerechtigkeit, das musste sein, da ließ sie nicht locker.

Sie hat sich stark gemacht dafür, dass keiner ausgeschlossen bleibt, z.B. in unseren Gottesdiensten, dass mehr englisch und spanisch gesprochen und gesungen wird, weil es einfach nicht geht, dass man dasitzt und nichts vom Evangelium versteht. Übersetzen, das tun wir heut.

 

Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht. Überwindet die Ungerechtigkeit, die Faulheit und die Tradition. Hinterfragt mal, was ihr da sagt und denkt und was für euch so selbstverständlich ist, dass es scheinbar nicht anders möglich ist. Lasst die Kinder zu mir kommen.

Together we are stronger. Wir können gemeinsam etwas lernen und entdecken, das wir als Einzelne nie entdecken. Together we are stronger.

 

Diana wollte Grenzen einfach nicht hinnehmen. Sprachgrenzen genauso wenig wie Denkmuster, die einfach nur menschenfeindlich sind. Wie viele Sprachen kann ein Mensch lernen? Alle, wenn er das liebt und will. Wie viele Instrumente spielen? Wie viele Bäume umstricken?

 

Morgen, am Mittwoch bricht die letzte Themenwoche an, Botschaften aus Wittenberg, vom Reformationssommer. Botschaften an die Welt.

 

Es gibt Menschen, die sagen in Deutschland: es gibt keinen Gott, denn wenn es ihn gäbe, würde es nicht so viel Unrecht in der Welt geben, wenn es ihn gäbe, würden keine Unfälle passieren wie der von Diana. Dann würde Gott seine Engel um uns stellen und aufpassen, dass uns kein Unglück passiert.

 

Ich glaube nicht an so einen Gott, ein Gott, der mich vor allem bewahrt. Ich glaube an einen Gott, der im Glück und im Unglück mich umfängt und seine Engel um mich stellt.

Ich glaube an einen Gott, der Kinder und Erwachsene umarmt, der jeden liebt und zu sich ruft.

Ich glaube an einen Gott, der sagt: so, das ist jetzt dein Platz, das ist dein Ort, schau dich um, bring dich ein, du bist frei mit deinem Talent was zu tun, fang an, ich bin leise mit dabei. 

Ich glaube nicht an einen Gott, der mir jeden Handgriff abnimmt im Leben. Ich glaube nicht an den großen Aufpasser, der alles lenkt und macht.

Aber ich glaube an einen Gott, der aus allem, auch aus dem Schlimmsten Gutes erwachsen lassen kann.

Ich glaube an Gott, der das Leben schafft und das Leben liebt, der unsre Schmerzen kennt, meine Verzweiflung und meine Wut und der durch den Tod hindurchgegangen ist und alle Grenzen überschreitet.

Ich glaube an diesen Gott, der da ist und sagt: Hier bin ich. Ein Gott, der meine kleine Kraft kennt und mir sagt: egal, wie begrenzt du auch bist, mach was draus, nutz diesen Tag, genieße wie ein Kind das Leben, das du hast, bring dich ein, pack mit an, dass diese Welt einmal meine wird: ein Reich, in dem jeder mitreden kann. an so einen Gott glaube ich, an einen, der das Leben liebt und Leben schenkt im Tod.

 

Was ist eure Botschaft an die Welt?

Dianas Botschaft an die Welt war dieser kleine Satz: together we are stronger! Let´s do it, let´s make it together! Im Anschluss an den Gottesdienst werdet ihr ihn in den Himmel aufsteigen lassen mit Luftballons und wer weiß, vielleicht verfängt sich irgendwo einer und Dianas Satz bringt Menschen zum Nachdenken und Träumen von einer anderen Welt. Together we are stronger.

Was glaubt ihr und worauf hofft ihr?

Worauf vertraut ihr in dieser Welt?

 

Die Jünger Jesu haben immer nur auf das vertraut, was andere ihnen vorgelebt haben und sagten. Kinder sind nix wert, weil sie nix leisten können war so eine Floskel. Es geht ganz schnell, dass man sich beschränkt auf das, was angeblich Standard ist. Es geht schnell, dass man nichts mehr hinterfragt. Die Jünger haben einfach Standard gemacht. Sie haben den Kindern deshalb gesagt: geht weg. Denn ihr seid vor Gott nix wert.

 

Aber Jesus hat ihnen das nicht durchgehen lassen und das war gut. Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht und wer das Reich Gottes nicht aufnimmt wie ein Kind, der wird das Leben nie begreifen. Weil Jesus sich stark gemacht hat für die Schwachen, sitzen wir heute hier. Tatkräftige Leute, die was drauf haben und Typen, die nicht so viel wissen und können, alle in einer Bankreihe vor Gott.

 

Weil Jesus sich stark gemacht hat für die Schwachen, hat Martin Luther vor 500 Jahren gesagt: Weg mit der Spende für einen gnädigen Gott und weg mit der lateinischen Liturgie. Nichts soll mich trennen von Gott. Kein Papst, kein Ablass, keine Sprache. Jeder soll selber lesen und hören können, was Sache ist und er hat uns die Bibel übersetzt und Lieder in der Muttersprache geschenkt.

Weil Jesus sich stark gemacht hat für die Schwachen, haben Menschen immer wieder die Kraft gefunden: aufzustehen für andere, sich stark zu machen für Menschlichkeit. Diana auch. Together we are stronger.

 

Es ist ein großes Geschenk im Leben, Menschen wie Diana kennen zu lernen. Menschen, die uns mit ihrer ganzen Art und Weise berühren: Nichts ist egal. Alles kann gerechter werden, wenn wir anfangen nachzudenken, wie wir miteinander leben wollen, uns ernst nehmen und respektieren. Es ist nicht egal, ob die Küche geputzt ist oder nicht. Es ist nicht egal, ob Kinder lesen können oder nicht. ob sie auf der Straße zugrunde gehen oder nicht. Denn kein Mensch ist Gott egal.

Als Diana nach Deutschland aufgebrochen ist, hat sie dir, liebe Ingrid, versprochen: wenn ich zurückkomme nach Kolumbien, dann machen wir ganz viel gemeinsam. Vor einer Woche ist sie hier in Wittenberg bei einem Unfall ums Leben gekommen.

 

Diana zu verlieren, das tut unglaublich weh. Das ist eine Wunde, für die es kein Pflaster gibt. In unseren Herzen, sagtest du, liebe Ingrid: in unsren Herzen ist keine Bitterkeit. Wir vertrauen auf Gott, der uns tröstet in aller Trübsal.

Eure Wege müsst ihr jetzt ohne Diana gehen. Ihr Platz bleibt leer, aber ihre Liebe, bleibt und das, wofür sie auch nach Wittenberg kam – das bleibt auch: Gott, der uns zur Gemeinschaft ruft, together we are stronger und wir sind frei, auch in Jesu Spuren zu wandeln.

 

Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.

Wir haben das Reich Gottes mit Diana in Wittenberg aufblitzen sehen, in der gemeinsamen Freude und Sorge für die Welt. und meine Hoffnung ist: ein Wiedersehen, dass sie aufsteht mit uns in Christus und das Antlitz der Erde verwandelt. AMEN

 

 

 

 

Gen 1 | 15. Juli 2017 | Wittenberger Elbestrand

 

 

Als ich im Winter mit dem Wittenberger Kanuverein eine Fahrt von Pretzsch bis zu diesem Strand mitgemacht habe, dachte ich nur: wie herrlich verschieden ihr doch seid.

Da gibt es die einen, die fahren am liebsten allein, weit voraus auf der jene, da geht das Paddeln nicht ohne Gespräche ab mit Leuten rechts und links.

Und alle sind sie unterwegs auf demselben Strom. Die Typen, die gerne die ersten sind und die Typen, die fürsorglich, vorausschauend fahren und rufen: Achtung, Tanker voraus! und jene, die verträumt aufs Ufer schauen und die herrliche Landschaft genießen.

So wunderbar verschieden hat Gott uns gemacht: den einen groß, den anderen klein, polternd laut den einen und manche im Herzen ganz leis.

Alles, nur nicht einfach ist der Mensch, sondern vielfältig und wunderbar kompliziert.

 

Und Gott schuf den Menschen, zu seinem Bilde schuf er ihn und er schuf ihn als Mann und Frau.

 

Als lautes und leises Exemplar, als stark und schwach, als Weltmeisterin und blutige Anfängerin in den Strudeln der Elbe.

Fleißig die einen und träge, die anderen. So verschieden hat Gott uns gemacht.

Und keiner muss wie der andere sein, jeder kann bleiben, wie er ist, gemeinsam, den anderen stets im Blick, dazu hat Gott uns gemacht. er schuf von uns nicht nur ein Exemplar, nein, er machte uns verschieden, so ergänzen wir uns. Einer möge des anderen Helfer sein. So hat Gott uns erdacht.

 

Wer weiß, ob ihr im echten Leben Freunde wärt und gemeinsam auf Reise gehen würdet von Decin bis an die Mündung der Elbe.

Wer weiß, ob ihr es miteinander aushalten würdet im Alltag, wenn da nicht eure gemeinsame Leidenschaft für das Kanufahren wär.

 

Das Schöne beim Kanufahren in der Gruppe ist, es geht leichter, weil wir verschieden sind, es geht leichter, wenn es die Kundschaftertypen gibt, die weit voraus und alleine fahren, denn die sehen, was da an Gefahren kommt und können die anderen warnen.

Es geht leichter, wenn wir verschieden sind und einer den andren ergänzen kann.

In kleinen Gruppen kann sich einer auch mal in die Mitte zurückziehen und ausruhen auf denen, die rechts und links neben ihm fahren, denn der am Rand, der passt auf mich auf!

 

Soll ich meines Bruders Hüter sein? Hat Kain seinen Herrgott einst gefragt.

Soll ich etwa aufpassen auf diesen Typ, der so vollkommen anders ist als ich und so ganz andere Sachen wünscht und denkt?

Ja, hat Gott zu Kain gesagt, ja, du sollst das Leben deines Bruders bewahren, dazu hab ich euch so verschieden gemacht, dass ihr euch gegenseitig ergänzt.

 

Liebe Kanuten, ihr wisst, was das heißt, dass Gott uns in Vielfalt erschaffen hat.

Ihr wisst, was es heißt, gemeinsam auf einem Strom unterwegs zu sein und das Leben, die Schöpfung zu bewahren.

„7. Leitsatz des Kanuwandersports: Erfreuen Sie sich an der Natur!“ Und bewahren Sie, was Sie da finden!

Wenn ihr gemeinsam auf dem Wasser seid, habt ihr nicht nur die Schönheit der Natur im Blick, sondern auch den Typen nebenan, egal wie sympathisch er euch ist.

Nennt es Sportsgeist oder Hilfsbereitschaft, Selbstverständlichkeit, dass einer den anderen nicht untergehen lässt.

Die Bibel nennt das: Hüter sein und das Leben des andren bewahren.

 

Und Gottes Geist schwebte auf dem Wasser, ein Geist, der uns verbindet, egal wie weit voraus einer fährt. Wir sind gemeinsam auf dem Strom des Lebens unterwegs, in dem Fluss fährt keiner allein.

Auf dem Wasser verbindet uns eine Leidenschaft. Ein Geist, der über allem schwebt.

An Land hat uns der Alltag schnell wieder im Griff.

Sehr schnell, sagt z.B. die Vernunft und schlägt erstmal das eigne Zelt auf und schaut dann erst, was der andere braucht.

Sehr schnell verlieren wir uns aus dem Blick, sagt der Hunger und fährt schon mal zur Gaststätte voraus; hat das erste Schnitzel schon verdrückt, wenn der letzte noch im Eiswasser ist.

Sehr schnell verlieren wir uns aus dem Blick, wenn das eigene drängt und drückt. Das ist so, dafür muss sich keiner genieren.

 

Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Ich soll mich ja lieben und sorgen für mich, aber wenn das getan ist, bitte auch auf andere sehen und tun, was mein Nächster grad braucht.

Gottes Geist schwebte auf dem Wasser, die Kunst ist, den mit an Land zu nehmen.

 

Letzte Woche – an der Elbe – einige Hundert Kilometer flussabwärts: Hamburg G 20 Gipfel.

Gewaltexzess und Randale.

Wenn jeder nur an das denkt, was er will und braucht und das eigene absolut setzt, dann knallt es in der Welt.

 

Füllet die Erde und machet sie euch untertan

Es gibt Leute, die das missverstehen und drücken anderen ihren Willen auf, so sollst du leben, so sollst du sein. Extremismus und am Ende Gewalt.

 

Sich die Erde untertan machen, ist wie paddeln gehen.

Ich muss mich einbringen mit dem, was ich bin und kann, mit meinem Wissen und Sachverstand, die Buhnen umschiffen, auf Strudel sehen, damit ich und andre ans Ziel kommen. Aber das Wasser besiegen, werde ich nie.

Das ist und bleibt und fließt um mich herum, ich muss lernen, mit den Kräften der Natur umzugehen, ohne darin unterzugehen. Mir die Dinge untertan machen, ohne sie zu zerstören, mich hineinbegeben und mich mit ihnen sanft mich zum Ziel lenken.

Das weiche Wasser bricht den Stein, das Wort, das Frieden sucht und bringt.

 

Wir sitzen alle in einem Boot und das Boot zerreißt, die Gemeinschaft zerbricht, wenn ich meinen Nächsten aus den Augen verliere.

Die Gesellschaft zerbricht, wenn ich mich als Mittelpunkt versteh und vergesse, wer rechts und links neben mir fährt und mich sichert im Strudel der Welt.

 

Vor drei Jahren hat die internationale Elbefahrt schon einmal Halt in Wittenberg gemacht.

Da haben wir schon einmal hier gesessen am Strand, viel Wasser ist seither die Elbe hinunter geflossen.

Unzählige Flüchtlingsboote sind an Europas Küsten gestrandet. Jeder Mensch verändert die Welt.

Die Grenzen sind fließend und jene, die am Rand stehen, warnen uns.

In der Mitte der Gesellschaft lebt es sich für mich zwar gut, aber nur, solange ich auch auf jene sehe, die am Rand der Gesellschaft sind.

 

Das weiche Wasser bricht den Stein, der Blick, der auf das Wohl des anderen schaut.

Soll ich meines Bruders  Hüter sein? Fragte einst Kain. Ja, das sollst du, sagt Gott.

 

Eine Gemeinschaft ist immer nur so stabil und stark, wie sie Acht gibt auf jene am Rand.

Gott hat mich im Blick und er hat jene im Blick, die am Rande sind und er ruft mir zu: Gib Acht! Halte ein! Im Strom des Lebens ist keiner allein!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. AMEN

 

 

 

 

Jes 43,2 | 5. Juni 2017 | Wittenberg

 

 

Pfingsten. Taufe. Brennender Geist:

 

Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Jule fährt jedes Jahr. Sie hat Urlaub genommen. Unbezahlt. Sie ist das dritte Mal draußen auf dem Meer. Das Boot schwankt. Sie will Leben retten. Zu Hause geht ihr Sohn noch zur Schule. Noch ein Jahr, dann hat er sein Abi gemacht und Jule fährt übers Meer.

Bist du verrückt, haben ihre Freundinnen gesagt. Wovon willst du leben? haben die Eltern gefragt. Was soll aus dem Jungen werden? Fragen. Freunde, Verwandte. Und der Vorwurf im Blick: du Rabenmutter. Heillose Träumerin. Als könntest du nun die Welt!

 

Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Leben retten im Meer.

 

Jule hat sich ausbilden lassen zur Sanitäterin. 9 Monate ist sie in Deutschland und macht, was sie kann, Sozialamt, Papier, Verwaltungskram.

Aber kaum ist sie im Amt, hält sie es nicht aus. Die Bilder, die Ruhe, die Fassungslosigkeit. Sie fährt auch dieses Jahr wieder mit raus.

 

Du musst Gott mehr gehorchen als den Menschen. Dass die Wasserfluten dich nicht ersäufen.

Taufe. Einen Menschen aus dem Abgrund ziehen hinein in die Gemeinschaft der Lebenden.

Und Pfingsten: ein Ich, ein Du, ein Und, ein Geist, der zwei Menschen heilsam verbindet.

Dass die Wasser dich nicht ersäufen.

 

Malik kam nicht übers Meer. Er hat das Flugzeug genommen aus dem Libanon. Dort sitzen noch seine Verwandten. Warten. Leben auf der Flucht.

Für Malik ging die Reise weiter, durch Europa zu Fuß und mit dem Bus. In Ungarn waren die Tore weit auf. Unser Land wird für euch nur ein Tunnel sein. Da wollte sie keiner. Geht weiter!

Dass dich die Wasser nicht ersäufen.

 

Was für ein Gott ist das? Der rettet und ins Leben zieht. Weg von dem Krieg, der Häuser und Menschen zerstört.

Was für ein Gott, der die Geschichten von der Heimat auch in der Fremde am Kochen hält und die Tränen trocknet in der Nacht.

Was für ein Gott ist das, der uns nicht schlafen lässt, wenn nebenan jemand weint?

Ein Gott, ein Mensch, der uns sanft berührt.

Pfingsten. Taufe, brennender Geist. Lebenshunger und –atem.

 

Als Malik das erste Mal in der Kirche war, hat der Pfarrer gefragt: woher kommst und wann gehst du wieder nach Haus? Gastfreundschaft sieht bei uns anders aus, hat Malik leise gedacht.

Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.

Sein Gott ist ein Gott, der Herbergen baut, der Menschen begrüßt und gibt, was er braucht. Malik versteht den Unterschied nicht, zwischen evangelisch, katholisch, reformiert.

Aber er ahnt, wo Gottes Geist wohnt: in den Menschen, die mit offenen Armen dastehen, retten und begrüßen.  

Dass dich die Wasser nicht ersäufen sollen. Taufe. Pfingsten, Reformation.

 

Ich glaube, Gott fragt nicht nach Religion, nach Konfession, Sitte und Gebrauch. Gott fragt: Wo bist du Adam? Mensch? Wo bist du, Markus, Jule, Astrid?

Wo stehst du? Und was berührt dein Herz? Was leitet dich an und was treibt dich um und hast du dein Leben bedacht?

Gott fragt nicht nach Kult, Dogma, Tradition. Er fragt: wo sind sie meine Ebenbilder in dieser Welt?

Wo bewahrt ihr das Leben? Wo pflegt ihr nur die Tradition?

Pfingsten. Taufe. Brennender Geist. Lebenshunger und -atem.

 

Jule glaubt nicht so an Gott. Sie glaubt daran, dass sie helfen kann und dass es nicht egal sein kann, wofür einer sein Leben vertut.

Sie zweifelt an der Kirche, die sonntags redet von Gott und dann doch nicht hingeht mit helfender Hand.

Ihr Gott ist einer, der lebte und litt und Menschen hilft ohne Ansehen der Person, egal, woher sie kommen, egal, wer sie sind, aus allen Orten, aus jeder Religion.

Ein Gott, der einlädt und das Leben liebt und alle als Glieder seines Leibes sieht. Lebensatem und -leib.

Ein Gott, der keine Pässe und Genehmigungen braucht, um mit einem Fremden mitzugehen und ihm Asyl zu geben.

Einer, der fragt: Wo seid ihr, Adam, Verena, Waldemar?

Wo steht ihr? Was ist euer Trost und Halt: bloßes Wissen oder Religion?

 

Das ist das höchste Gebot von Gott: dass wir ihn lieben und unseren Nächsten wie uns selbst und die Liebe ist ausgegossen.

 

Brennender Geist, du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gott gießt Öl ins Feuer der Liebe, die brennt, wie eine Fackel in der Nacht. Und wir sind aufgewacht.

 

Wir sehen die Probleme der Welt.

Wir brechen nicht alle wie Jule auf und fahren hinaus aufs offene Meer, wir fischen keine Menschen aus der Tiefe heraus. Wir kündigen nicht alle unseren Job und gehen bis zur Grenze, Jahr für Jahr. Wir leben hier vor Ort.

 

Die Mutigen unter uns wagen das offene Gespräch.

Die Begeisterten vergessen die Grenzen ihrer Kirche und Konfession. Die Liebenden sitzen bei Fremden am Tisch und fragen: was kann ich tun?

 

Wenn Jule einen Mensch aus dem Meer heraus zieht, ihm die Hand reicht, dass er hinaufkommt ins Boot, dann ist das wie Taufe für sie. Schön, dass du da bist und dass es dich gibt.

Pfingsten. Taufe. Ein Ich, ein Du, ein Und: ein Geist, der zwei Menschen verbindet.

 

Sie lässt die Spötter reden, die Klugen dieser Welt, die Menschen, die fragen: wie viele denn noch?

und ob sie damit nicht nur den Schleppern hilft und was, wenn sie damit Attentäter nach Europa holt? Wie kann sie leben mit so einer Schuld?

 

Jeder ist verantwortlich für das, was er macht. Jeder allein, vor Gott.

Nur weil ein Mensch zu allem fähig ist, kann ich nicht zuschauen, wie er versinkt.

 

Taufe. Pfingsten. Brennender Geist.

Gott rettet, obwohl er nicht weiß, was aus uns wird: Abel oder Kain. Er sagt: Du bist mein Sohn, mein Wohlgefallen. Ein Wort ins Dunkle gesagt. Taufe macht alles rein.

 

Was für Jule zählt, ist nur, dass der Mensch lebt, der sonst ertrunken wär. Mohammed, Abel, Jesus oder Kain.

Erste Hilfe, das ist ihr Gott. Einer, der rettet und den Tod nicht will, sondern Leben, das uns vereint.

 

Die Zukunft der Kirche wird kein Dogma sein, sie liegt nicht in einer Konfession, sondern dort, wo wir uns einander zuwenden.

 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen und erkennen können, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

 

Lk 24, 1-12 | 16. April 2017 | Wittenberg

 

I

Es gibt Filme, die keiner zurückdrehen kann.

Den Film von Karfreitag, Verrat und Tod,

von Schweigen, Ohnmacht und Duckmäusertum.

 

Jesus hat das ans Kreuz gebracht.

Die Ohnmacht der Frauen, die ihn lieben und nichts tun können außer beten.

Die korrekte Art eines Statthalters,

das Wüten der Menge, die ruft!

All das hat Jesus ans Kreuz gebracht und bringt Menschen noch heute zur Strecke.

 

Unrecht, das keiner wieder gut machen kann, egal wie leid es uns tut. Und es gibt Menschen, die wir lieben und sterben sehen und können einfach nichts tun.

 

Die Frauen haben ohnmächtig zugeschaut, als Jesus abgeführt wurde. Wer hört denn bitteschön schon auf Frauen?

Pilatus hat auch nicht auf seine Frau gehört, und dem Volk gesagt: Dann macht, was ihr wollt! und ging sich die Hände waschen.

 

Und jetzt waren die Frauen ans Grab gekommen, Jesu Leichnam zu pflegen, den Geliebten noch einmal an der Wange berühren.

Die Männer hatten sie gleich zu Hause gelassen.

 

Die hatten ihre Chance gehabt, für Jesus was Gutes zu tun und haben es ja doch nicht gemacht.

Sie haben den Mund nicht aufgemacht, noch nicht einmal gerufen, Halt gerufen! Dabei waren das seine Freunde.

Das alle hätte anders kommen können.

 

Aber so war es nun mal.

Und jetzt standen sie am Grab, der Rollstein war weg, allein hätten sie das gar nicht geschafft, da hat ein Gott geholfen.

 

Und siehe da, der Leichnam fehlt, das Grab ist leer.

Kein Evangelist erzählt, wie Jesus aufersteht.

Sie beschreiben nur das Drumherum: Erdbeben, Engel, Schrecken und Furcht, ein Stein, der fehlt, ein Grab, so leer.

 

Aber keiner sagt, wie das von statten ging: auferstanden, das Grab ist leer und löst Schrecken aus und wer kann sich da schon freuen?

 

Wenn Sie am Grab ihrer Liebsten stehen und der Sarg wäre weg, die Urne nicht da. Sie würden sich auch nicht freuen.

Ich weiß, was Sie jetzt denken: So eins zu eins kann man das nicht sehen.

Aber ich glaube, das mit Jesus, das war eins zu eins, sein Grab war leer und die Frauen erschraken, wie immer wenn Gott uns in die Quere kommt.

 

Sie waren bekümmert, Jesu Leib war weg war. Erst das Leben mit ihm und jetzt auch noch das. Alles pfutsch. Noch nicht einmal die Möglichkeit, ihn zu salben, seine Wange zu berühren. Schönen Dank auch, mein Gott.

 

Und als sie darüber bekümmert waren, siehe, da traten zwei Männer in glänzenden Kleidern zu ihnen. Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er es euch gesagt hat.

 

Alles ist wahr und alles ist schwer. Schwer zu begreifen, nicht nur für Frauen.

Das leere Grab und dieses große Wort: Er ist nicht hier, ist auferstanden. Wie er es euch gesagt hat.

 

Was er sagte, ist also wirklich wahr: Ich werde sterben und dann auferstehen. Wer mir dienen will, soll aufhören, groß zu tun.

Und was ihr einem der Geringsten getan habt, habt ihr mir getan. Ich reiße den Tempel ab und bau ihn in drei Tagen wieder auf. Kein Stein wird bleiben, wo er ist.

 

II

Alles wirklich wahr, sagt das leere Grab und macht hinter alles einen Doppelpunkt: Denn Jesus ist auferstanden.

Gott hat den Film einfach weitergedreht. Er hat ihn nicht zurück auf Anfang gespult.

Was geschehen ist, ist unwiderruflich geschehen, aber es soll noch weitergehen. Jesu Tod ist noch nicht das Ende.

Und darin steckt Freude. Unbändige Osterfreude! Halleluja singt die geknechtete Welt!

Gott hat den Film einfach weitergedreht. Die Filme der zahllosen Opfer von Gewalt.

 

Mit dem leeren Grab hat Gott den Tätern gesagt: Was ihr töten wolltet, das ist nicht tot: Denn Jesus ist auferstanden.

Das leere Grab ist die letzte Hoffnung, die beste Form von Gerechtigkeit.

Der Trost für die Opfer unserer Zeit und die Absage an die Mächte der Gewalt. Am Kreuz werden wir nicht enden.

Die Festgenagelten.

Die Bedrängten.

Die Menschen, die gemobbt werden von ihrem Chef,

in die Enge getrieben, verspottet, geschasst.

 

All das lässt Gott mit seinen Kindern nicht machen. Das leere Grab ist die Antwort für die, die Menschen zur Strecke bringen wollen.

 

Wartet nur, Freundchen, auf das Ende vom Film, das letzte Wort ist noch lange nicht gesendet und gedreht.

 

Und die Frauen gedachten an seine Worte. Und sie gingen weg vom Grab und verkündeten das alles, den elf Jüngern und allen anderen.

 

Aber die Apostel wollten das nicht hören: alles Weibergeschwätz, haben sie sich gesagt, von verwegen auferstanden. Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehen?

Liebe wächst wie Weizen, sagten die Frauen, und ihr Halm ist grün.

 

Die Jünger, die immer nur so weit glauben konnten, wie sie den Weizen haben wachsen sehen, die wollten das nicht glauben.

Aus der Nummer kommt doch keiner heil heraus. Auch unser Herr und Meister nicht!

 

Vielleicht kommt er nicht heil heraus, sagten die Frauen, vielleicht verletzt, mit Spuren von Blut, aber Jesus ist auferstanden. Was wir lieben ist noch lange nicht tot.

Sehnsucht, diese Frauen mit ihrer Sehnsucht, ihrem Gottvertrauen, haben das leere Grab gesehen und Petrus auch, der Zweifler vor dem HERRN, geht los, sieht die Leinentücher und staunt: Sollte es möglich sein?

 

III

Ich stelle mir vor, wie die Mächtigen dieser Welt ins Zweifeln kommen. Sollte es möglich sein?

Was wenn die Toten nicht tot sind bei Gott und Geschlagene auferstehen?

 

Ich stelle mir Assad vor, wie er in seinem Palast sitzt und zweifelt, was wenn die Gegner nicht tot zu kriegen sind?

Ich stelle mir Trump vor, wie er die Leinentücher Jesu sieht und sich fragt: Was, wenn der Kampf nicht zu gewinnen ist? Welche Möglichkeit bleibt uns dann noch?

Und ich stelle mir die Opfer der Angehörigen vor, wie sie leise mit der Hoffnung nach Hause gehen. Weil das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Deine Toten, HERR, werden auferstehen.

Wie sie hoffen auf einen Gott am Ende der Zeit, der das Geschlagene aufrichtet.

 

Es ist meine letzte Hoffnung, dass Typen, die ihre Mitmenschen zur Strecke bringen, mit dieser Nummer nicht durchkommen bei Gott. Denn das Grab ist leer und Jesus ist auferstanden.

Der Film geht noch weiter, meine Lieben! Gott hat den Tätern den Kampf angesagt: Was ihr tötet, das fasst kein Grab.

Und er hat den Trauernden eine Hoffnung geschenkt: Was ihr sucht, findet ihr nicht bei den Toten. Geht ins Leben, dort werdet ihr ihn wiedersehen, wie er es euch gesagt hat!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN

 

 

Mt 26-27 | 14. April 2017 | Mühlanger

 

Ich würde den Film gerne rückwärts laufen lassen.

Den Film von Gethsemane und Golgatha und von Tod und Verrat.

Das Brot zurückstellen auf den Tisch und den Becher, aus dem ich getrunken hab.

Ich würde den Film gern zurückspulen. Alles zurückstellen, was ich genommen hab.

 

Das Brot bleibt heil und das Kreuz bleibt leer,

nichts zerbricht zwischen uns und nichts in dir

weder Knochen, noch Herz, keine Wunden platzen auf.

 

Ich würde den Film gerne rückwärts laufen lassen

und noch einmal einziehen mit dir und bei dir bleiben und den Mund auftun, wenn alles auf einmal ruft: Kreuzigt ihn!

Und dann ganz laut: Halt! rufen, das könnt ihr nicht tun!

 

Ich würde gern die Geschichte anhalten lassen

und die Debatten aushalten um deine Person

und immer wieder NEIN schreien, wenn alles ruft:

Raus mit ihm und kreuzigt ihn, er lästert Gott, wenn er sagt, er ist Gottes Sohn.

 

Ich würde den Film gerne rückwärts laufen lassen und sagen,

dass wir alle Gottes Kinder sind und sich keiner dafür schämen muss,

das zu erkennen, zu bekennen.

 

Ich würde gern ungeschehen machen, was geschehen ist

und tapfer zu Pilatus gehen und sagen: Hör einmal im Leben auf deine Frau,

mach einmal im Leben, was dein Herz dir sagt, lass die Hände von Jesus.

Vergiss die Gesetze, sie führen zum Tod. Du bist frei, dich schützend vor ihn zu stellen.

Keiner muss müssen, wenn das Herz nicht will und das Gewissen ihn vorher verklagt.

 

Ich würde gern aufstehen, wenn Pilatus sagt, eure Sache,

wenn das Volk es so will, dann sei es so. Ich wasch mir die Hände in Unschuld,

ich würde gern zu ihm gehen und sagen: dass es das nicht gibt, ein Zusehen ohne Schuld.

 

Den Film rückwärts laufen lassen, HERR, und noch einmal mit dir übers Wasser gehen,

mit dir im Boot sitzen bei Wind und Sturm und nicht zweifeln an dem, was ich nicht sehe.

 

Den Film zurückspulen, noch einmal zurück, noch einmal an deiner Krippe knien und Staunen

und mich Wundern über dich, dass du klein bist, wie so mancher von uns.

 

Deinen Tod verhindern, dir die Kleider anziehen, dein Ansehen, deine Würde, deine unverletzte Haut.

 

Ich würde den Film gerne rückwärts laufen lassen und bei dir bleiben bis tief in die Nacht und dir meine Hände hinhalten.

Das Geld zurückgeben, das ich genommen hab und mein reines Gewissen wieder haben.

Denkt Judas und sieht Jesus tot.

 

Gethsemane und Golgatha, die Filme des Terrors und der Gewalt, wir kennen sie alle, sie umgeben uns.

Und wie gerne würde ich sie zurückspulen an den Punkt, wo alles begann, Hass, Krieg, Terror, Gewalt.

 

Die Bilder vom Krieg in Syrien, vom Terror auch in unserem Land. Ich würde sie gerne rückwärts laufen lassen,

die Toten stehen wieder auf und die Söhne von Syrien gehen vom Schlachtfeld nach Haus, ein jeder von ihnen in seine Stadt, und keiner wirft mehr Bomben ab.

 

Assad sitzt zu Haus und lernt Vertrauen und reden mit der Opposition.

Und im Mittelmeer werden keine Leichen angespült,

und es gibt keine Kriege mehr.

 

Alles Schwachsinn, sagt die Vernunft. Ach, wenn´s doch so wär, sagt die Hoffnung.

 

Ich würde den Film gerne anhalten lassen, die Bilder von Nizza, London, Berlin

und der Mann  rast nicht in die Menge.  

12 Menschen gehen in Berlin nach Haus und ein Weihnachtsmarkt bleibt ein Weihnachtsmarkt, 

weil der Mann im Fahrerhaus ganz sanft bremst und sich selbst in den Menschen erkennt.

Mein Gott, wie schön wäre das.

 

Wenn der Hass  nicht mehr ist und alles gelöscht und keiner schreit mehr: Ausländer raus!

Aber so ist es einfach nicht.

 

Die Wunden sind da und die Toten sind da.

Und wir stehen in unserem Golgatha und sehen Menschen unschuldig sterben.

 

Und Gott ist da, in unseren Wunden.

 

Gekreuzigt, gestorben. Hinabgestiegen ins Totenreich,

er ist bei unseren Toten und dann steht er auf. 

 

Er zeigt uns, wohin fehlende Liebe führt.

Und sagt: bedenkt, was ihr tut und lasst,

der Mensch ist genug geschunden.

 

Sucht frei eure Wege aus.

 

 

 

 

 

1 Mo 22 | 1. April 2017 | Wittenberg

Versuchung & Verheißung

 

Es klingt wie ein schlechter Aprilscherz: Erst sagt Gott zu Abraham: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und opfere ihn zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Und Abraham, voller Vertrauen, nimmt Isaak, Isaak, was nichts anderes als "Gelächter" heißt. Abraham packt alles ein. Nur statt des Widders nimmt er jetzt seinen Sohn und geht hin. Und dann, als Abraham das Messer nimmt, um Gott seinen Sohn zu opfern, da ruft ihn der Engel des HERRN und spricht: Abraham, lege deine Hand nicht an dein Kind! Tu ihm nichts! Gott weiß nun, wie sehr du ihn fürchtest und liebst, mehr als deinen eigenen Sohn! Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich, den nahm er und opferte ihn.

 

Wie ein schlechter Aprilscherz klingt die Geschichte aus dem Alten Testament. Ein Test, der tödlich enden kann. Gottes Frage an den Menschen: Wie weit gehst du für mich, was lässt du bleiben, was gibst du für mich? – Gibst du auch deine Zukunft, dein Leben hin?

 

Isaaks Opferung endet in Gelächter und Erleichterung. Grad noch mal gut gegangen. Es erzählt Gottes Abschied vom Opfer. Ab jetzt, ihr Menschenkinder, keine Opfer mehr! Ab jetzt reicht mir euer Vertrauen allein. Sagt es und gibt am Ende seinen eigenen Sohn als Opfer für alle Verfehlung der Welt. Damit ist alles erledigt und gut: Jesu Opfer am Kreuz für uns alle.

 

Ich wünschte mir, dass Gott seine Engel öfter schickt in unsere Welt, dass er sie nach Syrien und nach London schickt, bevor Menschen leiden und sterben. Ich wünschte mir, dass die Geschichte der Menschenopfer wirklich ein Ende hat; dass Gott seinen Engel öfter schickt, zu denen, die nicht aufhören, sich selbst zu quälen und andere sinnlos zu opfern, sei es nun für ein heiliges Land oder einen sogenannten "Gottesstaat".

 

Ich wünschte, dass Gott seinen Engel öfter schickt, bevor der Glaube in Raserei verfällt und Gläubige  über Leichen gehen, nur um Gott zu gefallen. Dass Gott das Leben will und nicht unseren Tod, das hat er klar gemacht in seinem Sohn, in Jesus, der gestorben und auferstanden ist für die Fehler und die Unreinheit der Menschen. Dieses Opfer muss reichen, uns allen. In Jesu Sterben hat Gott reinen Tisch gemacht. Wir müssen Gott nichts mehr beweisen.

 

Ich finde, Gott hätte es hin und wieder deutlicher sagen können und nicht erst, wenn alles Spitz auf Knopf steht: Schluss mit dem Opfer und dem Tod. Ich will Leben und leben mit euch! Ich finde, er hätte irgendeine Methode finden müssen, dass uns das bewusster ist, uns und den Terroristen. Aber so ist Gott nun einmal: unfassbar und unbegreiflich. Er lässt uns die Freiheit, auf ihn zu hören oder nicht. Und alles, was er da lässt, ist ein Engel, der sagt: Schluss mit dem Opfer, mit dem Terror und Tod! Kein Mensch muss Gott was beweisen, denn der den ihr sucht, liebt das Opfer nicht, der liebt und lebt unter euch.

 

 

 

Mk 12 | 18. März 2017 | Wittenberg

 

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte und viele Reiche legten viel ein und es kam eine arme Witwe, die legte zwei Scherflein ein, das macht einen Pfennig, alles, was sie zum Leben hatte.

 

Es gibt Menschen, die lesen das als Aufruf, in der Kirche zu spenden und es der Witwe gleichzutun.

Nicht nur vom Überfluss zu geben wie die Reichen, sondern alles zu geben. Aber Gott geht es nicht um Geld. Die härteste Währung im Leben ist immer noch Vertrauen.

Viele Reiche legten da viel ein, aber die arme Frau wagte alles. Rückhaltloses Vertrauen: in Gott, in Menschen, in Zukunft.

 

 

Ganz oder gar nicht, sagte sich die Frau und legte alles, was sie hatte. Sie setzte den Fuß in die Luft und sie trug.

Ganz oder gar nicht, dachte Jesus und legte alles, was er hatte und gab sich den Menschen hin.

Die arme Witwe und Jesus – zwei Liebende, die alles wagen. Rückhaltloses Vertrauen.

 

Die Bibel erzählt nicht, was mit der Frau passiert, wovon sie lebt, wie es weitergeht. Aber sie erzählt von Jesus, der diese Frau sieht, sich in ihr selbst erkennt und den Weg der Liebe, des Vertrauens, bis ans Ende geht.

 

Er liebte, starb und stand auf. Er wusste am Ende, dass Vertrauen die härteste Währung des Lebens ist, weil sie überall gilt und notwendig ist und Leben schenkt in der Krise.

 

In einer Zeit, wo Grenzen wieder hochgezogen und Mauern gebaut werden, wirken die arme Witwe und Jesus wie zwei verrückte Gestalten am Wegesrand. Zwei Figuren, die aus der Zeit fallen; die alles wagen, ohne Versicherungsschein.

 

Sie setzen ein Fragezeichen hinter die Rede von Menschen, die das christliche Abendland retten wollen ohne Liebe zu den Menschen und Gottvertrauen. Sie stellen uns vor die Frage: worauf hoffe und vertraue ich? Auf meine Wahrheit oder auf Dich?

 

 

 

 

Ps 27 | Predigt 10. Februar 2017 | Mühlanger

 

Die im Dunkeln

 

Ich seh dich.

Ich hab dich die ganze Zeit schon gesehen,

Horst, ich seh dich, auch wenn du das nicht glaubst.

 

Ich habe gesehen, was für einen Brief du Neujahr geschrieben hast, an Theo, quasi dein Patenkind,

Theo, dem du zum Abitur verholfen hast, dem Arbeiterkind von nebenan.

 

Ich hab gesehen, was du geschrieben hast.

Dass du es satt hast, dieses deutsche Land, in dem sich alles verändert und nichts deutscher wird,

nur fremder und überbevölkert.

 

Ich seh dich, ich hab dich gesehen Horst,

wie du Weihnachten in der Kirche gesessen hast,

dass ich bleiben könnte im Haus des Herrn,

ja, Horst, ich habe dich sitzen sehen,

mit deiner Sehnsucht nach Erika im Leib,

deiner Liebe, die nicht mehr bei dir ist.

 

Ich hab deine Wut gesehen

und wie du dir die Tränen weggewischt hast,

mit Hustenanfall hast du das kaschiert, damit es die Tochter nicht merkt.

 

Und wie du mürrisch das Essen auf den Tisch gebracht hast,

wehe, wenn jetzt einer einen Fehler macht

und wie ihr schweigend zusammen gegessen habt

und du hast wieder nichts gesagt, den ganzen Weihnachtsabend lang.

Die Geschenke gegeben, Geschenke aufgemacht.

Aber bloß kein Gefühl zur Sprache gebracht.

 

Ich hab gesehen, Horst, wie du hart geworden bist,

hart mit den Enkeln und hart mit dir.

 

Wie du mürrisch Matilde einen Korb gegeben hast,

letzte Woche beim Kegeln und Bier.

 

Eigentlich wolltest du und hast dir doch das Glück verwehrt.

Wie oft soll ich noch an deiner Türe stehen?

Anklopfen, einladen in Menschengestalt, mit offenen Händen vor dir stehen?

Schlag ein, fass mich an, komm mit!

 

Ich seh doch, dass du heulst,

und den Kindern dann etwas von Zwiebelschneiden sagst,

wie du brüllst, lass mich los, wenn dich einer umarmt

und selbst die Tochter aus der Küche stürmt, verletzt, weil du nichts mehr zu ihr sagst.

 

Du verlässt mich und lässt mich ja doch, allein.

Horst, ich weiß genau, was du denkst.

 

Du hast dich hart gemacht, wie Eisen und Stahl,

hart gegen Leute, die bedürftig sind und hart mit dir, der abends weint.

Birg mich im Schutz deines Zeltes! Herr, komm und sieh mich an!

Das denkst du und wenn ich dann zu dir komm,

lässt du dich doch nicht umarm´n.

 

Und wenn Flüchtlinge an deinem Haus langgehen, dann denkst du, was gehen die mich an!

Dabei erinnern sie dich täglich daran, wie du in dieses Land gekommen bist,

ein Hänfling, ein Kind, kein Name, kein Land.

 

Sollen sie doch sehen, wer ihnen hilft.

Das alles hast du Theo geschrieben auf seinen Brief.

Theo, der stolz auf dich gewesen ist,

Theo, den du unterrichtet hast in Deutsch, Geschichte, Latein.

 

Du weißt es doch, Horst, wie das Elend beginnt und du weißt auch wie es endet im Glück,

wie Erika dich einlud ins Haus nebenan

wie ihr zusammen in der Fibel gelesen habt und dann die Kekse geteilt,

die Milch aus dem Eimer getrunken.

 

Und als Theo schrieb, gibst du Deutschunterricht für die Flüchtlinge in der VHS?

Da hat dich auf einmal die Wut gepackt

und du hast geschrieben:  das ist alles Gesocks,

der Untergang vom Abendland! Das Ende vom Christentum.

 

Horst, ich weiß, wie wütend du bist und wie du dich nach Frieden sehnst,

nach Erika, die neben dir steht.

Frieden und jeder hat sein Haus

und alles ist da, wo es hingehört,

ich weiß, dass dir alles entgleitet.

 

Ich weiß, dass du abends im Bette liegst und betest,

schick meine Erika zurück, mach sie wieder lebendig.

Bei dir, Gott, ist doch alles möglich.

 

Aber Horst, ich komme als Lebendiger zu dir. In Theo, im Flüchtling, im Enkelkind.

Meine Liebe ist Regen über alle.

Ich stehe als Fremder vor deiner Tür,

ich klopfe und rufe, mach endlich auf,

deck den Tisch für uns und lad Leute ein,

 

zeig deinen Enkeln, wie man Porree anbaut und Kartoffeln legt

und erklär den Flüchtlingen den Genitiv.

Wem gehört was und wie sagt man das.

Ich bin dein Licht und dein Heil.

Ich seh dich, und ich sehe, was du nicht siehst. Ich komme zu dir im Flüchtling, im Kind.

 

Horst war aufgewacht.

Kann das möglich sein und was wäre, wenn das stimmt?

Bleiben im Hause des HERRN

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

AMEN

 

 

Hes 36,26 | Predigt 1. Januar 2017 | Wittenberg

 

Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. 

 

Nach dem Krieg, sagte Hannes, habe ich im Straßengraben gesessen und nicht mehr weiter gewusst. Ich war als Junge in der HJ gewesen und begeistert von den Geländespielen. Mein Herz hat die braune Soße zum Glück nicht erreicht, weil Mutter das immer abscheulich fand, aber ich habe mitgemacht im Hitlerland und habe sogar gedient als Soldat. 

 

Und dann war der Krieg aus und ich habe vieles probiert: Verkäufer, Einzelhandel, Versicherungsagent. Aber irgendwie suchte ich Halt, Orientierung, geistigen Neuanfang. 

Ich bin zur Kirche gegangen mit meiner Frau und wir haben dort Leute kennengelernt, die voller Scham auf ihr Leben sahen und meinten, so und so müsse man vor Gott sein, Frömmelei und rigide Gesetze. Schlimmer als der untergegangene Staat. Alles, nur keine Freiheit im Kopf. Wir sind dort weg und zum Glück gab´s auch andere. Eine Gemeinde, die uns nahm, wie wir waren. 

 

Eines Tages bin ich mit dem Pfarrer raus aufs Land. Er hatte mich an einer Kreuzung abgesetzt, er wollte noch kurz was besorgen und ich wartete im Straßengraben. Und wie ich da so sitze, wusste ich auf einmal, was ich werden will: Pfarrer werden und reden von Gott. Von dem, der neu anfängt und Gemeinschaft wagt, mit Frommen und mit ausgedienten Soldaten.

 

Ein neues Herz und ein neuer Geist. 

 

Und ob du es glaubst oder nicht, sagte Hannes, als mich der Pfarrer abholen kam, sagte er: Hannes, willst du nicht Pfarrer werden und der Kirche dienen? Zwei Menschen und eine Vision. 

 

Anfangs war ich schockiert, als Hannes mir berichtet hat von seinem Leben als Soldat. Wie kann das sein, ein Mann, der Hitler hinterher gerufen hat und der dann plötzlich auf der Kanzel steht und sagt: Friede sei mit euch, ihr Kinder!

 

Später hab ich gedacht, was hab ich für ein Recht zu richten über ihn? Gott sagt: Ich schenk dir ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch und Hannes hat sich beschenken lassen.

 

Bei Hannes hab ich gelernt, was Umkehr heißt und Neuanfang und dass Gott jedem Menschen Zukunft schenkt unabhängig von seiner Vergangenheit. Und mit Hannes hab ich beten gelernt. Ja, Gott, ich schenk dir mein Herz, alles, was mein altes Herz quält; mein Herz, das letztes Jahr zugeschaut hat, als Schiffe im Meer versanken. Mein Herz, das die Bilder von Aleppo sah und nicht mal mehr weinen konnte. Mein altes Herz, das wütend war, weil ein Flüchtling den Terror ins Land gebracht hat. Ich schenk dir mein altes Herz, HERR, und bitte dich um einen neuen Geist. Ein Geist, der lebendig macht. Ein Geist, der mit Kindern noch kichern kann; der leichter nimmt, was er nicht begreift. Ein Geist, der zupackt, wo er kann. 

 

Weißt du, sagte Hannes oft zu mir, wenn ich ihm voll Empörung erzählte, was Kollegen wieder angestellt hatten, man muss da auch gnädig sein. Die können vielleicht nicht anders. 

Hannes war gnädig mit sich und auch mit anderen. Er hat Menschen nie festgelegt auf das, was ist. Gott hat für uns alle eine Zukunft bereit, die mehr ist als die Summe unsrer Taten. 

 

Einmal, sagte er, saß ein Mann von der SED bei mir, die schickten ja immer ihre Leute zur politischen Überprüfung, wie das hieß. Und der tischte nun eine Frage nach der anderen auf: wie ich zum Sozialismus steh und zur Frage der Gerechtigkeit, ob wir uns da einig wären und natürlich hab ich das anders gesehen und dann, nach zwei Stunden meinte er: Aber Herr Pfarrer, für den Frieden, wenigstens für den Frieden müssen Sie doch sein! Gewiss bin ich für den Frieden, sagte ich und der war überglücklich, endlich eine Gemeinsamkeit, aber, der Frieden von dem ihr erzählt und der Frieden, den ich zu verkündigen hab, der ist dann vielleicht doch ein andrer. 

Na, der war wütend, stand auf, knallte die Tür und zog nun unverrichteter Dinge wieder ab. Er hat mir ja auch leid getan, der macht auch nur seinen Job. 

Es gab Kollegen, die redeten gar nicht erst mit denen, aber ich hab sie rein gelassen, immer wieder. Das waren doch auch nur Menschen wie du und ich und warum soll ich sie verachten. 

 

Ich schenke euch ein neues Herz. Ein Herz, das weiter sieht. 

 

"Ein Herz kann man nicht reparieren" hat Udo Lindenberg einmal gesungen. Aber vielleicht austauschen, rausoperieren, sich ein neues einsetzen lassen?

Wenn Hannes mir sein neues Leben beschrieb, hat er auch immer von seinem alten erzählt, von dem Herz, das Drill und Gehorsam kennt und Ordnung über alles liebt. Man entkommt sich eben einfach nicht. 

Ein Herz kann man nicht reparieren, mit dem schlurft man so durch den Tag, mit dem quält man sich durch den Unterricht, durch den Sportverein, immer so lang hin. 

Es eckt an und entzündet sich an total verrückten Stellen, an einem falschen Wort. Es bellt zurück, wenn einer bellt und ist blöd, immer so lang hin. Ich kann mir vornehmen gut zu sein und schaff es dann doch nicht bis zum Abend. 

Ein Herz kann man nicht abstellen, zurückfahren auf Null. Das ist schließlich keine Heizung. 

 

Was gewesen ist, ist gewesen, sagte Hannes, das kann ich nicht ungeschehen machen. Aber schuldig sein, heißt nicht, dass alles so weitergehen muss wie bisher. Ich rechne mit einer anderen Welt. Ohne Gehorsam und ohne Waffen. 

 

Ich schenke euch ein neues Herz. Spricht Gott, einfach so dahin. 

 

Die Beschenkten haben auch nur ein Leben und 24 Stunden am Tag. Vielleicht ein Dach überm Kopf, einen Mantel am Leib und irgendwann auch ein Grab. 

Die Beschenkten und Getauften mit Gottes Geist, die gehen auch mit Ungewissheit in die kommende Zeit. Aber sie haben einen Gott, der das Licht anmacht, wenn es dunkel ist und sagt: Friede sei mit euch, geht heim!

Sie haben einen Gott, der mitgeht, wenn es sein muss auch einen Meile mehr als zum Anstand noch nötig wär. 

Die Beschenkten bekommen täglich neu Post. Liebeserklärungen Tag für Tag: Fürchte dich nicht, denn ich bin da. Sie legen ihr Ohr an die Bibel, an Gottes Wort und hören das Rauschen einer anderen Welt und ein Schiff aus Papier trägt sie fort. 

Sie wissen, so also kann es sein: dass der Himmel aufgeht und Licht auf uns fällt, nichts muss für immer so sein. 

 

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Das ist das Wichtigste, meinte Hannes immer, alles, worauf es ankommt ist Gottes Liebe, denn er gibt keinen von uns auf. 

 

Hannes ist für mich immer so etwas wie ein Patenonkel gewesen, obwohl das auf keinem Papier jemals stand. Ein Mensch, der mir immer wieder klar gemacht hat, worauf es ankommt im Glauben und im Leben. Nicht auf die weiße Weste, sondern auf Gottes Liebe, die alles übersteigt und neu anfängt mit den Leuten. 

 

Als Hannes beerdigt wurde, stand das auf seinem Grab: aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Liebe, die größer ist als alles, was wir tun im Guten wie im Bösen. 

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen und verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, der uns diese Liebe kundgetan hat. AMEN

 

 

 

 

Lk 2,14 | Predigt 24. Dezember 2016 | Mühlanger/Dietrichsdorf/Wittenberg

 

Auch in diesem Jahr hat Hilde die Engel ins Fenster gestellt. Engel aus Holz, mit kurzem Rock, mit Pauken und Trompeten und manche mit einem Lied in der Faust: Ehre sei Gott in der Höh.

 

Auch in diesem Jahr hat Hilde sie aus dem Keller geholt, obwohl ihr im November gar nicht danach war. Feiern, was soll ich feiern in diesem Jahr, mein geliebter Robert ist nicht mehr.

Aber dann wurde es irgendwie doch Advent und sie hat die Engel aus der Kiste geholt.

 

Was haben die nicht schon alles gesehen?

Sie haben unser Glück gesehen und ihr Ehre sei Gott in der Stube gesungen, als der Kalte Krieg vor der Türe stand. Sie haben Honecker kommen und gehen sehen. Sie standen im Fenster als keiner wusste wohin mit seiner Sehnsucht nach Demokratie. Sie haben im Keller ihr Lied gespielt, als Donald Trump die Wahl gewann und ein LKW in eine Menschenmenge fuhr, erst in Nizza und nun in Berlin.

 

Ehre sei Gott in der Höh.

 

Unten auf dem Markt steht Achmed hinterm Tresen am Glühweinstand und seine Familie vielleicht in Aleppo.

Er weiß nicht, ob sie rausgekommen ist, ob die Schwester noch lebt. Nachrichten hat er schon lang keine mehr. Ehre sei Gott in der Höh und Friede auf Erden bei den Menschen?

Frieden, denkt Achmed, Frieden wäre schön. Aber wie geht Frieden in dieser Welt?

 

Weihnachten in der zweitausendundsechzehnten Nacht und noch immer ist die Welt nicht im Frieden erwacht. Noch immer werden Mäntel durch Blut geschleift und Stiefel gehen daher mit Gedröhn.

Weihnachten feiern, wie soll das gehen und stimmt die Botschaft der Engel noch, Ehre sei Gott in der Höh?

Nein, mein Gott, wir ehren dich nicht, wenn Menschen in deinem Namen töten.

 

Und Menschen deines Wohlgefallens, wo wohnen die, wie sehen die aus?

 

Hans ist mitgekommen, seiner Frau zuliebe, dieses eine Mal, wie jedes Jahr in der Heiligen Nacht. Nun sitzt er in der Kirche drin und singt und müht sich ab mit dem Lied. Ehre sei Gott in der Höh.

Er ist getauft und glaubt nicht mehr. Er hat sein Leben anders verbracht. Er vertraut auf das, was er sehen kann. Aber heute ist er mitgekommen, das eine Mal. Ehre sei Gott in der Höh und Friede auf Erden bei den Menschen.

 

Frieden, ja, den brauchen wir. Mehr als so manchen Held in der Welt und einen, der uns sanft regiert und nicht aufhört, die Wahrheit zu sagen, die Fakten der Welt, und eintritt für die Schwachen.

Der Raum ist ihm fremd und das Beten auch. Ob im Himmel wirklich einer ist, der uns Menschen sieht? Hans kann das gar nicht mehr glauben.

 

Und was für ein Gott wäre das bitteschön, der die Nachrichten in unsren Stuben sieht und Hilde sieht, die alleine ist und Achmed hinter dem Tresen?

Was für ein Gott soll das denn sein, der das alles sieht und nichts geschieht, denn es tut sich einfach kein Himmel auf und keiner stößt die Gewaltigen vom Thron.

Und ein Kind, das soll die Rettung sein, ein hilfloses Bündel Leben, ein Kind die Rettung für Kinder und verwitwete Frauen, die Rettung für eine zerstrittene Welt, der noch nicht mal mehr ein Friedensabkommen gelingt, in der Uno, der Stube der Welt?

 

Hans sitzt da und denkt und staunt. Ja, wenn sie alle Tage so wären, die Menschen, so wie heut. Vereint im Blick auf ein Kind und der Mensch steht wieder im Mittelpunkt. Vereint im Blick auf ein Kind, von dem man sagt, dass es Gemeinschaft rettet und wagt, auch mit den Tyrannen der Welt.

Ein Kind, das übers Wasser geht, über alles, was tief ist und schwer, das Brücken baut und Brot zerbricht mit Freunden und mit Feinden. Ja, wenn das jeden Tag Mittelpunkt wär? Ehre sei Gott in der Höh.

Am Ende hilft alles Singen nicht, denkt Hans und schlägt das Liederheft zu. Beim Frieden muss jeder selber sehen, wo er steht und auf welchen Wegen er geht.

 

Ehre sei Gott in der Höh und Frieden auf Erden bei den Menschen.

 

Menschen, denkt Hilde, Menschen gibt es viele, aber keine mit so kaffeebrauner Haut. Achmed war Hilde gleich aufgefallen, als sie über dem Weihnachtsmarkt ging. Sie sind neu in unserer Stadt?

Hilde hat ihm ein Glas abgekauft und Achmed hat erzählt; vom Bus, der ihn in die Stadt gebracht hat, vom Wohnheim, der Schwester, der Familie, die fehlt, vom Glauben und vom Wiedersehen.

 

Hat erzählt von der Angst und dem Attentat, vom Krieg zu Haus und all dem, was nicht mehr steht und welchen Reichtum er hier sieht.

Hat erzählt von den Anträgen auf dem Amt und davon, wie tröstlich das alles ist, dass Fremde auch Zuflucht finden. Und er hofft, dass die Liebe auch bleibt.

 

Und Hilde denkt an damals zurück, als sie ankam, damals in dieser Stadt. Ein Flüchtlingskind in der stillen Nacht und ein Gott hat uns Frieden gebracht.

Frohe Weihnachten! hat Hilde zu Achmed gesagt und Achmed hat nur müde genickt.

 

Weihnachten, ja, in diesem Land. Brot hat er und einen Himmel auch.

Einen Himmel, von dem keine Bombe fällt, nur Schneeflocken höchsten, im Winter.

Und er wünscht sich die Schwester, die Familie her und Frieden für die ganze Welt.

 

Weihnachten feiern, Frau Hilde, fällt schwer, weil alles, was ich liebe, so fehlt.

 

Und Hilde hat ihm von den Engeln erzählt, von den Engeln aus Holz auf dem Fensterbrett. Engel, die wieder im Fenster stehen, auch dieses Jahr, dem Tod zum Trotz. Engel, die Gewalten haben kommen sehen und die immer noch singen: Ehre sei Gott und manche nur noch mit einem Arm und einer Botschaft, die einfach nicht zerbricht: Frieden auf Erden bei den Menschen.


Ich glaube, dass Gott allmächtig ist, hat Hilde leise zu Achmed gesagt.

Ich glaube, dass Gott nicht alles kann, aber dass er aus allem etwas machen kann, auch aus Trümmern und offenen Wunden.

Und er hat uns seinen Sohn geschickt, der uns Frieden schenkt und Frieden zeigt. Der ebnet für uns die Bahn.  AMEN

 

 

 

 

 

Lk 1 + Mt 2 | Predigt 4. Dezember 2016 | Mühlanger/Dietrichsdorf

 

Und der Engel sprach zu Maria: Siehe, du wirst schwanger werden. 

Du wirst nicht allein bleiben. 

Du wirst einen Sohn gebären und er wird der Sohn des Höchsten genannt werden. Sein Leben wird heilig sein für dich, und nicht nur für dich, auch für den Himmel. 

Wenn du ihn siehst, wirst du auch den Himmel sehen und den, der ihn schuf. Und du sollst ihn Jesus nennen, weil Gott keinen vergisst. 

Weil Gott sich herabbeugt zur dir, dich aufrichtet, Maria. 

Und er wird Frieden bringen, wo Krieg und Streit ist in der Welt und seine Waffe wird Sanftmut sein. Ein Mut, der nicht aufgibt, weder die Hoffnung noch einen Menschen. 

 

Bis ans Ende wird er voller Frieden sein und sagen: Fürchtet euch nicht! Nicht vor der Liebe, die alles vergibt und nicht vor der Liebe, die Feinde liebt und am Ende sagt: Vater vergib!

 

Siehe, du wirst schwanger werden, Maria. Du bleibst nicht allein mit dem, was dich beugt. Du wirst einen Sohn bekommen, der dir vorausgehen wird und einen, der deine Liebe braucht, deine Arme, Hände und Füße. 

Du bringst Gott zur Welt, dazu hat Gott dich auserwählt, du kleine Magd, Maria. 

 

Und dein Name wird hoch erhoben sein über alle Mütter und Frauen dieser Welt. Denn mit dir soll Großes für alle geschehen. Wer an dich denkt, denkt an eine Frau, die Ja gesagt hat zum Leben. 

 

Es wird wehtun, Maria, hin und wieder ohnmächtig zu sein. Ohnmächtig in deiner Liebe. Es wird wehtun, Gott in die Welt zu bringen, dieses Kind zu gebären. Du wirst hin und wieder auch weinen und am Ende deiner Kräfte sein. 

Willst du das, Maria?

 

Du wirst wissen, wie das ist: wenn das Leben kommt und Gott ohne dein Zutun wirken will und du wirst für Gott mehr als nur Hülle sein, denn er braucht deine Wärme, Maria, deine Stimme, dein Wort für dieses Kind. 

Also, willst du oder willst du lieber nicht? Sprach der Engel zu Maria. 

 

Du wirst lernen, was es heißt: beschenkt zu sein und das alles uns nur gegeben ist, es zu lieben und zu bewahren. 

Du wirst lernen, einmal auch fortzugehen, ohne dein Kind an deiner Hand, ohne das Wissen, wo es ist. 

 

Du wirst wissen, wie es ist, an seinem Grab zu stehen und mit der Frage: Warum? nach Hause zu gehen. Du wirst wissen, dass du im Leben nichts festhalten kannst, wenn etwas zu Ende ist. Maria, du wirst lieben, stärker als der Tod. Willst du das, Maria?

 

Du wirst wissen, was es heißt, dass er aufersteht und nach drei Tagen deine Wege kreuzt, du wirst sein Lachen hören, seine Lebenslust, seine Sanftmut und seinen Frieden. 

Und ihr werdet miteinander verbunden sein, ohne dass einer der Sklave des anderen ist. Willst du all das, Maria?

 

Und Maria bewegte die Worte in ihrem Herzen. Und der Engel verschwand. Und Josef war da, und so vieles geschah, was Maria bis heute nicht verstand. Und immer, wenn sie Kinder sieht, denkt sie: Kinder des HERRN. 

Sie gehören uns nicht, wir versorgen sie.

Wir wickeln sie in Windeln und lieben sie, wir ziehen sie sauber heraus aus dem Dreck und kleben Pflaster auf blutende Knie und können sie doch nie ganz halten. 

Ein Wunder, jedes Leben und meines erst.

Maria bewegte die Wort im Herz. Der Engel war weg und Jesus war da, sein Sanftmut und sein Frieden. 

 

Vieles geschah, was sie nicht verstand. Die große Welt, Terror und Krieg. 

Wie erzieht man ein Kind, wie liebt man einen Mann? Wie baut man Brücken über Grenzen?

 

Und immer war da Jesus, der im Tempel saß und Gottes Wort den Alten vorlas. Wir blicken zurück, wir blicken nach vorn. Maria sah den Himmel in Jesus offen stehen. Sie ahnte, was Gott ist und Leben und Tod, wo Liebe beginnt und Besitz anfängt und Wille zur Herrschaft und Macht. 

 

Und es geschah ihr, wie der Engel einst sprach. Eines Tages stand sie da, an Jesu Grab, und sie weinte und ging mit seinen Worten fort, mit allem, wovon er einst sprach: Wer Vater und Mutter mehr liebt als Gott, der ist für Gottes Reich nicht gemacht und wer zurückschlägt und nichts vergibt, der hat meinen Frieden noch nicht gekannt, nur den Frieden der Menschen dieser Welt. 

 

Maria, die bittre. Die Frau, die weint und die trotz Tränen den Himmel schaut, die nichts begreift und gelesen hat, aber die Sterne und Gottes Zeichen in der Nacht. 

Maria hat Gott zur Welt gebracht. Sie hat ihn mit Händen und Füßen bewacht und ist mitgegangen, wohin keiner gern geht, in die Fremde, an Gräber, am Ende nach Haus und bewahrt im Herzen das große Wort: Friede sei mit euch, ihr Lieben!

 

 

(Eine Musik)

 

Und du, Josef? Du hast dabei gestanden. 

Du hast Maria gesehen und gesehen, etwas ist anders an ihr als zuvor. 

Du hast auch nicht alles verstanden.

Aber du hast gewusst, das ist mein Weib. Ich kann sie nicht hängen lassen. Sie bekommt ein Kind, weiß der Himmel von wem. Aber sie gehört zu mir, Maria, meine mir anvertraute Frau. 

 

Du hast hin und her geschwankt, wie ein Segel in der Nacht und hast sie am Ende mitgenommen in dein Land, in deine Heimat und das Kind kam an und fiel in deine Hände. 

 

Da hattest du dir die Finger schon wund geklopft. Kein Tor war offen, nirgends.

Nicht für Fremde. Für Freunde vielleicht, aber nicht für euch. Das war die Auskunft an jeder Tür. 

Das Unglück hat euch zusammengeschweißt. 

 

Und auch dir ist ein Engel erschienen im Traum. Flieh, Josef, nichts wie weg von hier. Nimm Mutter und Kind! Und du hast sie mitgenommen. Mit deinen Zimmermannshänden.

 

Mit Händen, wo alles genau abgemessen und abgezählt ist, sonst passt es nicht. 

Mit diesen Händen hast du sie mitgenommen: ein Kind, das wächst und eigne Wege geht, das im Tempel steht und den Alten das Alte ganz neu erzählt. Das Leben, unwägbar, was keiner je sah und keiner ermessen, verstanden hat, all das fiel in deine Hände. 

 

Erst wolltest du nicht, und dann wolltest du nicht mehr ohne sie, ohne Maria und das Kind. 

Du hast getan, was du konntest, Josef. Nicht weniger, nicht mehr, wie so viele vor und nach dir. 

 

Du hast eine Bleibe gefunden, ein Haus gebaut. Was man eben so macht für Mutter und Kind. Du hast dafür gesorgt, dass Brot da war, das man teilen kann, mit deinen Zimmermannshänden. 

Und du hast staunend mit Maria im Tempel gestanden, den Jungen gesucht und gefunden. Gesehen, wie er den Alten das Alte erklärt und Worte austeilt, die aufrichten: und zwar alle Menschen dieser Welt. 

 

Das Kind war dir fremd und es war dir vertraut. Du hast ihm beigebracht, wie man Boote und Häuser baut. Dinge, die fest sind und halten. Aber er konnte übers Wasser gehen. Er hat alles benutzt, aber niemals gebraucht. 

 

Das soll einer begreifen, dieses Kind. Du hast ihm deine Welt gezeigt. Und hast wieder und wieder auf die Engel gehört. Fürchte dich nicht, geh mit ihm fort!

Von dir selbst ist kein Wort überliefert in der Welt. Josef, du schweigende Masse. 

 

Wie viele nach Dir hast du vertraut, das alles einen Sinn hat, was jetzt passiert, auch Kinder, die du nicht gemacht hast. 

Wie viele nach Dir hast du begriffen, das, was ich habe, hat ein Gott mir geschenkt. Die Blumen auf der Wiese, das Kind im Leib, die Sonne, den Mond und die Sterne der Nacht. 

 

Staunen. Staunen, arbeiten und weitergehen. Josef, wie oft hast du das gemacht und hast deinem Herrgott blind vertraut. Hast dein Ohr an den Himmel gehalten, inmitten der Nacht. 

Siehe, eine junge Frau wird schwanger werden, einen Sohn gebären und er wird der Sohn des Höchsten genannt. So hast du es gehört, so ist es geschehen. 

 

Warum passiert das grade mir? Wie viele nach dir haben sich das gefragt, das Geheimnis des Lebens hält Einzug in der Welt, im Leib der Geliebten Maria. 

Wie viele nach dir haben sich das gefragt, warum gerade ich? und sind mitgegangen voller Erbarmen und Vertrauen, das alles vielleicht doch einen Sinn hat. 

 

Josef, wenn du nicht gewesen wärst! Wo wären wir heute ohne dich, du stiller Weggefährte? Du bist ein Mann, der nichts sagt, sondern annimmt, was kommt und behütet, was nicht sein eigen ist, als wär es das eigene Kind. 

 

Du hast uns Erbarmen und Glauben gelehrt.

Glaube, der zupackt und macht, was er kann und auf das hört, was Engel ihm sagen. 

 

 

 

 

 

 

1Kor 15,35-44 + Jes 66,13 | Predigt 20. November 2016 | Mühlanger/Dietrichsdorf

I

Das Quietschen der Straßenbahn riss ihn aus seinen Träumen. Was hatte Martin da eben gesagt? Irgendwas mit Toten und mit Auferstehen. 

Der alte Martin in seinem Laden, saß vor ihm mit seinen Narben im Gesicht. Mit seinen Narben und Falten. Jede Falte eine Geschichte, hatte Mutter immer gesagt, und dann seine treuen blauen Augen!

 

Ich begreife das nicht, Martin. Wo ist sie jetzt? Martin, wo ist meine Mutter jetzt? Wo sind die Toten? Und sieht sie mich

auch, da wo sie ist?

Sieht sie mich, wenn ich sitze, liege oder schlafe? Sieht sie, dass die Sterne noch leuchten, die sie angeklebt hat, letzte Woche auf meine Tapete?

Und ist der Himmel da oben grau oder gibt es dort gar keine Farben? Martin, ich begreife das nicht. 

 

Einen anderen Glanz hat die Sonne, einen anderen Glanz hat der Mond. Seit sie gestorben ist. Alles ist anders, seit sie nicht mehr ist. Vater weint und keiner singt mehr mit mir Der Mond ist aufgegangen

 

Und warum hat der Pfarrer gesagt, sie wird auferstehen, wo doch die Erde so schwer auf ihr liegt? Wie kann er das sagen, Martin! Wie soll sie da rauskommen, zwei Meter tief, das schafft sie mit ihren kaputten Beinen doch nicht. 

Martin, ich verstehe das nicht. Ich träume von ihr, ich weiß noch ihren Duft, den Duft ihrer Haare und ihrer Haut. Ich habe ihren Pullover geklaut, den roten, den mit den Haaren, die vom Fönen dran hängen geblieben sind. Ob es das gibt, dass sie wirklich lebt?


Martin, warum hat der Pfarrer gesagt, dass sie in Christus ewig lebt, ewig und für immer? Was hat er gemeint? Dass sie wiederkommt? Vater sagt, Mutter ist nicht mehr. Mutter kommt nie mehr wieder. 

 

(Eine Melodie, EG 511)

 

 

II

Ein Knauf, nicht nur einer, sondern sogar zwei. Wie die Registratur an der Orgel zu Haus. Wer daran zieht, bestimmt wie voll, wie sanft, wie zart oder hart das Wort an die Ohren trifft, das Wort, die Melodie, ein Klang. Bassschlüssel und drei b´s. 

 

Welche Lieder werden wir singen, wenn wir in der Kiste liegen? Welche Worte werden wir sagen, wenn die Verwandten das große AMEN sprechen? Was wird bleiben von uns, so wenig wie Asche in eine Kiste passt, in der einst Zigarren lagen?

 

Schwarz und weiß, Notenlinien, Papier und darauf ein Schiff, das bringt mich zu Dir und innen alles voller Linien und Wellen aus dünnem Papier.

Auf solche Linien Namen schreiben. Ich schreibe die Namen in den Sand, die Namen derer, die ich liebe und meinen immer ganz leise dazu, ein Kürzel und kein Geräusch. 

 

Es kommt ein Schiff geladen bis an den höchsten Bord. Trägt Gottes Sohn voll Gnaden, das Vaters ewigs Wort. 

Ich komme zu euch und tröste euch, wie eine Mutter ihr Kind. 

 

Wie eine Mutter ihr Kind. Eine Erinnerung, ein Wort. Wer daran zieht, steht sofort im Licht und schwimmt mit ihr fort. Die Erinnerung an die Liebe. Ein Register. Wer zieht daran?

Und warum vergisst man sie und schwimmt mit der Traurigkeit fort? All die Toten, die gesagt haben: Fürchte dich nicht! Warum vergisst man so was im Leben nur? 

Trost, es gibt ihn, wie es Erinnerung gibt. Mach die Schachtel auf, leg die Leinen los, zünd deine Fackel in mir an. 

 

Als du drei warst, Sascha, hast du immer gesagt: Mama, flieg, flieg! Und du meintest damit: Schau nur, die Vögel sind wieder da! Sie tanzen an unserem Fenster. 

Als du drei warst, hast du oft Angst gehabt. Angst vor dem Dunkel und vor der Nacht, Angst vor den Tieren in deinem Schrank, vor dem Löwen, dass er lebendig wird und im Schlaf nach dir greift. 

Als du klein warst, strich dir Mutter sanft über die Stirn und die Träume vom Löwen waren fort, die Nacht vergessen, das Dunkel auch und auch die böse Fee, die abends Löcher in deine Zähne macht. 

 

Ich will dich trösten wie eine Mutter ihr Kind. Ich weiß, dass du wütend bist auf Gott und wütend auf den Himmel, auf den Mann im LKW, der deine Mutter unter sich begrub. Ich weiß das, Sascha, ich kenne deine Wut. Eine Wut, die auch meine ist. Aber bitte, Sascha, tu dir nicht weh, vergiss deine Mutter, ihre Liebe, nicht!

 

Zieh dir den roten Pullover an! Leg die Platten auf mit ihrer Musik, zieh die Register, leg die Leinen los und zünd ihre Lichter für sie an. Sing ihre Lieder, spiel Räuber und Gendarm. Es kommt ein Schiff geladen bis an den höchsten Bord. 

 

Weißt du noch, was sie immer sagte gegen die Angst? Gott hat die Welt so schön gemacht, so schön wie deine Augen. 

Schau in den Spiegel und sieh dich an und du wirst ihre blauen Augen sehen und nichts von ihr ist fort. Sie liegt nicht begraben in der Kiste. Sie ist da. 

Ist bei uns im Flug der Vögel, in allem, was du siehst und was deine Mutter so liebte. 

Geh los, Sascha, putz dir die Zähne und fürchte dich nicht. Weder vor Löwen noch vor Menschen. 

 

Und wenn du wütend bist, dann brüll wie ein Löwe brüllt in der Nacht, wenn er wütend und hungrig ist. Und wenn du fröhlich bist, lach wie die Möwen am Strand, lach wie ein Vogel im Flug. 

 

(Eine Melodie: Wie ein Lachen wie ein Vogelflug)

 

III

Sascha sang. Das ganze Schiff war voller Gesang und Sascha mittendrin. Und seine Mutter war da. Sie war da im Gebet Müde bin ich geh zur Ruh

Sie war da im Lied, im Vogelflug, im Sonnenstrahl am Abend.

Sie war neben ihm, wenn er zur Schule ging. Sie war da, wenn er den Ranzen packte. Turnschuhe nicht vergessen, mein Kind! Sie rief und ermahnte ihn. 

 

Er sah sie, am Herd. Sie kochte Spaghetti mit ihm. Sie saß mit ihm am Tisch an ihrem Platz, Stirnseite mit Blick in den Garten. 

Sie war da im Rot der Pullover, quer durch die Stadt, und in jedem Buch, das Martin mit ihm las in seiner Bücherstube. Der Wind in den Weiden, Räuber Hotzenklotz. 

 

Sie wuchs mit ihm auf und fragte ihn, wie es mit den Mädels so läuft. 

Soll ich stark sein oder soll ich so sein, wie ich bin?

Er fragte und sie antwortete ihm. Immer schön sauber bleiben, Junge!

 

Er hörte sie und versuchte´s jeden Tag. Schön sauber bleiben, mein Junge. 

 

Es könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferstehen, mit einem Leib, ganz irdisch und real?

Iwo, ihr Narren! In einem Lied, im Pulloverrot, im Vogelflug, in einem Wort, ganz geistlich und unverweslich. AMEN

 

 

 

 

 

 

Röm 14,7-9 / Lk 17, 20-24 | Predigt 6. November 2016 | Wittenberg

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Also, ob wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

 

Leben wir, so leben wir dem Herrn.

Fromme Leute, hast du nicht ausstehen können. Du konntest es nicht leiden, wenn dir einer seine Art zu beten ans Herz gelegt hat, seine Art zu essen, zu lieben und zu lachen.

Du konntest es nicht leiden, wenn dir einer seinen Glauben überstülpte wie einen viel zu engen Rock, so und so geht das. Leben in der Gemeinschaft.

Du hast das gehasst, wenn dir einer mit Blick zum Himmel sagte: Aber das macht ein Christenmensch doch nicht. Gott hat das anders gesagt!

Leben wir, so leben wir dem Herrn.

Du hast sie alle an dir abprallen lassen, all die Abers der frömmelnden Leute, all die Einwände der Typen, die immer schon wussten, wie Gott tickt, wen er hasst und was er liebt.

Dein Gott, von dem du geredet hast, ist freier gewesen, Paulus, freier, als wir alle es sind. Luftiger und ins Dasein verliebt. Und du hast sie alle bleiben lassen, wie sie waren und bis heute noch sind, die Besserwisser und frommen Gefährten, die lauten und die leisen Leute nebenan. Leben wir, so leben wir dem Herrn.

Du hast ihnen Gott ans Herz gelegt, einen, der Menschen annimmt wie sie sind und sie nicht fesselt mit Gesetzen und Gebärden.

Wenn einer Götzenfleisch nicht essen will, dann lasst ihn doch. Er soll´s nicht essen müssen, nur weil einer am Tisch das so will.

Und wenn einer beten will vor dem essen, dann soll er´s tun, aber andern nicht vorschreiben wie das geht: Gott danken für seine Gaben.

Ein jeder finde seinen Weg.

Und im Übrigen: Gott wird´s aushalten, dass der eine braucht, was der andre nicht will. Unser Gott wird´s ertragen und egal, wie wir sind, wir sind des Herrn. Des Herrn Geschöpfe und Kinder.

Leben wir, so leben wir dem Herrn.

 

Das hab ich immer an dir bewundert, dass du mit einem milden Lächeln den Leuten begegnet bist, Leuten, die uns auf die Nerven gehen. Dass in deiner Gegenwart der frömmelnde Typ sein Essen bebeten konnte und der Lebemann das Glas erhoben hat. Prosit, was kostet die Welt?

Du hast es keinem übelgenommen, wenn er so war, wie er war. Sanft hast du ihnen den Himmel gezeigt, Gottes Himmel, seine gnädige Weite für uns.

Heute sehnen wir uns manchmal nach einem, der sagt: Leben geht aber so und so. Weil alles so unklar geworden ist, wacklig und brüchig der Boden.

Weil Bomben fallen und Menschen fliehen und Grenzen fließend geworden sind, weil so mancher seinen Nachbarn nicht mehr erkennt.

Wie wird es werden in dieser Welt, wenn es weitergeht, wie es geht? Und wo geht's hier endlich zum Paradies?

Kurz vor der Grenze zur Tyrannei erschallt der Ruf nach Gesetz und Ordnung; nach einem, der klipp und klar zu uns sagt: so ist es recht, meine Lieben!

 

"Völlig losgelöst von der Erde". (Peter Schilling: Major Tom)

Wir schweben wir Planeten durch den Raum, jeder auf seiner Umlaufbahn und scheuen uns beim andern zu landen.

Der starke Mann. Orientierung. Klarheit. Grenzen. Gesetze, die unzerbrechlich sind, damit klar ist, wer gut und wer böse ist und für alle eine einheitliche Moral.

Der starke Mann. Du solltest der starke Mann sein, einer, der klare Kante gibt. Der starke Mann für die Gemeinde in Rom, für die Verfolgten, Bedrängten.

Aber du hast das nicht gemacht, Paulus, du Saulus, du Himmelsmann. Gott ist vielleicht ganz anders als ihr alle denkt.

Bei ihm hat jeder seinen Platz, auch der Übeltäter, den ihr so hasst.
Leben wir, so leben wir dem Herrn.

 

Du hast den Himmel weit aufgemacht, vielleicht, weil du wusstest wie das ist, wenn Gott einen Mörder zu sich ruft und sagt: Komm her, Saulus, und fang mit mir an!

Paulus, was du geschrieben hast, hat Menschen aus der Bahn geworfen mitten am Tag. Dass Gottes Frieden vielleicht ganz anders ist, als wir es wünschen und brauchen.

Dass Gott einer ist, der Platz für jeden hat, wo Assad am Tisch des Schöpfers sitzt und auch das Kind, das wegen ihm weint. Dass Gott einer ist, der am Kreuz hängt und zwischen Tätern und Opfern steht.

 

Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Denn dazu ist Christus erschienen, dass er Herr sei über Lebende und Tote.

 

Nichts wird er vergessen. Und einmal werden wir uns sehen, wie Gott uns sieht, alles und er wird unser Richter sein.

 

Atemlos. Was du schreibst, macht atemlos. Es zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Und ich frage mich, wie sollen wir leben in der Zwischenzeit? Es muss doch auch Leute geben die sagen: So etwas tut man nicht! Bomben auf Menschen werfen! Es muss doch auch Menschen geben, die sagen: So können, so wollen wir nicht leben in der Welt.

Hört auf, Menschen hinter Gitter zu sperren, nur weil sie anders glauben und denken und Journalisten darüber berichten!

Wo kommen wir hin, wenn das keiner mehr sagt, dass der Rubikon auch mal überschritten ist, wenn jeder macht, was ihm gefällt? Wohlgefallen, Tyrannenstaat?

Ich weiß, Paulus, ich ahne, was du sagst: Frieden beginnt im Hier und Jetzt, mit mir, mit dem Ende allen Richtens.

Und es heißt nicht, aufzuhören, bei den Schwachen zu stehen und es kann sein, dass auch Tyrannen ganz schwache Typen sind, die unsre Menschlichkeit brauchen.

Ich bin gewiss, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird.

Das hast du gesagt und allein auf Christus geblickt. Und dass er einmal alles verbinden wird, was in dieser Welt zerbricht.

 

Es gab Leute, Paulus, die haben NEIN gesagt, NEIN, so kann es mit Gott in der Welt nicht sein.

Es gab Leute, die haben sich handfesten Dingen zugewandt, Werten, Ethik, Gesetz, Moral. Verfassung, Staat und Grundgerüst. Dingen die Frieden versprechen, ganz real, siehe hier und siehe da.

Es gab Menschen, die haben gesagt, du spinnst, so luftig und offen kann der Himmel nicht sein, wenn Gott alles aushält, dann will ich ihn nicht. Irgendeine Richtschnur muss es geben in der Welt, damit klar ist, wo die Guten und die Bösen mal stehen, heut und in Ewigkeit.

Aber du hast gesagt: Es ist nicht an uns, zu richten, einander so einzuteilen. Und: alles kann anders sein.

 

"Völlig losgelöst von der Erde".

Wir sind Planten auf der Umlaufbahn. An keinem Bodenwert hängen, an keinem Gesetz und keiner Moral. Denn keiner lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn.

Gelächelt hast du und hast das gesagt, frei von aller Moral. Keiner lebt für seinen Wert vor Gott und kein Wert dieser Welt ist es wert, andre dafür zu bedrängen, zu richten.

 

Ach Paulus, dein Wort in unserem Herz. Wir würden wir leben, wenn wir das hören, ich, Erdogan, Putin, Assad?

Wie würde diese Welt aussehen, wenn wir aufhören, unserm Nächsten zu sagen: Leben geht aber so und so!

 

Frieden. Es wäre dein Frieden.

Ein Reich das auftaucht wie ein Blitz, der am Himmel erscheint, kurz und hell und es ist nicht zu fassen mit unseren Händen und Werten.

 

 

 

 

Phil 3,17-21 | Predigt 30. Oktober 2016 | Wittenberg

Mach mich unverletzbar, Herr, wie Siegfried, der im Drachenblut gebadet hat. Mach, dass mein Ex mich nicht mehr quält. Mach, dass es aufhört weh zu tun, wenn er Schlampe zu mir vor den Kindern sagt und Sarah, meine Große, dann fragt: Mutti, was ist das, Schlampe?

Mach mich unverletzbar und stark gegen das Gelächter der Leute in der Stadt, gegen die Alte im Treppenhaus, die immer Rabenmutter zu mir sagt, nur weil ich arbeiten geh mit drei Kindern, "Hallodris und das in unserem Haus. So was hat´s früher nicht gegeben!"

Gib mir die Kraft, dass die Lügen abprallen, die Worte, die sie über mich sagen. Mach mich stark, wenn ich morgens zur Kita geh und die Erzieherin mich so komisch anschaut, wieder eine Ehe, wo es kracht. Wieder eine, die es nicht schafft. Kinder, Familie, heile Welt.

Komm, Gott, und hilf mir dabei. Lange halt ich das nicht mehr aus, die Gerüchte und all diese Lügen. 

Weiß eigentlich einer, wie weh mir mein Ex getan hat mit Worten und mit Händen? Der feine Geschäftsmann im blütenweißen Hemd, von allen geliebt und immer mit gestärkten Manschetten?

Marie lief über Scherben. Scherben der Wut, Gefühle, die wehtun, zerreißen.

 

Folgt mir, liebe Brüder und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt. 

Folgt mit, hatte Jesus gesagt und Menschen aus der Bedrängnis herausgeholt, in die Freiheit hinein. Du kannst dich jeden Tag entscheiden, wie du leben willst, mit dem Bauch voller Wut, unterdrückt, geschlagen, befreit, geliebt. Folgt mir! 
Marie war der Stimme gefolgt. Das muss aufhören, das Schreien und Schlagen. 

 

Sarah, ihre Große, konnte träumen von einem Leben zu sechst. Mutter, Geschwister und der Papa, der neue und auch der alte. Sie konnte träumen vom Ex-Mann am Küchentisch, vom Kuchen, der für alle reicht. Vom Kaffeeduft und Kinderkakao für Papa, den Vater, die Schwestern. 

Sarah konnte träumen wie ein Kind eben träumt. Davon, dass alles gut werden kann und Jesus mit ihr übers Wasser geht. Ja, warum denn auch nicht?!

Sie beneidete ihre Große um diesen Traum, um die Einfachheit. Marie konnte das nicht. Sarah träumte wie ein Kind eben träumt. Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Kopf himmelwärts und das Kinderzimmer war ein luftiger Raum, die Schreie vergessen, nur der Teppich noch blau. Sie konnte vergeben ohne zu wissen, was das ist. Neu anfangen, mit Flausen im Kopf in der Küche stehen und die Pizza beim Abendbrot in sechs Teile teilen. Denn der Vater, der kommt doch wohl auch?!

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr das Reich Gottes nicht sehen.

 

Es gab Tage, da prallt an Marie alles ab, die Gehässigkeit der Nachbarin, der schiefe Blick. Es gab Tage, da tanzte Marie durch die Nacht und fühlte sich frei. Getauft, geliebt, getröstet, befreit. Wir sagen der Macht des Bösen ab, der Wut, allem, was gefangen hält und es gab Tage, da packte sie die Wut und Gott war ganz weit weg. 

Ich bin getauft. Einmal, so heißt es, habe er am Tisch gesessen. Martin Luther, der große Glaubensmann, habe am Tisch gesessen und Buchstaben in die Platte geritzt. Ich bin getauft. Alles, was er nicht glauben kann, die Finger wund geschrieben: ich bin getauft, ich, mein Gott, alles kann anders sein. 

Mich hat Gott gewollt, mit meiner Liebe, meiner Lust, mit meinem schiefen Herzen. 

Ich bin mehr als die Welt und der Papst von mir sagt. Ich, der Martin aus Wittenberg, den jetzt jeder gern zum Teufel jagt, weil er nicht will, wie der Papst es sagt. Seine Ehre ist seine Schande.

Aber mein Bürgerrecht ist im Himmel.

 

Taufe. Eine Erinnerung. Der Nagel war blutunterlaufen. Wie oft muss ich das schreiben, bis ich es versteh? Und warum hält dieses Wort mich nicht auf, warum wischt es die dunklen Gedanken nicht fort? Setz mir die Fackel bei, zünd deine Lichter in mir an, damit ich erkenne, was mich trägt, deine Liebe und nicht das Gerede. 

Wie ein Ertrinkender hing Martin halb über Bord, halb über dem Tisch. Jeden Tag aufs Neue rauskriechen, aus den Gerüchten, aus dem Schuldspruch, dem Richten, der Besserwisserei. 

Jeden Tag aufstehen, mit meinem Gott, die Haare richten und das Gesicht. Die Nachbarin grüßen, ohne Wut im Gesicht, dem Ex-Mann die Kinder mitgeben. Jeden Tag rauskriechen aus der Taufe, dass ich mit mir, in meiner Wut nicht untergeh`, mein Gott, hilf mir dabei. Ich bin mehr als das, was ich tat, das hast du in der Taufe zu mir und ihm gesagt, dein Regenbogen an unserem Himmel. 

 

01017 Großstadt Berlin, das stand seit kurzem in Maries Pass. Da stand, wo sie lebte und wo sie schlief, wo sie abends die Kinder zum Zähneputzen rief. Und auf der Rückseite stand: getauft, geliebt, befreit. Ein Bürgerrecht im Himmel. 

Ich liebe Dich, stand über dem Spiegel in Maries Bad. Ich liebe dich, ich nehme dich an, du bekommst einen Schlüssel fürs Himmelreich, wo jeder ein Bleiberecht hat, wo wir einmal alle sitzen werden an einem Tisch und am Kopfende Jesus, der richtet; tröstet, befreit und zusammenhält, was auf Erden zerbricht. Er breite seinen Frieden für uns aus. 

 

Mühsam, dachte Marie, es war schön und mühsam mit diesem Gott. Ein Bürgerrecht im Himmel. Es war mühsam mit der Wut und mit dem Ende der Schuld, dem Ende von allem Richten. Wie oft saß sie da und rang mit sich. 

Taufe. Ein Hin und Her. Ein Wogen im Schiff. Es gab Tage, da tanzte Marie durch die Nacht, da fühlte sie sich bärenstark, wie Siegfried, der im Drachenblut gebadet hat. Und es gab Stunden, da riss der Sturm an ihr, da drohte sie unterzugehen in der Wut, hing halb über Bord wie Martin am Tisch, ich bin getauft. Komm, Gott, und mach du, was ich nicht kann. 

 

Wenn der Ex vor ihr stand und die Kinder mitnahm. Hilflos stand sie dann in der Tür, so, mein Gott, kann es doch nicht sein, dass er die Kinder mit Eis verwöhnt, ihnen alles bietet, was ich mir nicht leisten kann und die Kinder lieben ihn dafür!

Ihr Gott ist der Bauch, sie sind irdisch gesinnt und seine Ehre ist seine Schande. 

Komm Gott, zeig dich! Zeig ihnen, was Eis und was Liebe ist, und zeig es am Ende auch mir!

 

Taufe. Jeden Tag den alten Adam ersäufen in mir, die Wut im Bauch ertränken. Und der Stimme folgen, die zur Freiheit verführt. Folgt mir nach, liebe Brüder. 

 

 

 

 

Off 21,1

Zu eng, alles zu eng und dabei heißt es: Offenbarung. Aber da offenbarte sich nichts. Da tat sich nichts auf, kein Himmel und kein Meer mit Ozean. Was er hörte, kannte er schon. Ich bin gewiss, dass Gott alles überwinden wird in Jesus Christus. 

Fromm. Es klang fromm und es half ihm nicht hier am Grab. Er war lebendig und Marie nicht. Das war nun sein Leben. Und wie sollte es weitergehen? Sollte er nach Hause gehen, schlafen und morgen aufstehen. Kaffee kochen, Brötchen holen, nur dass Marie nie mehr mit ihm am Tisch sitzen würde? 

Und der Pfarrer war gewiss, sie war lebendig, in Christus. Ewiges Leben. Für immer. Schön für Christus, er hätte es lieber anders gehabt. Christus da unten und Marie an seiner Seite. Aber er kannte das schon: bei Gott gab´s keine Kompromisse. 

 

Ich bin bei dir, bis ans Ende der Welt.